Der „Spiegel“ trennt sich von seinem Chefredakteur Wolfgang Büchner. Seit seinem Amtsantritt 2013 lag er mit der Redaktion des Hamburger Nachrichtenmagazins im Clinch. Sein Nachfolger wird aller Voraussicht nach Klaus Brinkbäumer.

Stuttgart - D

 

as war eine schwere Geburt. Erst dauerte es Monate, bis die Gesellschafter des Spiegel-Verlags einsahen, dass die Redakteure des Magazins Wolfgang Büchner möglicherweise doch nicht grundlos für den falschen Chefredakteur hielten. Weitere Wochen vergingen, ehe sie einen Beschluss fassten und in einen Abfindungspoker gingen, während sie den Mitarbeitern noch vorgaukelten, alles bliebe beim Alten. Noch in der vergangenen Woche führte Büchner Einstellungsgespräche, um den Posten des Wirtschaftschefs neu zu besetzen. Ernst konnte das alles niemand mehr nehmen. Nun hat die Farce ein Ende – und bis auf Weiteres werden die Vizechefs den Laden übernehmen: Klaus Brinkbäumer und Clemens Höges leiten die Printredaktion, Florian Harms und Barbara Hans leiten Spiegel Online.

Noch stehen Vertragsverhandlungen aus, aber es wird darauf hinauslaufen, dass Brinkbäumer Chefredakteur wird und Harms sein Stellvertreter, zuständig fürs Digitale. Büchner verlässt das Haus. Der Geschäftsführer Ove Saffe, der Büchner via Pressemitteilung noch ausführlich danken durfte, wird den „Spiegel“ ebenfalls über kurz oder lang Adieu sagen.

Übernimmt Klaus Brinkbäumer?

Klaus Brinkbäumer, 47, ist seit 1993 beim „Spiegel“. Mit Journalismus in Berührung gekommen ist der Münsteraner bei den „Westfälischen Nachrichten“. Nach dem Volontariat bei der längst eingestellten Zeitschrift „Weltbild“ ging er nach München, studierte Psychologie, spielte aber vor allem Volleyball und landete im Sportressort der damals noch ambitionierten, linken „Abendzeitung“. Auch sein Politikstudium im kalifornischen Santa Barbara finanzierte er sich durchs Ballspiel am Netz. Nach der Wende ging Brinkbäumer zum „Berliner Kurier“, wo er dem damaligen Sportchef des „Spiegel“, Heiner Schimmöller, durch seine Doping-Recherchen auffiel. Im „Spiegel“ angekommen, durchlief der Hobbysegler das Deutschland- und Auslandsressort, war Reporter in New York und schrieb Bücher wie „Die Akte Graf – Reiche Steffi, armes Kind“. 2007 erhielt er für seine auch als Buch erschienene „Spiegel“-Reportage „Die afrikanische Odyssee“ den Egon-Erwin-Kisch-Preis. Unter Büchners Vorgänger Georg Mascolo wurde Brinkbäumer Textchef, leitete die Redaktion später kommissarisch mit Martin Doerry und war zuletzt stellvertretender Chefredakteur.

Eine von Brinkbäumers wichtigsten Aufgaben wird nun sein, Ruhe in die vom Kämpfen erschöpfte, übers Warten verzweifelte Redaktion zu bringen. Gleichzeitig muss er das zerrüttete Verhältnis zwischen Print und Online reparieren. Das wird Brinkbäumer leichter fallen als jemandem, der von außen gekommen wäre. Er weiß um die wirtschaftliche wie publizistische Bedeutung der Marke „Spiegel“, kann zuhören, vermag gute Texte von schlechten zu unterscheiden und hat sich als interimistischer Chefredakteur mit ordentlichen Heften, guter Auflage und konstruktiver Stimmung in der Redaktion Akzeptanz und Respekt erworben. Sollte er Print und Online partiell zusammenführen, steht er – anders als sein Vorgänger Büchner – nicht im Verdacht, dies deshalb zu tun, um sich von Gegnern zu trennen.

Vor großen Herausforderungen

Die Erleichterung, die mit seiner Berufung einkehrt, muss Brinkbäumer aber auch in Energie ummünzen. Von Januar an erscheint der gedruckte „Spiegel“ immer samstags. Darauf haben sich alle Konkurrenten vorbereitet, nur nicht der „Spiegel“ selbst mit seinem monatelangen Führungsvakuum. Es gilt daher, die Redaktion zu Höchstleistungen anzutreiben. Vor allem aber muss das Magazin wieder mit exklusiven Geschichten von sich reden machen und dabei alle Ausspielwege nutzen, gedruckt wie digital. Konzepte dafür gibt es auch in Brinkbäumers Schubladen, darüber nachgedacht wird ja schon lange genug. Mehrere Gründe haben dazu geführt, dass die Neuorientierung so lange auf sich warten ließ. Es lag insbesondere an Saffe, der sich bis zuletzt an Büchner geklammert hat und die in seinen Augen unführbare Redaktion nicht obsiegen lassen wollte. Lieber riskierte er sein eigenes Amt. Folglich musste für Saffes bis 2018 laufenden Vertrag eine Lösung gefunden werden. Mit deutlich begrenzter Handlungsfreiheit darf er übergangsweise bleiben.

Groß war zudem die Angst vor einer nochmaligen Fehlbesetzung der Chefredaktion. Entsprechend wurden an einen Nachfolger höchste, kaum von einer einzigen Person zu erfüllende Ansprüche gestellt. Selbst den Erstligisten in der deutschen Publizistik trauten die Gesellschafter nicht zu, den „Spiegel“ gedruckt wie digital erfolgreich zu führen. An Brinkbäumer, der dabei sehr lange hingehalten wurde, liegt es nun, ein Team um sich zu bilden, das allen Kompetenzen gerecht wird.