Forscher haben einen Superstammbaum erstellt, der 13 Millionen Menschen miteinander verbindet. Doch nicht nur die verwandschaftlichen Beziehungen waren von Interesse: Auch wie sich im Laufe der Jahrhunderten die Paarbeziehungen verändert haben.

New York - Wer bin ich? Woher komme ich? Von wem stamme ich ab? Solche essenziellen Fragen beschäftigen viele Menschen. Und so machen sie sich auf die Suche nach ihre Wurzeln. Wo früher solch weitreichende Daten nur in Kirchenregistern, Stadtarchiven, Geburts- und Sterbeurkunden sowie in Familienchroniken zu finden waren, gibt es nun auch im Internet diverse Portale und Communitys, die sich mit dem Thema Ahnen- und Familienforschung befassen. Auf diesen tummeln sich Millionen von Genealogen. Diese erstellen Familien-Stammbäume, also listen ihre Verwandten in einer Grafik auf. Bei Übereinstimmungen können diese Daten mit anderen Stammbäumen verbunden werden.

 

Dass solche Online-Plattformen auch für die Forschung wertvoll sein können, bewies eine Gruppe aus Mathematikern, Informatikern und Genetikern. Ihre Erkenntnisse veröffentlichten die Forscher kürzlich im amerikanischen Wissenschaftsmagazin „Science“.

Der Superstammbaum verbindet 13 Millionen Menschen

Das 14-köpfige Team durchforstete 86 Millionen Personenprofile der Online-Community Geni.com, die zur Genealogie-Plattform My Heritage gehört. Auf diese Weise schufen die Forscher den bisher größten wissenschaftlich fundierten Familien-Stammbaum der Welt. Er verbindet 13 Millionen Menschen. 85 Prozent stammen aus Europa und Nordamerika, die verwandtschaftlichen Beziehungen sind teils bis zu 500 Jahre zurückzuverfolgen.

Der Stammbaum umfasst im Durchschnitt zehn bis elf Generationen. Um wirklich auf einen einzigen gemeinsamen Vorfahren zu kommen müsste man noch weitere 65 Generationen zurückgehen, sagt Mathematikerin Joanna Kaplanis vom New York Genome Center, die an der Studie beteiligt war. Doch dafür reichen die Aufzeichnungen nicht aus. Ziemlich aufwendig sei es gewesen, den Superstammbaum zu erschaffen. „Bei dieser Vielzahl an Informationen konzentrierten wir uns nur auf das Geburtsdatum, das Todesdatum, den Geburtsort, den Ort des Todes und – wenn verfügbar – die Todesursache“, erklärt die Mathematikerin. Um die Richtigkeit der Daten zu gewährleisten, verglich man sie mit den Daten, die sich in traditionellen Datenbanken fanden.

Der Stammbaum zeigt auch die Migrationsbewegungen zwischen Europa und Amerika

0,3 Prozent der Profile auf Geni.com wiesen zudem fehlerhafte Verbindungen auf, die biologisch nicht möglich wären – beispielsweise, dass eine Person mehr als zwei Elternteile hat. Die ungültigen Verbindungen wurden entfernt. Nun war der Weg frei, die Familien-Stammbäume anhand mathematischer Theorien zu rekonstruieren.

Das Resultat: 5,3 Millionen Stammbäume. Neben vielen kleineren entstand der Superstammbaum. Dabei wiesen die Rekonstruktionen eine Übereinstimmung von über 90 Prozent mit denjenigen Stammbäumen auf, die von den Hobby-Genealogen erstellt wurden. Die Studie ist durchaus auch von historischem Wert: So konnten Migrationsbewegungen zwischen Europa und Nordamerika bis ins 14. Jahrhundert, also bis zur Ankunft von Christoph Kolumbus, nachgewiesen werden. „Wir haben zudem festgestellt, dass Frauen und Männer unterschiedliche Migrationsmuster aufweisen“, sagt die Forscherin Joanna Kaplanis vom New York Genome Center.

Überraschend war, wie sich die Ehen im Lauf der Zeit verändert haben

Frauen würden zwar häufiger als Männer auswandern, doch wenn die Männer sich dazu entschließen wegzuziehen, würden sie viel größere Entfernungen zurücklegen. Zudem wären sie eher dazu bereit, ihr Herkunftsland ganz zu verlassen. „Das überraschendste Ergebnis war, wie sich die Ehen im Laufe der Zeit verändert haben“, berichtet Joanna Kaplanis. Vor der industriellen Revolution – also vor 1750 – hätten die meisten Personen ihren zukünftigen Partner im Umkreis von etwa zehn Kilometern gesucht und geheiratet. Verbreitet wäre zudem die Heirat unter Verwandten gewesen, meist Cousine und Cousin vierten Grades. Ab 1750 habe es Heiratswillige stetig weiter weg gezogen, vor allem seit der zweiten industriellen Revolution um das Jahr 1870. Menschen suchten teilweise fast 100 Kilometer von ihrem Geburtsort entfernt einen Heiratskandidaten. Das habe wahrscheinlich auch mit der Einführung der Eisenbahn und der Verbesserung anderer Verkehrsverbindungen zusammengehangen, meint Joanna Kaplanis. Was sich aber nicht geändert habe: Auch im 19. Jahrhundert wurde der Bund der Ehe oft unter Verwandten geschlossen.

Verlängern gute Gene auch die Lebensspanne?

Erkenntnisse zur Rolle der Gene im Hinblick auf ein langes Leben gab es ebenfalls. Die Forscher untersuchten mithilfe eines Rechenmodells die Daten von drei Millionen Verwandten, die zwischen 1600 und 1910 geboren wurden und mindestens das 30. Lebensjahr erreicht hatten – mit Ausnahme von Zwillingen, Unfallopfern und Menschen, die etwa im Amerikanischen Bürgerkrieg sowie im Ersten und Zweiten Weltkrieg zu Tode gekommen waren. Sie verglichen die Lebensspanne zwischen jedem Verwandten und berücksichtigten dabei, wie eng die Verwandtschaft war. Dabei stellte sich heraus, dass das Erbgut nur in etwa 16 Prozent für eine Langlebigkeit ausschlaggebend ist.

Bisher galt die Annahme, dass es 15 bis 30 Prozent sind. So schlussfolgerten die Forscher, dass sogenannte gute Gene ein Menschenleben durchschnittlich nur um fünf Jahre verlängern würde.

Die Forscher haben die Ergebnisse ihrer Studie öffentlich zugänglich gemacht, damit sie auch andere Wissenschaftler nutzen können. Viele Fragen, so sagen sie, würden sich mit Sicherheit auch in anderen Fachgebieten wie Wirtschaft, Anthropologie oder öffentlicher Gesundheit auftun.