Architekt Werner Sobek fordert „Politik muss Einfamilienhäuser verbieten“

Werner Sobek sitzt mit seinem privaten Heim buchstäblich im Glashaus. Foto: Zooey Braun

Der Stuttgarter Architekt Werner Sobek hält Einfamilienhaus-Siedlungen vor dem Hintergrund der Klimakrise für nicht mehr vertretbar. Er sieht die Politik und die Gesellschaft in der Pflicht.

Ludwigsburg: Karin Götz (kaz)

Stuttgart/Ludwigsburg - Er baut Häuser überall auf der Welt und lehrt am Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) der Universität Stuttgart. Werner Sobek ist für deutliche Worte bekannt. Er fordert – wie unlängst der grüne Bundestagsabgeordnete Anton Hofreiter – die Abkehr von Einfamilienhaus-Siedlungen.

 

Wie wohnen wir in 20 oder 30 Jahren?

Wenn man die CO2-Einsparungsziele der Bundesregierung und der Europäischen Union ernst nimmt – und es würde uns allen gut anstehen, sie mehr als ernst zu nehmen –, dann bedeutet das, dass wir nur noch halb so viel bauen dürfen wie bisher. Wir stehen vor einer gesellschaftlichen und bautechnischen Revolution. Es ist unsere Aufgabe, ein Bauen zu ermöglichen, das nie mehr so sein wird wie bisher.

Können Sie das konkretisieren?

Wir müssen viel dichter bauen und uns von Einfamilienhaus-Siedlungen, in denen Sie um das Haus laufen können, verabschieden. Solche Siedlungen sind in der heutigen Zeit nicht mehr vertretbar. Ich rede nicht dem Wohnen in der Stadt das Wort, sondern ich sage: Wir können es uns nicht mehr leisten, Streuselsiedlungen zu haben. Wir können es uns nicht mehr leisten, Häuser zu bauen, die auf allen vier Seiten Wärme abstrahlen. Und wir können uns auch die vielen Straßen und Leitungen nicht mehr leisten, die notwendig werden, wenn wir lauter Einfamilienhäuser bauen.

Wenn die Grünen das sagen, geht ein Aufschrei durch die Gesellschaft.

Aber sie haben recht. Die Leute sollen Haus an Haus wohnen – das kann man architektonisch toll gestalten, ohne dass es aussieht wie eine Reihenhaussiedlung. Denken Sie an Italien, die alten Städte – wir lieben sie, aber das ist alles Haus an Haus. Wenn die Leute nicht so klinisch separiert voneinander wohnen, haben sie vielleicht auch einen besseren Sozialkontakt.

Muss die Politik, müssen die Kommunen also beim Ausweisen neuer Baugebiete Einfamilienhäuser verbieten?

Ja, es ist deren Pflicht. Eine noch viel größere Aufgabe ist es aber, den Menschen die Probleme überhaupt klarzumachen. Wenn sie nicht wissen, dass jeder deutsche Bürger mehr Straßenfläche besitzt als Wohnraum, dann können sie beispielsweise die Argumentation der Grünen nicht verstehen.

Aber wie schaffen wir ein Umdenken in der Gesellschaft?

Nur durch Sprechen, nur durch Diskurs. Nicht, indem man die Menschen ins Abseits stellt oder gar angreift. Doch der erforderliche gesamtgesellschaftliche Diskurs ist verloren gegangen. Es gibt zu wenige Diskussionen im politischen Raum.

Viele Menschen werden sagen: „Na und – was geht das mich an?“

Klar kann man sagen „so what?“. Aber von den 46 Hektar, die wir jeden Tag versiegeln, sind große Teile bislang landwirtschaftlich genutzte Flächen. Das wiederum führt zu einem Minderertrag der Bauern und zu mehr Import an Nahrungsmitteln, zum Beispiel aus Südamerika, wo dann der Urwald gerodet wird.

Können Sie die von Ihnen angesprochene gesamtgesellschaftliche Veränderung definieren?

Alle Klimaforscher sagen, dass der Mittlere Westen der USA bis 2050 jedes Jahr eine ganze Reihe von Übertemperaturtagen haben wird. Also drei oder vier Tage, an denen es über sechs bis acht Stunden hinweg mehr als 36 Grad Celsius hat. Es gibt große Experimente, wo man diese Tage simuliert und den Ertrag an Mais und Getreide misst. Und schon bei zwei solchen Übertemperaturtagen fällt der Maisertrag um 20 bis 40 Prozent. Und das bedeutet wiederum eine Unterbrechung von Lieferketten, die Auswirkungen auch auf unsere Wirtschaft haben wird.

Was macht denn ein Gebäude zur Heimat?

Da gibt es zwei Ebenen: die visuelle Architektur, also im Wesentlichen sind das Linien, Flächen und Farben. Und es ist die nicht visuelle Architektur – das sind die Gerüche, das Fühlen, die akustischen bis hin zu thermischen Eigenschaften.

Ich kann mein Haus also riechen?

Ja, genau. Ich baue gerade ein 300 Meter hohes Haus in Dubai, und der Bauherr hat mich gefragt; „Werner, was ist das Besondere an meinem Haus?“ Meine Antwort lautete: „Mohammed, du wirst mit geschlossenen Augen in dieses Hochhaus gehen und riechen, dass du zu Hause bist.“

Lassen Sie uns noch über die mögliche Umsetzung einer verdichteten Bauweise sprechen. Was gibt es da für Optionen?

Ein Ansatz, den ich verfechte, ist, gewisse Funktionen in Wohnviertel auszulagern. Es braucht nicht jeder einen Hobbykeller. Wir müssen lernen, uns zu bescheiden. Bei uns hat jeder Schwabe ein Raclette- und ein Fonduegerät sowie mindestens ein Schleifgerät und einen Bohrer. Das macht keinen Sinn. 50 Prozent weniger CO2 heißt auch 50 Prozent weniger Bohrmaschinen.

Bedeutet Verdichtung aber nicht auch immer, dass man in die Höhe geht beim Bauen?

Mehr als fünf oder sechs Geschosse müssen nicht sein. Denn wenn man höher baut, braucht man pro Quadratmeter Wohnungsfläche auch mehr Material. Klar ist: Es gibt nicht ein Rezept, das alle Probleme löst. Man muss mit einem Baukasten an Rezepten und Methoden arbeiten. Und es braucht einen Plan, wie eine Stadt in 50 Jahren aussehen soll. Gemacht von kompetenten, mutigen Menschen, die vorangehen.

Jede Partei, jeder Bürgermeisterkandidat verspricht, bezahlbares Wohnen zu schaffen. Klingt gut, aber es gelingt nur selten.

Es gibt viele gelungene Beispiele, aber eben auch viele nicht gelungene. Schauen Sie: Die Herstellungskosten pro Quadratmeter Wohnfläche liegen selbst bei einem sehr guten Qualitätsstandard bei 4000 Euro bis 4500 Euro, aber eben nicht bei 15 000 Euro. Das Delta zwischendrin ist der Kapitalismus. Wenn wir das nicht wollen, müssen wir das Bauwesen umdrehen und eine Preisgrenze bei der Herstellung von Wohnraum festlegen. Deshalb bin ich noch lange kein Kommunist, aber ich bin daran interessiert, dass die Gesellschaft stabil bleibt. Jeder soll zehn oder 20 Prozent verdienen, aber eben nicht 80.

Sagt einer, der in einer Luxusimmobilie am Hang des Stuttgarter Talkessels lebt – ist das glaubwürdig?

Es ist schwierig – das gebe ich zu. Als ich erfolgreich war, habe ich mir einen wunderschönen Maserati gekauft. In einer Vorlesung über emissionsfreies Bauen stand ein Student auf und erwischte mich kalt, als er mich auf mein Auto hinwies. Seitdem fahre ich einen Elektro-Smart. Nichtsdestotrotz muss die Gesellschaft es aushalten, dass jemand, der 14 Stunden am Tag arbeitet, auch mal ein größeres Haus besitzt oder mehr Grün ums Haus hat.

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