Italien und Spanien kommen billiger an Geld als die USA. Die Krise in der Eurozone schwelt trotzdem weiter.

Stuttgart - In der kommenden Woche befasst sich die Europäische Zentralbank (EZB) mit der Zukunft ihres Programms zum Ankauf von Staatsanleihen. Dieses Programm, mit dem die EZB die Zinsen in den Ländern der Eurozone tief in den Keller gedrückt hat, sollte ursprünglich bis September 2016 laufen; zwischenzeitlich wurden die monatlichen Aufkäufe sogar auf 80 (zuvor 60) Milliarden Euro erhöht und bis März 2017 verlängert. Und dann? „Aus unserer Sicht ist eine Verlängerung des Anleihekaufprogramms am wahrscheinlichsten“, schreiben die Ökonomen der Commerzbank. Damit stehen die Frankfurter nicht alleine. Die Deka-Bank hat schon im Juli vorausgesagt, dass EZB-Präsident Mario Draghi die Verlängerung nach der Ratssitzung am 8. September formell verkünden wird. Dass die Notenbank beschließt, ihre Käufe zu reduzieren, gilt an den Finanzmärkten als unwahrscheinlich, da die Krise der Eurozone weiterschwelt.

 

Zumindest ein wesentlicher Unterschied zu der Phase zu Beginn des Jahrzehnts besteht: Die hohen Risikozuschläge, die die hoch verschuldeten Euro-Staaten damals in Kauf nehmen mussten, sind faktisch abgeschafft. Länder wie Italien und Spanien müssen ihre zehnjährigen Staatsanleihen nicht mehr mit mehr als sieben Prozent bedienen; ein Zinssatz von einem Prozent reicht. Sogar die USA zahlen einen halben Prozentpunkt mehr. Eine Ausnahme ist seit jeher Griechenland, dessen Zehn-Jahres-Papiere aber auch zu nur noch acht Prozent am Markt sind, und seit jüngerer Zeit Portugal. Die Anleihen des Fußball-EM-Gewinners stehen kurz davor, auf Ramschniveau herabgestuft zu werden; es fehlt lediglich noch das Votum einer Ratingagentur. Gemessen daran werfen die Papiere mit drei Prozent keine üppige Rendite ab.

Zahlen der Bundesbank deuten auf Kapitalflucht hin

Eingesetzt hat die europaweite Talfahrt der Zinsen freilich nicht mit den ersten Anleihekäufen der EZB, sondern lange vorher. Genauer: im Juli 2012, als Draghi in London versprach, die Notenbank werde die Gemeinschaftswährung Euro um jeden Preis retten („The ECB is ready to do whatever it takes to preserve the Euro“). Ihren Tiefpunkt erreichten die Zinsen im Frühjahr 2015 – zu dem Zeitpunkt, als die EZB mit den Käufen gerade begann. In der Folgezeit stiegen die Zinsen sogar, gingen dann aber wieder trotz des Votums der Briten, aus der EU auszutreten, auf Kurs nach unten. Obwohl die Zinsen niedrig sind, schwelt die Krise der Eurozone weiter.

Der Commerzbank-Volkswirt Ralph Solveen kritisiert wie die meisten Vertreter seiner Zunft in Deutschland, dass die Risikozuschläge für einzelne Länder so gut wie verschwunden sind, so dass die Höhe der Zinsen keinen Hinweis mehr auf die Gefahr des Ausfalls einer Anleihe gibt: „Das ist nicht gut“, sagt er. Solveen hat im Mai in einem Papier darauf hingewiesen, dass die aus Sicht der Investoren unterschiedliche Bonität der EU-Mitglieder nunmehr auf andere Weise sichtbar wird: durch die Forderungen und Verbindlichkeiten der nationalen Notenbanken innerhalb des EZB-Systems, die auf Kapitalumschichtungen hindeuten: weg aus Italien, Spanien und Portugal; hin nach Deutschland, Finnland und in die Niederlande. Die Auslandsposition der Bundesbank war im Juni mit Forderungen in Höhe von netto 681 Milliarden Euro so hoch wie seit 2012 in der Hochphase der Eurokrise nicht mehr (im Juli ging der Saldo etwas zurück). „Dieser Anstieg ist Grund zur Sorge, da er wie damals Kapitalflucht aus Risikoländern wie Italien und Spanien signalisiert“, sagt Heinz-Werner Rapp, Vorstand und Chefstratege des Investmentberaters Feri in Bad Homburg. Ein wichtiger Auslöser dafür, so sagt er, sei die ungelöste Bankenkrise in Italien, aber auch die politische Unsicherheit in dem Land durch den ungewissen Ausgang des Verfassungsreferendums. Rapp nennt die Beseitigung der Risikozuschläge durch die EZB-Anleihekäufe „eine massive Verschleierung tatsächlicher Risiken“. Er sieht die EZB auf einem „fragwürdigen und zunehmend gefährlichen Weg“.

Die Deutsche Bank plädiert dafür, den Druck zu erhöhen

Ins gleiche Horn blasen die Ökonomen Stefan Schneider und Stewart Kirk von der Deutschen Bank in ihrer Analyse „Die EZB muss Kurs ändern“, weil trotz der Senkung der Zinsen „auf den niedrigsten Stand seit 20 Generationen“ die Investitionen nicht in Gang kommen. Das Wachstum ist schwach und die Stabilitätsregeln der Eurozone werden immer wieder verletzt. Die Deutsche Bank glaubt, dass die Staaten der Eurozone nur dann einen Anreiz haben, ihre Haushalte in Ordnung zu bringen, wenn ihre Anleihen wieder zu Marktpreisen gehandelt werden. Anders in der aktuellen Situation: „Die Regierungen müssen keine steigenden Kreditkosten mehr fürchten, wenn sie Reformen verschleppen oder ihre Schulden immer weiter wachsen lassen.“ Die Folge: „So wächst auch sechs Jahre nach Ausbruch der europäischen Schuldenkrise die Gesamtverschuldung in der Eurozone stetig weiter.“

Das Defizitproblem hat sich nicht entschärft, obwohl die Staaten Zinskosten in Milliardenhöhe sparen. Nach Berechnungen der DZ Bank hat Draghi seinen Landsleuten in Italien von 2012 bis 2015 Zinsausgaben von insgesamt 52,6 Milliarden Euro erspart. Für Spanien beziffert die Bank diese „Draghi-Dividende“ auf 20,8 Milliarden Euro, für Frankreich auf 6,9 Milliarden Euro. Die Staatsbank KfW kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Da ein Großteil der Anleihen Italiens und Spaniens erst 2016 und 2017 fällig wird und dann zinsgünstig verlängert werden kann, winken dem Duo weitere hohe Ersparnisse. Die DZ Bank rechnet hoch, dass Italien von 2012 bis 2022 um insgesamt 669,5 Milliarden Euro entlastet wird (Annahme: Die Zinsen bleiben auf dem Niveau von Ende 2015); Spanien würde 300,7 Milliarden Euro sparen.