Die Firma ThyssenKrupp will das höchste Bauwerk Baden-Württembergs doch erst im nächsten Jahr angehen. Derweil wächst in der Rottweiler Bevölkerung der Widerstand.

Rottweil - Der Himmel kann warten. Baden-Württembergs höchster Turm wird frühestens Anfang kommenden Jahres in Angriff genommen werden. Dies ist das Ergebnis einer Ausschusssitzung des Rottweiler Gemeinderates am Mittwoch Abend. Statt den 235 Meter großen Koloss schon Ende diesen Jahres in einem beschleunigten Verfahren aus der Erde zu stampfen, gönnt die Firma ThyssenKrupp Elevator dem Großvorhaben vier bis fünf Monate mehr Zeit.

 

Die Stadt Rottweil hat so die Gelegenheit erhalten, statt eines beschleunigten ein ganz normales Bebauungsplanverfahren für das vorgesehen Areal im industriehistorischen Neckartal umzusetzen. Ein Umstand, den die immer zahlreicher werdenden Gegner des 40 Millionen Euro teuren Projekts kritisiert hatten. Nun haben sie Gelegenheit, ihre Bedenken zu formulieren. Verantwortlich aber für den Zugewinn ist keine tiefere Einsicht der Verwaltung um den parteilosen Oberbürgermeister Ralf Bross, der als einer der eifrigsten Projektbefürworter in Erscheinung getreten ist.

Die in Neuhausen auf den Fildern ansässige ThyssenKrupp-Tochter hat sich für das Vorhaben mehr Zeit erbeten und sucht noch einen Generalunternehmer. Einer Zustimmung des Rates scheint man sich gewiss. Doch die Entscheidung, ob das Bauwerk tatsächlich entsteht, will der Gemeinderat erst Ende des Jahres fällen.

Platz für zehn Aufzugschächte im Turm

Mit dem Turm will ThyssenKrupp Elevator Hochgeschwindigkeitsaufzuge für 600 Meter hohe Wolkenkratzer testen, wie sie vor allem in Asien konzipiert werden. In dem Turm soll Platz für zehn Aufzugsschächte sein. Diese legen zehn Meter in der Sekunde zurück und können die Strecke des Rottweil-Towers in gut 20 Sekunden bewältigen. Für den weltweit aufgestellten Konzern, der mit 47 000 Mitarbeitern in 150 Ländern einen Umsatz von 5,7 Milliarden Euro erwirtschaftet, erscheine Rottweil als der ideale Standort. Man sei erfreut über den „breiten Rückhalt“, den das Vorhaben im Gemeinderat wie auch bei den Bürgern habe, teilt der Konzern mit.

Auf den Fildern kann das Unternehmen einen solchen Testturm nicht aufstellen, da er den Flugverkehr gefährden würde. Nun soll die internationale Kundschaft an die „Innovationsachse“ Zürich-Rottweil-Stuttgart angedockt werden. Die ideale Verwertungskette würde dann so funktionieren: Der Kunde landet am Flughafen Zürich an, wird nach Rottweil gekarrt, bestaunt die Hochgeschwindigkeitsaufzüge und fährt dann weiter nach Neuhausen, um dort den Vertrag zu unterschreiben.

Obgleich er noch gar nicht gebaut ist, hat der Turm bereits die Atmosphäre in der ältesten Stadt Baden-Württembergs mit ihren 25 000 Einwohnern nachhaltig vergiftet – trotz allem Entgegenkommen des Konzerns. Die Projektgegner befürchten, dass der Turm das Erscheinungsbild der ältesten Stadt Baden-Württembergs beeinträchtigen wird. Sie sehen aber auch das idyllische Neckartal mit seinen historischen Industriebauten als gefährdet an. 84 Fragen auf elf Seiten haben die Widerständler, darunter ein ehemaliger Stadtarchivar und Vertreter des Geschichts- und Altertumsvereins, an die Verwaltung gesandt. Sie fühlen sich schlecht informiert. „Dieses Projekt erschlägt uns“, klagt auch die Geigenlehrerin Ute Bott, die Sprecherin der Initiative gegen den Turm. Die Dimensionen des Projekts seien geschönt, sagt Bott, die zusammen mit ihren Mitstreitern realistische Ansichten und Modell fordert.

Wird der Turmbau zu „Rottweil 21“?

Bott wohnt im Neckartal und hat erlebt, wie die Anwohner den Industriebrachen wieder Leben eingehaucht haben. Der auf dem Gelände einer traditionsreichen Pulverfirma geplante Turm könnte diese Idylle zerstören, befürchtet Bott. Sie und ihre Mitstreiter sind sich sicher das Vorhaben noch verhindern zu können. Vorsorglich haben sie sich einen Anwalt genommen, der alle juristischen Schritte prüft.

OB Bross lässt die Einwände nicht gelten. Was man gegen Türme haben könne? Rottweil sei doch eine Stadt der Türme. Der Wassertum, eines der Wahrzeichen, hat demnächst ausgedient. Der Aufzugtestturm werde 15 Meter tief in den Fels gerammt und die Baumgrenze wegen der Tallage um nicht mehr als 125 Meter überragen. Bross will für seine Stadt eine „Jahrhundertchance am Schopfe packen und Rottweil an die Weltwirtschaft koppeln. Die zahlende Kundschaft soll in 200 Meter Höhe auf eine Aussichtsplattform mit Gastronomie transportiert werden.

Die Partner für das Fremdenverkehrsgeschäft zu suchen, sieht die Firma ThyssenKrupp nicht als ihre Aufgabe an. Im Ausschuss kommt das nicht zur Sprache. Dort lässt Bross kaum eine Diskussion zu. Auch in der mittelständischen Wirtschaft sieht manch einer diesen „Aufbruch ins dritte Jahrtausend“ als derart geglückt an, dass man das Vorhaben glatt „Rottweil 21“ nennen könnte.