In zehn Ländern hat die Religionswissenschaftlerin Nina Käsehage mit 175 Salafisten gesprochen. Eine Feldforschung, die für die 37-Jährige nicht ganz ungefährlich war.
Stuttgart - „Wir sollten darüber nachdenken, schneller und effektiver zu handeln, als uns in politischen Forderungen zu ergehen, die oft genug ins Leere zielen“, lauten die Worte, mit denen Nina Käsehage am Donnerstagabend ihren Vortrag in der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart über Salafismus in Deutschland beendet. Käsehage ist Religionswissenschaftlerin und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Islam. 2011 verfasste sie eine Islamstudie über Konvertiten und Re-Konvertiten und wurde so auf die salafistische Szene in Deutschland aufmerksam. In ihrer Doktorarbeit, die sie vor wenigen Monaten an der Universität Göttingen eingereicht hat, versuchte sie nun, deren Entstehung und Entwicklung zu analysieren und stellte dafür eine nicht ungefährliche Feldforschung an.
In den vergangenen sechs Jahren hat die 37-Jährige in neun europäischen Ländern sowie der Türkei mit 175 Salafisten gesprochen. Sie besuchte Moscheen, salafistische Veranstaltungen, wohnte bei Familien und lebte eine Zeitlang sogar in den Banlieues Frankreichs und Belgiens. Was sie dort erlebt hat, möchte sie nur mit knappen Worten kommentieren: „Ja, man hat mich in Frankreich und Belgien verprügelt, das war nicht schön.“ Denn Käsehage, das wird schnell deutlich, geht es nicht um ihre eigene Person, sondern um die objektive Analyse des Salafismus, die verlangt, sich mit der Innenperspektive der dschihadistischen Akteure auseinanderzusetzen.
18 Prozent dschihadistischer Kämpfer kommen aus Westeuropa
Käsehage zufolge gibt es momentan zwischen 8500 und 10000 dschihadistischen Kämpfern – 18 Prozent von ihnen kommen aus Westeuropa. Die Beweggründe der Anhänger hat sie milieu- und genderspezifisch untersucht – sie reichen von religiösem Interesse bei Frauen bis hin zur Verteidigung der Ehre bei den Männern.
Eine Ursache sieht sie aber auch in der zweifelhaften Integrationspolitik Frankreichs und Belgiens, wo Menschen einer bestimmten Herkunft und Religion an den Rand der Gesellschaft gedrängt und so separiert werden. Hinzu komme die heterogene-transnationale Ausrichtung der Gruppierung, deren unterschiedliche Positonen es möglich machen, Menschen weltweit anzusprechen. Käsehage erklärt: „Salafisten sind häufig im gleichen Alter, sie sehen cool aus, sprechen die gleiche Sprache, alles ist poppig aufgemacht.“
Religion und Nationalität sind keine Oppositionen
In der Verantwortung sieht Käsehage aber nicht nur die Politik, sondern die Gesamtgesellschaft. „Zu Zeiten der Weimarer Republik haben wir von Juden und Deutschen gesprochen. Das machen wir heute wieder, wenn wir von Deutschland und dem Islam sprechen“, mahnt sie. Das Bewusstsein zu schärfen, dass Religion und Nationalität nicht in Opposition zueinander stehen, würde nicht nur unterbinden, rechtspopulistischen Gruppen in die Hände zu spielen, sondern auch das Zugehörigkeitsgefühl der gefährdeten Menschen zu stärken. Dass das funktionieren kann, hat Käsehage unlängst selbst bewiesen. 35 von 38 jungen Männern und Frauen, mit denen sie während ihrer Studie zu tun hatte, konnte sie nach stundenlangen Gesprächen von der Ausreise abhalten.
Von der Politik erhofft sie sich ein Ende des Aktionismus. Viel wichtiger sei es, so schnell wie möglich so viel Geld wie möglich in die Prävention zu stecken. Prävention in ihrem Sinne meint jedoch nicht, die Akteure zu überwachen und Informationen über sie zu sammeln, sondern einzuschreiten, bevor man die Menschen bereits an ihre Überzeugungen verloren hat.