Von der Seite aus betrachtet sieht das Haus fast ein bisschen aus wie ein großes Schiff, wie ein auf das Äußerste reduzierter und modern interpretierter Dampfer vielleicht. Die Garage, auf deren Dach eine durch ein Geländer gesicherte Terrasse liegt, ist der Bug mit Sonnendeck, das eigentliche Wohngebäude der stattliche Schiffskörper, der in den blauen Himmel ragt. Die Assoziation wird aber vor allem durch das riesige Bullauge geweckt, das im Dachgeschoss sitzt. Fehlt nur noch der schwarze Rauch, der aus dem Schlot, also dem Mansardenfenster aufsteigt. Dafür ist der Dampfer an sich pechschwarz, wie mit wasserdichter Teerfarbe gestrichen. Schiff ahoi!
Steht man im Inneren des Hauses und blickt aus dem Bullaugen-Fenster, denkt man tatsächlich, man gleitet über das Meer – ein Meer aus Bäumen, dem Wald rund um den Stuttgarter Stadtteil Heslach. Und fühlt sich wie der Herrscher all dessen. Diesen Ausblick darf die jüngste Hausbewohnerin genießen, deren Reich der Raum unter dem Dach und mit dem Bullauge ist. Im Parterre wohnt die älteste. Denn das Haus ist ein Zweifamilienhaus.
Es war nicht möglich, aus dem alten Haus ein Mehrgenerationenhaus zu machen
Doch von vorne. Einst stand hier ein kleineres Haus, eher schlicht, praktisch. Es passte in die Reihe der Häuser, die sich die Baumreute am Rande von Heslach hinaufzieht. In diesem Haus wohnte eine Mutter mit ihrem Sohn. Letzterer wurde groß und gründete in den USA eine Familie. Doch dann will er mit dieser nach Stuttgart ziehen. Zu diesem Zwecke sollte das Haus umgebaut werden, so, dass es sowohl der Mutter des Bauherren, ihm und seiner Frau sowie der kleinen Tochter taugt. „Es hat sich aber schnell gezeigt, dass in dem alten Haus ein Mehrgenerationenhaus nicht funktionieren konnte“, sagt Oliver Fischer, Architekt von Fischer Rüdenauer Architekten, der mit dem Projekt betraut worden war.
Deshalb entschloss man sich, das alte Haus abzureißen und ziemlich genau an der selben Stelle ein neues zu errichten. Groß. Imposant. Schwarz. Obschon das nur Zweidrittel der Wahrheit sind. Denn das andere, das untere Drittel des Hauses ist silbergrau. So prägen also das helle Grau des Sichtbetons, der Stahlteile und Fenster sowie die schwarze Holzfassade aus Weißtanne, die sich auch über das Schrägdach zieht, das Gebäude. Dennoch ist es massiv – und kein Holzhaus. Es tritt selbstbewusst und gleichzeitig sehr reduziert auf – und fügt sich dennoch in die Reihe der alten Häuser in der Nachbarschaft ein.
Ohne Vor- und Rücksprünge steht das Haus zu seiner minimalistischen und gleichzeitig zeitlosen Formensprache. „Es ist sozusagen eine Neuinterpretation der Stuttgarter Kaffeemühle“, sagt Fischer. In den 1920er und 1930er Jahren war diese würfelförmige Hausform sehr beliebt und wurde in Anlehnung an handbetriebene Kaffeemühlen so bezeichnet.
„Das Gelände ist sehr steil, das hier ist ein alter Weinberg“, sagt Fischer. Er hat es durch Zwischenebenen nutzbar gemacht, die mit unterschiedlich gestalteten Treppen verbunden sind. So ist dem Wohnhaus auf der Hangseite ein Gartenhaus gegenübergestellt, das die Funktion eines Sommerhauses oder Gästehauses hat. Der Sichtbetonkubus mit einer faltbaren Glasfassade bildet im Zusammenspiel mit dem Haus einen geschützten Hof, in dem man sich gerne aufhält. Noch eine Ebene höher gibt es eine Grillstelle mit Sitzplätzen und einem wunderbaren Ausblick. Dahinter steht eine Reihe alter Fichten. „So haftet dem Garten auch noch die Wildheit des Weinbergs an“, sagt Fischer.
Durch die zwei Farben des Hauses wird auch signalisiert, wer wo wohnt
Von dort möchte man eigentlich gar nicht mehr weg, aber freilich lockt die Aussicht, auch das Innere des Hauses zu erleben. Und man merkt beim Eintreten: durch die zwei Farben des Hauses wird auch signalisiert, wer wo wohnt: Im silbergrauen Bereich im Parterre die Mutter des Bauherrn, darüber im schwarzen Teil die junge Familie. Die kompakte Zweizimmerwohnung im Erdgeschoss wurde als offenes Raumgefüge entworfen und erweitert sich über große Fenster ins Freie. Der Blick reicht bis zum Fernsehturm. Die Fläche auf der Garage ist sozusagen ein erhöhter „Infinity-Vorgarten“: Die Straße ist von oben nicht sichtbar, Privatsphäre ist gegeben.
Das Untergeschoss auf Straßenebene dient der Unterbringung der Autos und der Fahrräder, es ist über eine Treppe im Haus erschlossen. Darüber hinaus sind in dieser Ebene der Hauswirtschaftsraum, der Haustechnikraum, Abstellräume und ein Wellnessbereich mit Fitnessraum, Sauna und Dampfdusche untergebracht.
Insgesamt verteilen sich die Räume vertikal auf fünf Ebenen. Ab dem Erdgeschoss bilden die Nebenräume einen mit Holz verkleideten Kern, der das Gebäude dreidimensional gliedert. Türen und Schränke werden quasi unsichtbar, da sie flächenbündig in die Wandverkleidungen integriert wurden.
Die drei oberen Ebenen bilden eine mehrgeschossige Wohneinheit. Im ersten Obergeschoss befinden sich der Wohn- und Essbereich mit offener Küche und Nebenräumen. Im zweiten Obergeschoss ist der Elternschlafbereich mit Ankleide, das Bad mit Marmorverkleidung und eine offene Familien-Lounge mit großzügigem Sofa angeordnet. Das Dachgeschoss öffnet sich mit zwei Gauben und dem großen runden Fenster in drei Himmelsrichtungen. Ein Kinderzimmer, ein weiteres Bad und ein Büro befinden sich auf der obersten Ebene.
Die Atmosphäre im Haus ist hell, freundlich – und nicht überkandidelt
Beim Inneren wurde an alles gedacht: massives Eichenparkett macht das Haus wohnlich – ebenso wie die Einbaumöbel und Wandverkleidungen aus Weißtanne. Feinsteinzeug und Naturstein bilden zusammen mit glatten, weißen Wand-, Decken- und Lackflächen die Oberflächen. Das strahlt Ruhe aus. Die Atmosphäre im Haus ist hell, freundlich – und nicht überkandidelt. Das alles zusammen hat natürlich seinen Preis: auf 2,5 Millionen belaufen sich die Kosten für das Haus.
Auch im Inneren das Außen der wahre Protagonist. Der einzigartige Ausblick wird durch große Schiebefenster noch einmal inszeniert – sie wirken wie große Bilder an der Wand. Die junge Familie ist noch nicht eingezogen, aber eines scheint sicher: Besonders die jüngste Bewohnerin wird von ihrem Bullauge aus den modernen Dampfer sicher in eine gute Zukunft lenken. Schiff ahoi!