Die Stadt Sindelfingen kann kaum noch Baugrund für Gewerbe anbieten. Schon in der Vergangenheit mussten Firmen die Stadt verlassen, weil Grundstücke fehlten. Auch auf Äckern und Wiesen sollen Neubauten wachsen.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Sindelfingen - Ein Beispiel schmerzt sogar, jedenfalls Hans Grau. „Mir tut es heute noch weh, dass Bitzer seine Produktion nach Ergenzingen verlagern musste“, sagt der Fraktionschef der Grünen. 2003 hatte das Sindelfinger Traditionsunternehmen sein neues Werk in dem Rottenburger Stadtteil eröffnet, mangels eines Bauplatzes an seinem Stammsitz. Damit verlor die Stadt 560 Arbeitsplätze.

 

„Ein gefühlter Mangel“ an Baugrund für Unternehmen beschleiche ihn alltäglich, sagt Sascha Dorday, der Geschäftsführer der städtischen Wirtschaftsförderung „den haben wir nun bestätigt bekommen“. Dies von durchaus prominenter Stelle. Die Stadt hatte das Prognos-Institut mit einer Studie zum Thema beauftragt. Dessen Rat schätzen Bundesminister genauso wie die Chefs von Weltkonzernen. Das Ergebnis der Untersuchung ist eindeutig und in einem lapidaren Fazit zusammengefasst: „Es besteht Handlungsbedarf“ – und zwar eilig.

Die IHK mahnte schon vor fünf Jahren

Ob es zu dieser Erkenntnis eines Gutachtens bedurft hätte, scheint fraglich. Schon vor fünf Jahren war die hiesige IHK wegen des Ergebnisses einer Umfrage unter Unternehmern alarmiert. 101 von 283 befragten Firmen im gesamten Landkreis hatten wissen lassen, dass sie einen Wegzug planen. Schon damals hatte Dordays Vorgänger Olaf Krüger zu Protokoll gegeben, dass „wir zu wenig geeignete Gewerbeflächen anbieten können“. Zwar waren seinerzeit reichlich Grundstücke auf dem Flugfeld zwischen Sindelfingen und Böblingen im Angebot, aber die Preise schienen zumindest für kleine Firmen unbezahlbar.

Für Suchende betreibt die Wirtschaftsförderung ein Immobilienportal. In der Rubrik „Brachflächen“ meldet der Computer: „Wir haben 0 Angebote für sie gefunden.“ Das ist zwar übertrieben, aber dem Nullzustand nähert die Stadt sich zügig an. Als Prognos seine Studie schrieb, waren auf dem Flugfeld noch 5,7 Hektar Fläche frei. Bis zur Veröffentlichung des Gutachtens vor zwei Tagen blieben davon 3,9 Hektar. Aktuell beginnt die Vermarktung des erweiterten Gewerbegebiets Häslach. Damit kommen 2,4 Hektar auf den Markt.

2,4 Hektar jährlich schwinden für Gewerbebauten

Dies entspricht dem Bedarf, den Prognos errechnet hat – allerdings nur für das aktuelle Jahr. Die Statistiker des Instituts haben auf zwei Arten versucht, den Flächenverbrauch vorherzusagen. Einmal haben sie schlicht die Zahlen der Vergangenheit auf die Zukunft fortgeschrieben. Von 2008 bis 2015 verbrauchten die Sindelfinger Unternehmen im jährlichen Schnitt eben 2,4 Hektar. Darin ist die Zeit der Weltwirtschaftskrise enthalten. Die zweite Methode beruht auf dem Platzbedarf pro Beschäftigtem. Die Ergebnisse sind nahezu deckungsgleich. In den nächsten 15 Jahren werden die Unternehmen demnach zwischen 50 und 65 Hektar benötigen.

Noch zu bauende Straßen und Wege abgerechnet, sind davon 15 Hektar verfügbar. Wiederum davon aber nur ein Drittel sofort, ein weiteres Drittel „mit sehr hohem Aufwand“. Die Grundstücksgrößen schränken das Angebot weiter ein. 80 Prozent der Parzellen messen höchstens einen halben Hektar. Dies entspricht einem Quadrat mit Kantenlängen von 70 auf 70 Meter.

Prognos hält den Zugriff auf Grünfläche für zwingend

Der Schluss der Studie lautet, dass ohne den Zugriff auf Äcker und Wiesen der Bedarf nicht zu decken ist. Die größte davon betroffene Fläche liegt zwischen dem Stadtteil Dagersheim und dem Mercedes-Werk, das Gebiet „Seiler/Holder“. Seine Größe entspricht der von 36 Fußballstadien. Außerdem empfiehlt Prognos der Stadt, auf Vorrat Privateigentümern Grundstücke abzukaufen oder ihnen Fristen für einen Baubeginn vorzuschreiben. Andernfalls erwarte die Stadt nicht nur neuer Arbeitsplatzverlust, mahnen die Auguren. Weil Firmen neue Standorte gern für neue Technologien eröffnen, „droht Sindelfingen den Anschluss zu verlieren“.