Wilhelmsplatz in Bad Cannstatt Warum der Verkehrsknoten als Schandfleck gilt

Beton und Asphalt, soweit das Auge reicht. Der Wilhelmsplatz muss städtebaulich im großen Stil umgebaut werden. Foto: Uli Nagel

Neubauten im Bahnhofsquartier und auf dem Kaufhof-Areal sollen den hässlichen Verkehrsknoten städtebaulich aufwerten. Was verkehrstechnisch verbessert werden kann, muss der neue Verkehrstrukturplan vorgeben.

Wer in Bad Cannstatt von Verkehrschaos spricht, der meint den Wilhelmsplatz. Täglich rund 35 000 Autos und mehr als 43 000 ÖPNV-Nutzer passieren den Platz, der stündlich von 80 Fahrzeugen der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) überquert wird. Gut 100 Ampeln sind nötig, um die Verkehrsmassen zu sortieren und in einigermaßen geordnete Bahnen zu lenken.

 

Doch nicht nur die vielen Verkehrsprobleme sorgen dafür, dass der Wilhelmsplatz als ein Schandfleck tituliert wird. Zuletzt auch im Rahmen unseres Heimatchecks. Zahlreiche Teilnehmerinnen und Teilnehmer sehen städtebaulich hier massiven bis elementaren Handlungsbedarf. „Der Wilhelmsplatz ist eine betonierte Depressionsschüssel und braucht dringend Veränderung“. Oder „die Stadteingänge und der Wilhelmsplatz sind furchtbar und als Empfangshalle für eine Stadt einfach nur widerlich anzusehen“. Viele Bürger machten aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Mehr Grün, weniger Beton und Verkehr, neue Randbebauung, Tunnellösung, mehr Radspuren? Was ist realistisch und was wird ein Traum bleiben? Wir wollen einmal darstellen, was sich in absehbarer Zeit alles verbessern lässt – sowohl städtebaulich wie auch verkehrstechnisch.

Wilhelmsplatz

Die letzte Umgestaltung des Verkehrsknotens war vor 20 Jahren. Als größte „Neuerung“ wurden damals die Busse von der Mittellage an die Seite verlegt und somit der Bau einer neuen Stadtbahnhaltestelle ermöglicht. Der Zweck heiligt die Mittel, denn gelungen ist das Konstrukt aus Haltestellendach, Rolltreppen und Martin-Meyer-Steg nicht. Was die Wilhelmsplatz-Kritiker am meisten stört, ist die Wassersäule samt Brunnenanlage. Mittlerweile hat sich Architekt Thomas Zoller bereit erklärt, dass sein Werk optisch ansprechender gestaltet werden darf. Unter anderem schlägt er vor, die drei kleinen Wasserbecken, die permanent zugemüllt sind, mit Erde aufzufüllen und heckenartig zu bepflanzen. Was Bürger zudem monieren: Viel zu viel Asphalt und zu wenig Grün auf dem Platz. Ganz übel ist der wuchtige Martin-Mayer-Steg, eine – zugegeben – funktionale Bausünde der 80er-Jahre. Doch von einer Vision muss sich Bad Cannstatt schnell verabschieden: Einen Wilhelmsplatz mit hoher Aufenthaltsqualität kann es nicht geben und braucht es auch nicht. Es wird ein reiner Verkehrsknoten bleiben, den Menschen überqueren, ob mit Fahrrad, Auto, Bus, Bahn oder zu Fuß – mehr nicht.

Tunnellösung

„Eine Verlegung des Stadtbahnverkehrs nach unten geht nicht, das haben die SSB-Planer von Anfang an betont“, sagt Beate Bulle-Schmid, stellvertretende Fraktionschefin der Rathaus-CDU. Also muss der Fahrzeugverkehr unter die Erde. Eine Lösung, für die sich die Cannstatter Christdemokraten schon seit Jahrzehnten stark machen. Ihr aktueller Vorschlag: Die Stadt gibt eine Machbarkeitsstudie für einen zweispurigen Kfz-Tunnel im Verlauf der Waiblinger und der König-Karl-Straße (Fahrtrichtung Neckar) in Auftrag. Die bei einer möglichen Realisierung frei gewordenen Verkehrsflächen werden dann für eine Neuordnung des Wilhelmsplatzes zu Gunsten von Fußgängern, ÖPNV und Radverkehr verwendet.

Stuttgarts oberster Verkehrsplaner Stephan Oehler zeigt zumindest guten Willen – ist aber selbst bei einer abgespeckten Tunnelvariante skeptisch: „Was Mineralwasser und Tunnelportale angeht, halte ich es für schwierig, aber vielleicht sollte die Stadt einmal untersuchen lassen, was in diesem Bereich mit einem Tunnel möglich wäre.“

Der BUND Kreisverband Stuttgart bezeichnet eine Tunnel-Lösung kategorisch als „Utopie“ und ein „unbezahlbares Luftschloss“. Der Umweltverband fordert zeitnahe und realistische Vorhaben. Hierzu gehört laut BUND-Sprecher Thomas Baur auch ein durchgängiger Radweg über den Wilhelmsplatz, der durch kürzere Grünzeiten an der Pförtnerampel Beskidenstraße flankiert wird.

Kaufhof-Areal

Obwohl es rund vier Jahre dauern wird, die zügigste Aufwertung wird der Wilhelmsplatz auf dem ehemaligen Kaufhof-Areal erfahren. „Es ist eine Schlüsselfläche für Bad Cannstatt“, sagte Corinna Althanns vom Stadtplanungsamt bei der Präsentation des geplanten Neubauprojekts. Die LBBW Immobilien Development GmbH will bis 2027 einen attraktiven Neubau auf der gut 4000 Quadratmeter großen Fläche mit einem gesunden Mix aus Handel, Gewerbe, Büro und Wohnen realisieren.

Bahnhofsviertel

Das Quartier zwischen Wilhelmsplatz und Bahnhof soll laut Stadtverwaltung von 2026 an neu überplant und im großem Stil umgestaltet werden. Als erste Maßnahme wird aktuell der Bahnhofsvorplatz bis zur EM 2024 für knapp neun Millionen Euro umgebaut, danach soll die Seelbergstraße von der Frösnerstraße bis hin zum Wilhelmsplatz zur Fußgängerzone umgewidmet werden. Städtebaulich so richtig los gehen soll es dann in drei Jahren. Dann hat die Stadt Zugriff auf stadtbildprägende Gebäude direkt am Wilhelmsplatz. Dazu zählt neben dem riesigen Parkhaus in der Eisenbahnstraße auch das davor liegende Eckgebäude, wo einst McDonald’s Burger verkaufte. Das steht seit etlichen Jahren leer und bietet den Autofahrern und SSB-Fahrgästen einen üblen ersten Eindruck von Bad Cannstatt.

Verkehrsstrukturplan

Fakt ist: Bad Cannstatt wird immer der Stadtbezirk mit dem höchsten Verkehrsaufkommen in Stuttgart sein. „Cannstatt liegt an der B 10 und damit an der meistbefahrenen Verkehrsachse der Stadt“, sagt Andreas Hemmerich, Leiter Sachgebiet Allgemeine Verkehrsplanung beim Amt für Stadtplanung und Wohnen. Zudem finden im Neckarpark die meisten Großveranstaltungen statt. Eine Chance sieht der Experte im neuen Verkehrsstrukturplan. „Entscheidend ist die sogenannte Netzplanung“, sagt Hemmerich. Fuß-, Rad- und motorisierter Individualverkehr, ÖPNV, selbst der ruhende Verkehr müssten berücksichtigt und auf Verknüpfungspunkte hin untersucht werden. Alle Daten, Zahlen und Fakten werden gesammelt und in einem Maßnahmenkatalog zusammengefasst. Dann haben Bezirksbeirat und Gemeinderat das letzte Wort. „Wir hoffen, dass die inhaltliche Diskussion 2024 losgehen kann.“

Der Wilhelmsplatz in Bad Cannstatt

Entstehung
Entstanden ist der Wilhelmsplatz um 1830. Nach dem Abbruch der Stadtmauer wurden die Bad- und die Wilhelmstraße angelegt. Mit dem Bau der ersten württembergischen Eisenbahn von Cannstatt nach Untertürkheim und des Bahnhofs kamen die Bahnhof- und die Seelbergstraße hinzu. Seinen Namen erhielt er 1850.

Geschichte
Am Wilhelmsplatz errichteten Albert Veiel die erste Hautklinik Deutschlands und Dr. Ebner die erste orthopädische Heilanstalt. Zudem stand hier einst das Reiterdenkmal, das heute vor dem Großen Kursaal seinen Platz hat.

Bunker
Im Zweiten Weltkrieg wurde zwischen Waiblinger und Seelbergstraße der Spitzbunker gebaut. Und wo heute die Volksbank Stuttgart ihre Kunden bedient, stand der 1940 erstellte Hochbunker. 1968 kaufte die Cannstatter Volksbank den Bunker und ließ ihn für einen Neubau sprengen. Vier Jahre später musste der Spitzbunker weichen, an seiner Stelle wurde das Wilhelmscenter errichtet.

Neubauten
Neben dem Wilhelmscenter entstand 1976 mit dem Kaufhof-Komplex eines der umstrittensten Bauvorhaben Cannstatts in den 70er-Jahren. Der Volksbank-Neubau war 1977 fertig. Während Kritiker damals die Neubauten rund um den Wilhelmsplatz als triste Betonkästen titulierten, lobte die Fachwelt die Gebäude als „städtebauliche Akzente“. Ein Attribut, über das sich heute trefflich streiten lässt.

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