Auch Woody Allen ist noch für Überraschungen gut. In „Irrational Man“ erzählt er von einem lebensmüden Mann, der sich mit Mordplänen wieder aufmuntert. Und Allen bemüht sich, dabei nicht zu ernst und düster zu werden.

Stuttgart - Kierkegaard, Nietzsche, Kant und Heidegger – der Philosophieprofessor Abe Lucas (Joaquin Phoenix) kennt ihr Denken. Aber als er seine neue Stelle an einem kleinen College auf Rhode Island antritt, bekommt er nicht nur Angebote zum höheren Diskurs. „Wenn Sie mal wissen wollen, wer an der Uni wen fickt, wenden Sie sich vertrauensvoll an mich“, bietet ihm die Frau eines Kollegen an. Abe ist keineswegs geschockt, bestätigt die Offerte doch jene Erkenntnis, die ihm die Lust an seinem Job geraubt hat: das reale Leben und die hehre Philosophie sind zweierlei.

 

Mit „Gier, Hass, Massenmorde“ fasst Abe für seine Studenten die Realität mal zusammen. In diesem Moment hört man in Woody Allens neuem Film „Irrational Man“ ein Echo früherer, von Allen selbst gespielter Figuren, die ihre Verzweiflung durch Übertreibung belächelbar gemacht haben. Aber es bleibt wirklich nur ein Echo.

Ein angeblich böser Richter

Der massige Joaquin Phoenix, der Abe lebensmüde und dauerberauscht darstellt, fischt nicht nach Lachern. Er kehrt das Traurige der Figur hervor. Abe, der früher in Affären Trost suchte, ist nun vor Bedrücktheit impotent. Auch die Avancen der vom seelischen Pflegefall faszinierten Studentin Jill (Emma Stone) können daran zunächst nichts ändern – jedenfalls bis zu jenem Moment, in dem Abe Lucas sich entschließt, einen Richter, den er gar nicht kennt, über den er aber Böses gehört hat, aus der Welt zu schaffen.

Einzugreifen in die Realität, und zwar mit einem Akt moralischer Grenzüberschreitung, das weckt in Abe alle Lebensgeister. Und das wiederum war manchen Filmkritikern doch zu viel beziehungsweise zu wenig: Die leichte, dahinflatternde Machart von „Irrational Man“, so monierten sie, stünde in keinem Verhältnis zu den aufgeworfenen Fragen.

Frei von Fesseln

Tatsächlich brennt Woody Allen hier weder das Pointenfeuerwerk seiner Stadtneurotiker-Phase ab, noch lässt er Bergmansche Düsternis in den Film sinken, wie er das zu anderen Zeiten getan hätte. Der lockere Erzählstil von „Irrational Man“ ist keine Schwäche, sondern Absicht. Allen verweigert Abe so die volle Zustimmung zu dessen Schwermut und vermittelt doch die Befreitheit dessen, der sich von moralischen Fesseln gelöst hat.

Statt Swing der dreißiger und vierziger Jahre, mit dem Allen oft und gern wehmütige Nostalgie bekundete, legt er nun Klavierjazz der Sechziger unter die Bilder. Mehrfach ist Ramsey Lewis’ Version von „The In-Crowd“ aus dem Jahr 1965 zu hören. Das war in der Ursprungsfassung von Dobie Gray ein Popsong, der sich über Arrivierte, die gerne hip wären, lustig machte. Allen bespöttelt so seine Figuren, einerseits.

Botschaften der Musik

Andererseits dürfte Allen nicht entgangen sein, dass Lewis’ „The In-Crowd“ die letzte Jazz-Single war, die zum Pophit wurde, Symbol einer für Jazzfans traurigen Zeitenwende also. So lässt der Regisseur Pessimismus in den aufgeweckten Sound schlüpfen. Aber man muss ihm gar nicht so weit in seine Spielereien folgen: „Irrational Man“ ist ein niedrigschwelliges Angebot für alle, die schon mal dachten, das gewaltsame Hinscheiden bestimmter Personen werde die Welt besser machen. Das Nachdenken darüber will Allen nicht zu schwer halten: je philosophischer etwas wird, könnte Abe sagen, desto weltfremder wird es.

Irrational Man. USA 2015. Regie: Woody Allen. Mit Joaquin Phoenix, Emma Stone, Parker Posey, Jamie Blackley. 95 Minuten. Ab 12 Jahren.