Dank eines Dolmetscherdienstes können Gehörlose über das Internet in der Gebärdensprache einen kostenlosen Notruf an die nächste Rettungsleitstelle absetzen. Die Paulinenpflege testet das Angebot.

Winnenden - Dietrich Hub, der Pressesprecher der Paulinenpflege, spürt starke Brustschmerzen, die in die linke Schulter ausstrahlen. Dieses Szenario soll sich Vivien Frickinger, eine Schülerin des Berufsbildungswerkes (BBW) vorstellen. Es gilt, einen Notruf abzusetzen. Das ist der 18-Jährigen normalerweise nicht möglich: „Ich kann nicht telefonieren“, erzählt die Schwerhörige. Die junge Frau kann sich zwar unterhalten, aber nur von Angesicht zu Angesicht. Sie muss die Lippen lesen können, braucht die Körpersprache zum Verstehen – und beides ist am Telefonhörer nicht möglich. „Ich müsste jemanden aus meiner Familie oder eine Freundin bitten, für mich anzurufen.“

 

Doch seit dem 6. Dezember gibt es einen Gehörlosennotruf, der es Menschen wie Vivien Frickinger möglich machen soll, in Not ohne fremde Hilfe zurecht zu kommen. Angeboten wird dieser Service von dem bundesweit tätigen Telefonvermittlungsdienst Tess Relay-Dienste. „Wir sind eine Tochter der deutschen Gesellschaft für Hörgeschädigte und immer daran interessiert, Barrieren abzubauen“, sagt Nadine Brohm von Tess.

Bereits seit 2009 gibt es ein Notrufangebot des Vermittlungsdienstes, allerdings wurden bisher alle Notrufe an die Hauptleitstelle in Frankfurt weitergegeben. Dank einer technischen Weiterentwicklung können seit neuestem die Leitstellen vor Ort kontaktiert werden. „Deswegen müssen sich Neukunden aber auch registrieren, damit wir die Postleitzahl haben“, erläutert Nadine Brohm.

Im BBW probiert Vivien Frickinger nun den Notruf für Gehörlose aus. Sie setzt sich an den Laptop, öffnet die Software der Tess-Relay-Dienste und wählt die Anwendung „kostenloser Notruf 110/112 in Gebärdensprache“. Wenig später öffnet sich ein Fenster, vom Bildschirm winkt ein Dolmetscher von Tess. Vivien Frickinger winkt über die webcam zurück und dann stehen die Hände nicht mehr still. Zwischendurch wendet sich Vivien Frickinger an Dietrich Hub und sagt ihm, dass er sich hinsetzen und seine Jacke öffnen solle. Kurz darauf ist das Gespräch beendet.

Über was wurde geredet? „Er wollte wissen, ob das BBW in Winnenden oder Waiblingen gemeint ist, hat den Notruf an die Leitstelle weitergegeben, mich nach den Anhaltepunkten gefragt und mir gesagt, was Herr Hub machen soll“, erzählt Vivien Frickinger. Gut verstanden habe sie den Dolmetscher, „auch wenn er ein bisschen schnell war“. Und wie war die Zusammenarbeit zwischen Vermittlungsdienst und der Leitstelle? „Ich war mit den Informationen zufrieden, auch zum Patientenzustand“, sagt Carsten Leidner von der Rettungsleitstelle in Waiblingen.

Der Gehörlosen-Notruf kann auch mit einem Smartphone oder Tablet-Computer abgesetzt werden. Die Dolmetscher bei Tess sind geschult und wissen, welche Informationen sie einholen und weitergeben müssen. Seit dem 6. Dezember haben sich einige neue Kunden für den Gehörlosennotruf registriert, „aber bisher gab es nur einen tatsächlichen Notruf, und das war der Test vom BBW“, sagt Nadine Brohm.