Die Grundlagenforschung produziert allgemeingültige Erkenntnisse, die Industrie marktfähige Produkte. Die Produkte müssen nur funktionieren, hört man, man braucht sie nicht zu verstehen. Das Beispiel des Riesenmagnetowiderstands in Festplatten zeigt aber: Forschung kann auch nützlich sein.

Stuttgart - Als im Oktober 2007 der Nobelpreis für Physik bekannt gegeben wurde, ging Stuart Parkin leer aus. Peter Grünberg und Albert Fert wurden damals für ihre Entdeckung des Riesenmagnetowiderstands ausgezeichnet: einem Effekt, der eine neue Generation von Festplatten ermöglichte, von denen mehr als fünf Milliarden produziert worden sind, bevor sich die Hersteller vor einigen Jahren auf den verwandten Effekt des magnetischen Tunnelwiderstands verlegten. Stuart Parkin, der die Festplatten maßgeblich entwickelt hatte, bekam den Preis nicht, obwohl man annehmen darf, dass der wirtschaftliche Nutzen der Entdeckung bei der Entscheidung des Nobelkomitees eine Rolle gespielt hat. Wirft das ein Licht auf das Verhältnis von Grundlagenforschung und angewandter Wissenschaft?

 

In Deutschland haben sich die Medien auf Peter Grünberg konzentriert, der praktisch sein ganzes berufliches Leben am Forschungszentrum Jülich verbracht hat. Ich habe ihn zweimal getroffen und er wirkte auf mich zurückhaltend, wie ein gemütlicher Großvater (er hat auch mehrere Enkel). Aber er ist in seinem Fachgebiet, der Festkörperphysik, gut vernetzt. Und er hatte die wirtschaftliche Bedeutung seiner Entdeckung schnell erkannt und den Riesenmagnetowiderstand patentieren lassen. Das Forschungszentrum Jülich hat für die Lizenzen einen zweistelligen Millionenbetrag eingenommen. Stuart Parkin hat rund 30 Jahre bei IBM verbracht, den größten Teil der Zeit als Fellow – das ist die höchste Position, die das Unternehmen Forschern bietet. Im April dieses Jahres hat ihn die Max-Planck-Gesellschaft als Direktor abgeworben. Er sei auch wegen der Liebe nach Deutschland gekommen, berichtet „Die Zeit“, und wegen eines millionenschweren Stipendiums der Humboldt-Stiftung.

Man kann nicht sagen, dass Stuart Parkin schlecht angesehen würde, bloß weil er nicht auf die reine Erkenntnis aus war, sondern auf ein marktfähiges Produkt. Er suchte nach einem Verfahren, mit dem sich die Festplatten in Serie herstellen lassen. Beim Riesenmagnetowiderstand (Englisch: giant magnetoresistance, kurz: GMR) lässt sich der elektrische Widerstand durch Magnetfelder steuern: Wenn der Lesekopf einer Festplatte über einen Datenpunkt fährt, verändert dieser die magnetische Orientierung einer dünnen Metallschicht im Lesekopf – oder er tut es nicht. Dadurch ändert sich im Lesekopf der elektrische Widerstand – oder er tut es nicht, und der Computer erkennt eine 1 oder eine 0. Der Effekt ist überraschend groß und wird daher als „riesig“ bezeichnet.

Heute soll Forschung relevanter sein

Peter Grünberg und Albert Fert konnten mit komplizierten Techniken in einem guten Vakuum die benötigten winzigen Sandwiches aus magnetisierbaren und nicht-magnetisierbaren Schichten herstellen. Stuart Parkin setzte hingegen auf die Methode des Sputterns, bei dem Ionen auf ein Material geschossen werden, um einzelne Atome herauszuschlagen und sie an einer anderen Stelle zu einer dünnen Schicht zusammenzusetzen. Dieses Verfahren kommt mit einem weniger aufwendigen Vakuum aus. Zudem untersuchte Stuart Parkin, mit welchen Materialkombinationen – etwa mit Eisen und Chrom – und mit welchen Schichtdicken sich der Effekt am besten erzeugen lässt. Er zeigte auch, dass die dünnen Schichten keine perfekten Kristalle sein müssen, was die industrielle Fertigung erleichtert. (Die Forscher in den Unternehmen veröffentlichten ihre Ergebnisse sogar in Fachmagazinen, weil sie sich vom fachlichen Austausch mit Kollegen mehr versprachen als von der Forschung im Geheimen.)

Mitunter hat Stuart Parkin einfach alle infrage kommenden Materialien durchprobiert. Doch das ist nicht der Königsweg – auch nicht in der angewandten Forschung. Der Wissenschaftsphilosoph Torsten Wilholt von der Universität Hannover hat die Erforschung des Riesenmagnetowiderstands untersucht. Das Ziel der Forscher bei IBM und auch bei Philips war, die Zahl der Optionen zu reduzieren, schreibt er im Fachjournal „Philosophy of Science“ (hier ein PDF). Deshalb entwickelten auch Stuart Parkin und seine Kollegen grobe Theorien, die ihnen ungefähr sagten, welcher Effekt bei einem bestimmten Material und einer bestimmten Konstruktion zu erwarten ist. Torsten Wilholt beschreibt zum Beispiel die Berechnungen der Forscher bei Philips, die nach einem Design für die magnetisierbare Schicht des Lesekopfs suchten, das die bestmögliche Magnetisierung ermöglicht. „Je komplexer ein gewünschtes technisches System ist“, schreibt der Philosoph, „desto weniger hoffnungsvoll ist es, über die Methode von Versuch und Irrtum ein besseres Design zu finden.“ Angewandte Forschung ist manchmal gar nicht so weit von der Grundlagenforschung entfernt.

Umgekehrt sehen sich Wissenschaftler in der Grundlagenforschung heute unter Druck, dass ihre Arbeit für die Gesellschaft nutzbar sein muss. Soziologen wie die inzwischen emeritierte Helga Nowotny von der ETH Zürich halten diesen Druck für ein Kennzeichen der heutigen Wissenschaft und haben für diesen neuen Betriebsmodus die englische Bezeichnung „mode 2“ geprägt. Es wird immer seltener Grundlagenforschung betrieben, bei der andere Forscher nachträglich prüfen, ob sich die Erkenntnisse praktisch verwerten lassen, so die Diagnose der Soziologen, und immer häufiger gleich so geforscht, dass praktische Probleme gelöst oder Fragen beantwortet werden können.