Wohnungsministerin in Baden-Württemberg Wie wollen Sie die Wohnungsnot bekämpfen, Frau Razavi?
Die neue Ministerin Nicole Razavi soll die Wohnungsnot bekämpfen. Sie macht im Interview klar, das geht nicht ohne zusätzliche Fördermittel.
Die neue Ministerin Nicole Razavi soll die Wohnungsnot bekämpfen. Sie macht im Interview klar, das geht nicht ohne zusätzliche Fördermittel.
Stuttgart - Mehr Wohnungsbau ist das erklärte Ziel von Nicole Razavi. Verdichtung um jeden Preis lehnt sie aber ab. Sie will keine Politik gegen Einfamilienhäuser.
Frau Razavi, Sie führen ein Ministerium, das es noch nie gab. Die SPD hält es für überflüssig und teuer. Was entgegnen Sie?
Die beiden Themen Landesentwicklung und Wohnen bekommen jetzt in einem eigenen Haus einen ganz anderen Fokus und können ganz anders angetrieben werden. Das war eine ganz bewusste politische Entscheidung der Koalition. Man kann dieses Haus mit einem wendigen Schnellboot gegenüber einem trägen Tanker vergleichen. Das erlebe ich in allen Gesprächen mit den Referaten. Die Fachleute sind regelrecht begeistert. Da ist sehr viel Motivation und Aufbruchstimmung im Haus. Wir wollen auch unter dem Stichwort „shared services“ eine neue Idee umsetzen, um Personal und Kosten zu sparen: Wir werden bei der Organisation sowie bei Personal- und Hausverwaltung – also den sogenannten Querschnittsaufgaben – vom Wirtschaftsministerium unterstützt.
Sie übernehmen Abteilungen aus anderen Häusern. Geraten Sie zwischen die Stühle?
Nein, die Koalition hat den Ressortzuschnitt klar festgelegt. Der größte Teil unseres neuen Hauses kommt aus dem Wirtschaftsministerium. Von dort übernehmen wir die Abteilung Infrastruktur und Wohnungsbau. Dazu kommen Referate aus dem Landwirtschaftsministerium und aus dem Umweltministerium, die zu den beiden Großthemen Landesentwicklung und Wohnen einfach dazugehören.
Kommen neue Mitarbeiter hinzu?
Ja. Wir werden etwa für den Landesentwicklungsplan neue Mitarbeiter als Planer brauchen. Das ist ja auch eine neue Aufgabe für das Land und das Haus. Auch die Spitze des Hauses wird neu besetzt. Zum Beispiel die Zentralstelle und meine persönlichen Mitarbeiter, aber das wird alles sehr, sehr schlank sein.
Zu den Tücken des Aufbaus kommt, dass Sie als CDU-Ministerin eine grüne Staatssekretärin an der Seite haben. Ist das Bereicherung oder Kontrolle durch den großen Koalitionspartner?
Die Überkreuzbesetzung ist ein innovativer Versuch. Ich sehe das überhaupt nicht als Kontrolle. Es sind ja nicht manche Themen grün und andere schwarz. In unserem Haus ist auch der Planungsbereich für das Thema erneuerbare Energien angesiedelt. Beim Thema Wohnraumschaffen geht es um nachhaltiges Bauen und weniger Flächenverbrauch. Es ist doch spannend, die Aufgabe in einer zweifarbigen Besetzung gemeinsam hinzubekommen. Ich glaube, wir ergänzen uns hier gut.
„Weite Wege für Pendler sind nicht zumutbar“
Was sind die Hauptaufgaben des Ministeriums?
Wir sind ein Ministerium für Land und Leute und haben zwei Schwerpunkte: Der eine ist das Megathema, Wohnraum zu schaffen. Wohnen ist die zentrale soziale Frage der Zeit. Wenn Mietpreise explodieren und die Leute mit normalem Einkommen sich die Miete nicht mehr leisten können, dann stimmt was nicht. Die zweite Aufgabe ist, nach fast 20 Jahren einen neuen Landesentwicklungsplan aufzustellen. Das ist eine Mammutaufgabe, die uns intensiv beschäftigen wird und die das gesamte Land betrifft.
Gibt es Wohnungsnot in Baden-Württemberg?
Auf alle Fälle. Vor allem in den Ballungsräumen und den Universitätsstädten, aber auch mehr und mehr im ländlichen Raum. Wir können nicht wollen, dass sich jemand, der in Stuttgart arbeitet, in zwei, drei Stunden Entfernung eine Wohnung suchen muss und weite Wege zum Pendeln hat. Das ist nicht zumutbar und aus klimapolitischen Gründen unverantwortlich. Deshalb müssen wir die Rahmenbedingungen für bezahlbaren Wohnraum deutlich verbessern.
Was kann das Land dazu beitragen, Wohnraum zu schaffen?
Zunächst einmal wollen wir die Bürgerinnen und Bürger sowie die Kommunen motivieren, mehr in diesem Bereich zu investieren. Da gibt es ganz viele Stellschrauben. Darüber hinaus sind wir dabei, die Negativentwicklung im sozialen Wohnungsbau durch deutlich mehr Fördergelder zu stoppen. Wir brauchen dringend mehr Wohnangebote. Wir müssen aber gleichzeitig den Flächenverbrauch weiter reduzieren. Das sind zwei Dinge, die teilweise in Konkurrenz zueinanderstehen. Da muss man einen klugen Mittelweg finden. Man muss die Flächen innerorts für Wohnbebauung nutzen. Es gibt gute neue Ideen für den Geschosswohnungsbau. Zum Beispiel muss man prüfen, ob man auf Supermärkte, die in der Regel einstöckig sind, ein Stockwerk zum Wohnen draufsetzen kann.
Welche Möglichkeiten ergeben sich aus den Erfahrungen der Pandemie?
Wohnen und Arbeiten werden sich nach Corona stark verändern. Mehr Menschen werden von zuhause aus arbeiten. Es wird sich zeigen, ob das von der Wohnung aus möglich ist oder ob wir neue Formen von modernen und innovativen Arbeitsräumen schaffen müssen, die man flexibel anmieten kann, um sich das Pendeln zum Arbeitsplatz zu sparen. Das ist ein ganz spannendes Entwicklungsfeld.
Werden als Folge von Homeoffice Bürogebäude umgenutzt werden?
Verschiedene Firmen sagen, sie brauchen die große Zahl an Büroräumen nicht mehr. Es ist eine Riesenchance, diese in Wohnraum umzuwandeln und damit auch die Innenstädte neu zu beleben. Ich glaube schon, dass sich unsere gebaute Umwelt in Zukunft deutlich verändern wird.
„Ich will den Menschen nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben“
Die Koalition will auch prüfen, ob in Einfamilienhaussiedlungen nachverdichtet werden soll. Das könnte zu einem Aufschrei führen. Haben Sie ein Programm zur Akzeptanz von Nachverdichtungen?
Akzeptanz ist das Stichwort. Ich will den Menschen auf gar keinen Fall vorschreiben, wie sie zu leben und was sie zu tun haben. Wir wollen Anreize schaffen. Eventuell dafür, wie man aus dem Obergeschoss im klassischen Einfamilienhaus eine separate Wohnung machen kann, die vermietet werden kann. Ich möchte aber keine Politik gegen Einfamilienhäuser, da habe ich eine ganz klare Haltung.
Ihr wichtigster Hebel sind Förderprogramme. Die Koalition stellt alles unter Finanzierungsvorbehalt. Gibt es Programme, die bleiben müssen?
Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode die Wohnraumoffensive erfolgreich gestartet. Sie wirkt und der Grundstücksfonds wirkt auch. Mit dem Fonds können wir Kommunen, die selber nicht die finanziellen Möglichkeiten haben, unterstützen, brachliegende Grundstücke zu erschließen. Beides zeigt: Ohne Förderprogramme wird es nicht gehen. Natürlich steht alles unter Finanzierungsvorbehalt, aber das erklärte Ziel der Koalition, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, ist ohne zusätzliche Fördermittel nicht zu erreichen.
Richten Sie eine Landeswohnbaugesellschaft ein?
Nein, das brauchen wir nicht. Eine Wohnbaugesellschaft schafft keine einzige neue Wohnung.
Was können Sie sonst noch tun?
Wir müssen Planungsverfahren beschleunigen, die dauern zu lange. In Baden-Württemberg ist die Zuständigkeit sehr kleinteilig. Man muss sehen, ob das weiterhin so sein muss. Die Verwaltungen sind teilweise überlastet. Wir haben viel Nachholbedarf beim Thema Personal, und wir müssen die Digitalisierung fürs Bauen nutzen.
Ihre zweite Schwerpunktaufgabe ist ein neuer Landesentwicklungsplan. Wozu braucht es den?
Der alte Landesentwicklungsplan ist über 20 Jahre alt. In dieser Zeit hat sich unsere Vorstellung, wie wir leben wollen, stark verändert. Wir müssen uns fragen: Was müssen wir tun, damit der Mensch im Dorf bleibt? Wo Bäcker, Metzger, Schule und Kindergarten fehlen und es keine medizinische Versorgung gibt, will keiner wohnen. Niemand wird in Zukunft irgendwo hinziehen, wo es keinen Breitbandanschluss gibt. Gewerbe und Industrie kommen hinzu. All das müssen wir in ein stimmiges Verhältnis bringen. Auch Natur und Umweltschutz spielen eine Rolle. Mit dem Landesentwicklungsplan skizzieren wir, wie Baden-Württemberg als intaktes Gefüge in Zukunft aussehen soll. Das hat viel mit der Identität des Landes und mit dem Zusammenhalt in der Gesellschaft zu tun.
Im Koalitionsvertrag ist viel von Beteiligungsverfahren die Rede. Das klingt extrem langwierig. Andererseits stehen Sie unter Zeitdruck. Was ist überhaupt möglich?
So etwas kann man nicht ohne die Menschen und Planungsträger machen. Das ist ein riesiger Dialogprozess. Da sind die fünf Jahre nicht gerade üppig bemessen.
Wann fängt das Haus mit der Arbeit an?
Das haben wir bereits und werden hoffentlich bald als Ministerium so richtig ins Rollen kommen.