Auf dem Prüfstand: Experten aus anderen Bundesländern formulieren Erwartungen an die künftige Pädagogik in Baden-Württemberg.
Stuttgart - Was die Schule der Zukunft alles leisten soll, darüber besteht weitgehend Einigkeit. Sie soll Schüler individuell fördern. Sie soll den unterschiedlichsten Schülern gerecht werden, behinderte Schüler sollen neben nicht behinderten einen selbstverständlichen Platz haben und in der Gemeinschaftsschule sollen Schüler der unterschiedlichsten Leistungsniveaus zusammen unterrichtet werden.
Nur, wie die Lehrer das machen sollen, ist bisher wenig thematisiert worden. „In der ganzen Diskussion nach Pisa und Timss sind die Auswirkungen auf die Lehrerausbildung sträflich vernachlässigt worden“, konstatiert die Bildungsexpertin Sybille Volkholz. Mehr als zehn Jahre nach der ersten Pisastudie und 17 Jahre nach der ersten Timss-Untersuchung (Trends in International Mathematics and Science Study) holt die Landesregierung die Debatte nun für Baden-Württemberg nach.
Expertenkommission soll Lehrerberuf weiterentwickeln
Die Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) hat gestern eine Expertenkommission präsentiert, die bereits im Frühjahr 2013 Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Lehrerberufs vorlegen soll. Bauer erwartet, dass die zehn auswärtigen Fachleute Vorschläge zur verbesserten Kooperation zwischen Universitäten und Pädagogischen Hochschulen vorlegen und die neuen didaktischen Anforderungen an die Lehrer formulieren. Für Bauer steht fest, „Schüler benötigen individuelle Förderung, mehr gemeinsame Lernerfahrung und mehr Unterstützung jenseits der reinen Fachwissenschaft“. Die zweite Phase der Ausbildung, das Referendariat, sollen die Experten ebenso unter die Lupe nehmen wie die Praxissemester.
Die Federführung der Expertenkommission hat die frühere Berliner Schulsenatorin Sybille Volkholz. Bauer bezeichnete die Bildungsforscherin und ehemaligen Lehrerin als ausgewiesene Expertin. Volkholz sieht den größten Nachholbedarf Baden-Württembergs in der Chancengleichheit. Der Umgang mit einem breiten Leistungsspektrum und heterogenen Klassen ist für Volkholz die zentrale Kompetenz, die Lehrer neben der Fachlichkeit benötigen. Das gelte unabhängig von den Schularten. Das Lehramt der Zukunft wird sich wohl mehr an Altersstufen orientieren. Dieses Stufenlehramt streben Grüne und SPD in ihrem Koalitionsvertrag als Ziel an. Auch das Staatsexamen steht zur Debatte. Wie in den meisten anderen Bundesländern sollen die Lehrämter auf Bachelor und Master umgestellt werden.
Eignungstest für Lehrer nicht ausreichend
Volkholz kritisierte, die Universitäten hätten sich die Lehrerausbildung bisher „nicht zur ureigenen Aufgabe gemacht“. doch hätten sie „die höhere Expertise in den Fachwissenschaften“. Die Pädagogischen Hochschulen, die es nur in Baden-Württemberg gibt, seien dagegen in der Fachdidaktik besser aufgestellt. Volkholz hat nicht vor, an der PH zu rütteln. „Es geht darum, die Stärken beider zu stärken“. Den Hochschulen stellt sie die Frage, „können sie zusichern, dass die Absolventen für den Lehrerberuf geeignet sind“. Für den Eignungstest, den künftige Lehramtsstudenten im Internet ausfüllen müssen, hat Volkholz nur ein müdes Lächeln übrig. Er sei bei weitem nicht ausreichend.
Auch wenn die Expertengruppe das Ausbildungssystem ausdrücklich von außen untersucht, ist eine regelmäßige Rückkopplung mit den Einrichtungen im Land vorgesehen. Bereits im Juni soll ein Forum eingerichtet werden, zu dem beispielsweise auch die Lehrerverbände und Studenten eingeladen werden sollen. Wann die Lehrerausbildung tatsächlich geändert wird, ließ die Wissenschaftsministerin gestern noch offen. Bauer betonte jedoch „wir haben kein Interesse daran, das Thema auf die lange Bank zu schieben“.
Parallel zur Arbeit der Expertenkommission wird das Wissenschaftsministerium zusammen mit dem Bund neue Ansätze für die Lehrerbildung erproben. „In der Debatte ist eine enorme Dynamik“, sagte Bauer. Die Kultusministerkonferenz hat jüngst Eckpunkte zur Reform der Lehrerbildung verabschiedet. Auch dabei ist die Fortentwicklung mit Blick auf die Heterogenität und Inklusion ein Schwerpunkt. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) nennte die Reform der Lehrerausbildung überfällig, Inklusion und individualisiertes Lernen seien oft nur Randthemen in der Ausbildung.