Zum ersten Mal hat eine Zahnärztin in der Vesperkirche in Stuttgart eine Sprechstunde angeboten. Eine zahnärztliche Behandlung ist in den Räumen eher schwierig, doch der Rat von Annette Siebert-Steeb ist für viele Menschen essenziell.

Stuttgart - Die Antwort auf die Frage, wann der Vesperkirchen-Besucher Manfred das letzte Mal beim Zahnarzt war, könnte eindeutiger nicht sein: Der 64-Jährige lacht herzlich auf und an der Stelle, an der sich Zähne befinden sollten, offenbart sich nur das Zahnfleisch. „Bestimmt zehn Jahre nicht mehr, ich habe einfach Angst vor Zahnärzten, das ist ganz schlimm“, sagt er schließlich und ergänzt, mit Stolz in der Stimme: „Aber Frau Doktor macht mir jetzt ein Gebiss.“

 

Manfred ist schon das zweite Mal in der Sprechstunde von Annette Siebert-Steeb, an insgesamt drei Nachmittagen können sich Manfred und die anderen Vesperkirchen-Besucher von der Zahnärztin beraten lassen. Eine zahnärztliche Behandlung ist in den Räumen doch eher schwierig, sagt Siebert-Steeb, als sie die Stirnlampe anknipst, um sich zumindest einen Eindruck vom Gebiss des Mannes verschaffen zu können: „Ich kann ja nicht meine Praxiseinrichtung hier mit herbringen. In den allermeisten Fällen kann ich aber beratend zur Seite stehen.“

Beratung statt Behandlung

Wie zum Beispiel im Fall der ehemaligen Lehrerin Doro, die zwar in zahnärztlicher Behandlung ist, der aber ihr Arzt so hohe Kosten veranschlagt hat, die für sie unmöglich zu bezahlen sind. „1600 Euro sind eigentlich nicht viel“, sagt sie und erklärt, etwas entschuldigend, „aber ich habe es einfach nicht.“ In ihrer Schultertasche hat sie viele Rechnungen dabei, sie holt sie alle kopfschüttelnd heraus, sagt: „Alle unbezahlt“ – und fängt an zu suchen. Nach ein paar Minuten hat sie das fehlende Dokument, gibt es an Siebert-Steeb weiter. Innerhalb weniger Sekunden hat sie Tipps für die Patientin: „Erst mal sollten Sie den Zahnarzt wechseln, der ist bekannt dafür, hohe Rechnungen zu schreiben. Ich gebe Ihnen mal die Adresse von einer unabhängigen Patientenberatung.“ Eidesstattliche Versicherung, Offenbarungseid – das wären dann die nächsten Schritte. Doro seufzt zunächst, bedankt sich schließlich, packt die Rechnungen wieder ein. Es ergibt sich eine kurze Pause für die Zahnärztin und ihre Assistentin.

„Die Dame war ein gutes Beispiel dafür, dass man auch als Akademiker schnell abstürzen kann“, sagt die 36-Jährige. Sie sei selber sehr behütet aufgewachsen und „wollte immer etwas zurückgeben“. Als Siebert-Steeb dann von der Vesperkirche erfahren hat, entschloss sie sich, ehrenamtlich zu helfen. Berührungsängste zu den Besuchern der Vesperkirche hat sie dabei nicht, sagt sie: „Vielen Patienten, die zu mir kommen, muss ich erst mal wieder die Wertschätzung zurückgeben, die sie bei anderen Kollegen verloren haben.“ Auf die Frage, warum sie das macht, antwortet sie achselzuckend: „Ist wahrscheinlich mein Helfersyndrom.“

Die Zahnärztin nimmt sich viel Zeit für ihre Patientin

Mit älteren Menschen kann Siebert-Steeb besonders gut umgehen; das sagt sie von sich selber, das sagen aber auch die älteren Patienten, die die Sakristei der Leonhardskirche nach dem Gespräch wieder verlassen. Die Zahnärztin nimmt sich Zeit: Sie hört zu, erklärt anschaulich die Probleme im Mund. Eine Patientin ist fast eine halbe Stunde im Gespräch. Am Ende hat sie mehr bekommen als nur eine zahnärztliche Beratung. „Danke“, sagt die zierliche, ältere Dame und ergänzt: „Wissen Sie, wenn ich sonst zum Zahnarzt gehe, sagt der immer nur: ,Ich bin mit Ihnen zufrieden.‘“

Nach drei Stunden ist die Sprechstunde vorbei. Einmal wird Siebert-Steeb in diesem Jahr noch kommen, um Rede und Antwort zu stehen – und um Manfred sein neues Gebiss anzupassen. Nächstes Jahr möchte die Zahnärztin wöchentlich kommen. Der Bedarf ist schließlich vorhanden.