Eine bunte Vielfalt an Stuttgarter Kreativen ist zur Eröffnung der Winetime auf die Dachterrasse des Infoturms am Bahnhof gekommen. Beim Anstoßen mit Aussicht fordert Gastgeber Thomas Diehl: Stuttgart sollte die „Verhinderungskultur“ ablegen.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Seit 1976 ist Stuttgart stets im Spätsommer ein Dorf – ein Weindorf. In keiner anderen deutschen Großstadt reichen Weinberge bis in die City hinein. Bei uns wachsen die Rebstöcke fast an den Bahnhof.

 

Bis zum 1. August wird eben dort, also am Gleis 16, Abend für Abend in luftiger Höhe das Glas erhoben. Das Weindorf muss erneut ausfallen. Die Winetime des roten Infoturms Stuttgart bietet einen kleinen Ersatz für je 50 Gäste mit drei Gs. Die Dachterrasse des temporären Bahnhoftürmles lädt zu einer grandiosen Rundumsicht ein. Die Kesselstadt, die einem zu Füßen liegt, muss harte Zeiten voller Baustellen überstehen. Dennoch erschließt sich Stuttgarts Schönheit von hier oben. Der Fernsehturm ist zeitweise im Nebel verschwunden. Was die Zukunft der mehrfach, wohl auch mental blockierten Stadt angeht, herrscht trotzdem klare Sicht. Aber ein bisschen träumen darf man auch.

„Unsere Stadt kann mehr, als dies momentan erscheint“

Ein gutes Glas Wein – wer weiß das nicht? – fördert oft gute Gespräche und das Brainstorming. Thomas Diehl, der Jungwinzer von Rotenberg, der den ITS-Turm gastronomisch mit Luca Salvatore (Veranstalter von Genussmessen wie Tisch & Tafel) und Feinkosthändler Kurosh Safari bespielt, hat zur Eröffnung der zweiten Winetime eine bunte Vielfalt an Stuttgarter Kreativen eingeladen.

Colyn Heinze vom Club Kollektiv ist da, die Schauspieler Monika Hirschle und Matthias Dietrich („Laible und Frisch“), Philipp Hagebölling und Manuel Ellwanger, die Veranstalter des Digital-Heroes-Festivals, DJane Alegra Cole, Designer Tobias Siewert, Frl. Wommy Wonder alias Michael Panzer, die Stuttgart-Bloggerin Emma von Bergenspitz, Kulturkiosk-Macherin Sara Dahme, Äffle-&-Pferdle-Miterfinder Volker Lang, Autor Heiko Volz, Uwe Heine von Jigger & Spoon, Markus Escher von Ginstr und andere. Gastgeber Diehl hat Stuttgart-Fans um sich geschart. „Unsere Stadt kann mehr, als dies momentan erscheint“, sagt der Winzer in seiner Begrüßung. Endlich müsse Schluss sein mit der „Verhinderungskultur“ in der Stadtverwaltung – Stuttgart brauche eine „Ermöglichungskultur“. Dies sagt er auch zu OB Frank Nopper, der mit seiner Frau Gudrun Nopper direkt aus dem Gemeinderat kommt.

„Für eine gute Rede braucht man drei Viertele“

Bernhard Bauer, der als Vorsitzender des Vereins Projekt Stuttgart–Ulm Hausherr der Winetime ist, erinnert mit dem Glas Wein in der Hand an den einstigen Weinexperten Theodor Heuss. „Für eine gute Rede“, habe der Bundespräsident gesagt, „braucht man drei Viertele.“ Sei das Thema besonders schwierig, müsse es halt eine Flasche sein.

Wie viele Viertele OB Nopper braucht, um die erste CSD-Rede seines Lebens zu schreiben, ist nicht bekannt. Bei der Winetime verrät er jedenfalls, dass er den Text für seine Ansprache beim Empfang des Stuttgarter CSD am selben Tag erst kurz davor selbst verfasst. Frank Nopper orientiert sich dabei an Ehrenbürger Manfred Rommel, der bei wichtigen Reden sich niemals auf Ghostwriter verließ, sondern nur auf sich selbst.

OB Frank Nopper setzt sich für Clubabende am Kleinen Schlossplatz ein

Wichtig ist dem CDU-OB die CSD-Rede, weil nach der Debatte über Regenbogenfahnen am Rathaus zum EM-Spiel ein falscher Eindruck von ihm entstanden sei. Nur weil er sich dem „Mainstream“ verweigere, Symbolpolitik ablehne und nicht das machen wolle, was alle machten, bedeute dies noch lange nicht, dass er Probleme mit der LSBTTIQ-Community habe. „Ich habe etliche schwule Freunde“, sagt er, „in Backnang lebte ein homosexuelles Paar direkt neben uns, mit dem wir uns sehr gut verstanden haben.“

Ein weiteres Thema in der gerade rechtzeitig trockenen Sommernacht sind die DJ-Abende der geschlossenen Clubs auf dem Kleinen Schlossplatz. Aufgrund der Auflagen aus dem Rathaus – nur drei Termine sind erlaubt (geplant waren mehrere Wochen vom 1. Juli an), um 22 Uhr muss Schluss sein – denkt das Club Kollektiv darüber nach, die Reihe abzublasen. Dem OB gefällt dies gar nicht. Man müsse jungen Leuten was bieten, sagt Nopper als ein Fan der Idee. Eindringlich bittet er Colyn Heinze vom Kollektiv auf dem roten Turm, die Clubabende „einfach zu machen“. Aber wenn Rathausämter, hakt dieser nach, den Plan ausbremsten? „Ich sag denen meine Meinung genauso wie hier“, verspricht Nopper, „denn ich sage immer überall, was ich denke.“ Manch einer sagt beim Wein aber vielleicht noch a bissle mehr.

Infos

Winetime
Vom 16. Juli bis zum 1. August findet die Winetime täglich von 18:30 Uhr bis 22:30 Uhr statt – auf dem InfoTurmStuttgart (ITS), an Gleis 16 des Stuttgarter Hauptbahnhofs, 70174 Stuttgart. Die Veranstalter empfehlen die die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Der Eintritt kostet zehn Euro, das erste Glas Wein (0,25 Liter)l ist inklusive. Der Ticketverkauf ist nur online möglich.