Windkraft in Baden-Württemberg Kritik an Schneckentempo beim Windkraft-Ausbau
Die Reaktionen auf Winfried Kretschmanns Eingeständnis, den Zubau von 1000 Windrädern zu verfehlen, sind verheerend. Aber es gibt einen Hoffnungsschimmer.
Die Reaktionen auf Winfried Kretschmanns Eingeständnis, den Zubau von 1000 Windrädern zu verfehlen, sind verheerend. Aber es gibt einen Hoffnungsschimmer.
Es war ein Paukenschlag: Am Dienstag hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) eingeräumt, dass es nicht mehr zu schaffen sei, 1000 neue Windräder in der bis 2026 laufenden Legislaturperiode auf die Hügel und in die Wälder des Landes zu stellen. Damit ist ein zentrales Element der baden-württembergischen Energie- und Klimaschutzstrategie ins Wanken geraten. Als Gründe nannte Kretschmann fehlende Flächen, die starke Bürokratie und die schwierigen Ausschreibungsbedingungen des Bundes, durch die Baden-Württemberg benachteiligt werde.
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Zumindest ist es korrekt, wenn der Regierungschef sagt, dass man nie versprochen habe, dass die 1000 Anlagen bis zum Ende der Legislaturperiode in Betrieb gehen würde. Vielmehr war es das Ziel gewesen, bis dahin die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) hat es vor einem Jahr so formuliert: „Wir wollen in dieser Legislaturperiode die Flächen bereitstellen.“ Das neue Ziel sei nun, betont Kretschmann, 100 neue Windräder pro Jahr zu schaffen – das wäre bis 2026 also letztlich gerade einmal die Hälfte.
Doch auch mit der Ausweisung neuer Standorte ist man nur wenig vorangekommen. Der Bund hat jüngst das Ziel ausgegeben, zwei Prozent der Fläche für Windräder zu reservieren. Das war, nebenbei gesagt, von der grün-schwarzen Regierung in Stuttgart abgekupfert, die vor einem Jahr in ihrem Koalitionsprogramm genau diese Zahl nannte – allerdings gelten die zwei Prozent Fläche für Windkraft und Fotovoltaik zusammen.
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In Wirklichkeit sind derzeit im Südwesten gerade einmal 0,2 Prozent der Fläche für Windkraftstandorte ausgewiesen, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur vor Kurzem ergab. Damit liegt Baden-Württemberg an letzter Stelle in Deutschland. Spitzenreiter ist mit rund zwei Prozent Schleswig-Holstein, gefolgt von Hessen (1,9).
Auch die Zahl der neuen Windräder ist erbärmlich niedrig. Natürlich war beim Neustart der grün-schwarzen Koalition vor einem Jahr klar gewesen, dass es dauern würde, bis neue Standorte gefunden und die Genehmigungsprozesse verkürzt sein werden. Aber dennoch: Im vergangenen Jahr sind gerade einmal 27 Anlagen in Betrieb gegangen, im ersten Quartal 2022 waren es drei.
Das neue Ziel ist aber in Baden-Württemberg immerhin schon zweimal erreicht worden – das war 2016 (120 Anlagen) und 2017 (123 Anlagen). Damals zahlte sich allerdings aus, dass die Regionalverbände nach teils fünfjähriger Verfahrensdauer viele neue Windkraftstandorte ausgewiesen hatten und dass der Bund damals noch nicht so rigorose Vergaberichtlinien für die EEG-Förderung aufgestellt hatte. Da die Regionalverbände nun erst erneut Flächen für Windräder suchen müssen, ist zu befürchten, dass dies wieder Jahre dauern wird.
Die Opposition im Landtag geht mit der Energiepolitik der Regierung nun scharf ins Gericht. Der SPD-Energieexperte Gernot Gruber spricht von einem Offenbarungseid für ein Land, das seit elf Jahren von den Grünen geführt werde und Weltmarktführer in der Klimapolitik sein wolle. Das „Schneckentempo der Regierung“ sei nicht akzeptabel. SPD-Fraktionschef Andreas Stoch sagt am Mittwoch im Landtag, das Eingeständnis Kretschmanns sei zum Lachen, wenn es nicht zum Heulen wäre: „Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Energiewende.“
Der energiepolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Frank Bonath, stichelt: „Die vollmundig verkündeten bis zu 1000 Windenergieanlagen waren von Beginn an politisches Marketing.“ Die FDP ist sowieso grundsätzlich skeptisch, was die Windenergie angeht. Ihr ist es ein Dorn im Auge, dass die Windkraft im Südwesten bevorzugt werde, obwohl der Wind nur mäßig wehe. Die hohen Summen, die in den forcierten Ausbau der Windenergie fließen, seien verschwendet, so der Tenor der FDP: Viel mehr Potenzial hätten in Baden-Württemberg Geothermie, Biomasse, Solarthermie und Wasserkraft. „All das hat die Landesregierung in den letzten Jahren völlig vernachlässigt“, so Bonath.
Nabu-Landeschef Johannes Enssle zeigt sich überrascht von der Aussage Kretschmanns. Der Ausbau der Windkraft sei eine Herkulesaufgabe, es verwundere, dass man jetzt quasi klein bei gebe. Wichtig sei nun, so Enssle, die vom Nabu geforderten Artenhilfsprogramme schnell auf den Weg zu bringen, denn diese seien Voraussetzung für den Ausbau der Windkraft. „ Zugleich muss das Land für klare Spielregeln sorgen, damit Energiewirtschaft, Investoren und Kommunen wissen, woran sie sind“, betont Enssle.
Sylvia Pilarsky-Grosch, die Vorsitzende des BUND, fordert, dass endlich ein übergeordnetes Konzept vorgelegt werde, das Orientierung gebe und zeige, wie das Land seine Klimaziele erreichen wolle.
Franz Pöter, der Geschäftsführer der Plattform Erneuerbare Energien Baden-Württemberg, mahnt die Regierung eindringlich, dass es bei den angestoßenen Prozessen, die Verfahren zu beschleunigen und mehr Flächen auszuweisen, bleiben müsse. „Der Bau von Windenergieanlagen hängt nicht an Legislaturperioden“, sagt Pöter: „Ziel muss es bleiben, schnellstmöglich die 1000 Windräder oder mehr zu errichten.“
Jedenfalls müsse der Zuwachs sehr dynamisch werden, damit das Landesziel, bis 2040 klimaneutral zu sein, noch erreicht werden könne. Die derzeitige Zahl neuer Windräder müsse sich zumindest schnellstmöglich verdoppeln, und ab der Mitte des Jahrzehnts müsse der Zubau sogar bei mehr als hundert Anlagen pro Jahr liegen.
Mit dem neuen Ziel der Landesregierung von 100 Anlagen pro Jahr läge man also zumindest mittelfristig einigermaßen auf Kurs – sofern das Ziel Mal umgesetzt würde. Das immerhin ist ein Hoffnungsschimmer.