Im Wirecard-Prozess sind Betrug, Untreue und Bilanzfälschung angeklagt. Hunderte Millionen Euro sind in dunklen Kanälen verschwunden. Das hatte System.

15 Jahre lang hat Bankkaufmann Rainer W. für Wirecard gearbeitet, die meiste Zeit davon als Vorstand der konzerneigenen Wirecard Bank. Wenn die einen sogenannten strategischen Kredit an angebliche Geschäftspartner vergeben sollte, hat die Bank branchenüblich die Bonität des potenziellen Kreditnehmers überprüft oder dessen Geschäftsmodell, erzählt der 67-jährige Zeuge vor dem Landgericht München. Schließlich will man als Kreditgeber sein Geld wiedersehen. Bei Wirecard lief es nicht branchenüblich. „Ich habe den Kredit abgelehnt und wurde ins Büro von Herrn Braun gerufen“, beschreibt W. eine Episode. Gemeint ist der Hauptangeklagte Markus Braun als Ex-Chef und Großaktionär des kollabierten Skandalkonzerns. Der habe sich vor ihm aufgebaut und ihn zur Rede gestellt.

 

„Autoritär auf Kreditvergaben gepocht“

Was er sich denken würde, habe Braun losgelegt. „Ich bin der Eigentümer, nur der Eigentümer kann ablehnen“, habe er erklärt. Das sei generell Brauns Haltung bei Kreditvergaben der Wirecard Bank gewesen. Eine Ablehnung von Krediten habe sein oberster Chef nie akzeptiert, auch wenn es gute Gründe dafür gegeben habe. Nach Gründen habe Braun grundsätzlich nie gefragt und autoritär auf Kreditvergaben gepocht.

Das ist insofern besonders bemerkenswert, als ermittelnde Staatsanwälte für viele von der Wirecard Bank ausgereichte Kredite eine Erklärung haben, die kriminellen Hintergrund beschreibt. Die angeblichen Geschäftspartner von Wirecard, an die Darlehen geflossen sind, waren demnach nicht wirklich solche. Das sei nur behauptet worden, um Gelder unerreichbar aus dem Konzern zu schleusen. Betrug lautet der daraus resultierende Tatvorwurf an die Adresse von Braun und Mitangeklagte. Das sind der geständige Kronzeuge Oliver Bellenhaus und der wie Braun alle Anklagepunkte abstreitende Ex-Chefbuchhalter Stephan von E.

Brauns ständige Versuche, auf Kreditvergaben der Wirecard Bank persönlich und massiv Einfluss zu nehmen, machen die Angelegenheit damit für ihn besonders belastend. „Gesetze und Regularien waren nicht so von Bedeutung vor allem für den obersten Boss“, beschreibt W. Brauns Verhältnis zu rechtmäßigem Handeln. Eine Wirecard-interne Abteilung, die Rechtmäßigkeit überwacht hat, sei nur auf Druck von Wirtschaftsprüfern und der Finanzaufsicht Bafin aufgebaut worden, wenn auch personell stark unterbesetzt. Auch einen an dringend nötigen Geldwäschebeauftragten habe es lange nicht gegeben.

Dreistellige Millionensummen

„Ich war froh, dass es das Kreditwesengesetz gab“, erzählt W. weiter. Mit ihm als Argumentationsgrundlage habe er einige verlangte Kreditvergaben trotz des Drucks von Braun abwenden können. Angebliche Wirecard-Partner, die Darlehen erhalten hatten, mussten inzwischen Insolvenz anmelden. Die Gelder, die sich auf eine insgesamt mindestens dreistellige Millionensumme addieren, sind mutmaßlich für immer verloren.

Im Mammutprozess wird seit Ende 2022 und voraussichtlich noch bis mindestens Ende dieses Jahres verhandelt. Demnächst könnte der bislang nur am Rande in Erscheinung tretende und mitangeklagte Ex-Chefbuchhalter in den Fokus rücken. Er hat bislang geschwiegen, will sich aber nun nach Auskunft seiner Anwälte erstmals selbst zur Sache äußern. Spekulationen, das könnte in Form eines Geständnisses geschehen, dämpfte einer seiner Anwälte jedoch.