Wer zuckerkrank ist, hat ein höheres Risiko, depressiv zu werden. Umgekehrt gilt auch: Depressionen können Diabetes auslösen.

Stuttgart - Wenn jemand Zucker hat, ist das keineswegs so harmlos, wie es der Volksmund vielleicht glauben macht. An den Folgen des Diabetes sterben in Deutschland statistisch gesehen mehr Menschen als an Krebs. Experten sprechen gar von einer weltweiten Epidemie des Diabetes Typ 2. Zwei prominente Risikofaktoren gibt es: zu viel essen, zu wenig Bewegung. Wird Diabetes nicht behandelt, kann das schwere Folgen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall haben.

 

Das Thema ist brisant, deshalb haben sich auch bereits rund 5000 Diabetes-Experten aus 20 Nationen zum Erfahrungsaustausch auf dem Stuttgarter Diabeteskongress 2012 angemeldet, der vom 16. bis 19. Mai im Kongresszentrum stattfindet.

Im Vorfeld des Kongresses berichtet der Psychologe Bernhard Kulzer vom Zusammenhang zwischen Diabetes und Depression. „Diabetes ist ein Risikofaktor für Depression. Depression kann aber auch eine Diabetes auslösen“, sagt Kulzer, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Psychologie, die den Kongress in Stuttgart ausrichtet. Jeder achte Diabetiker leide an einer Depression, jeder fünfte an erhöhter Depressivität. Nur 40 Prozent der depressiven Diabetes-Patienten werden in der Praxis überhaupt als solche erkannt. Kulzer zufolge haben depressive Menschen ein um 30 Prozent höheres Risiko, an Diabetes Typ 2 zu erkranken. Hierfür sei weniger der Lebensstil der Betroffenen, als vielmehr die Gabe von Antidepressiva verantwortlich, die zu einer Gewichtszunahme und zu einer verminderten Reaktion der Zellen im Körper auf Insulin führen könnten.

Der Teufelskreis von Stress und Insulin

Ein Teufelskreis: zusätzlich beeinträchtige chronischer psychischer Stress die Wirkung von Insulin und ziehe Schlafstörungen nach sich. „Diese können zu entzündlichen Veränderungen an den Blutgefäßen führen“, sagt Kulzer. Der Grund für eine Depression als Folge einer Diabetes kann also der Stressfaktor sein. Sieben Millionen Menschen sind bereits heute in Deutschland an Diabetes mellitus vom Typ 2 erkrankt, weitere drei Millionen leiden Schätzungen zufolge an der Krankheit, ohne davon zu wissen. Diametral zu den steigenden Patientenzahlen befürchten Experten wie Thomas Haak, Chefarzt am Diabetes-Zentrum in Bad Mergentheim, einen Nachwuchskräftemangel. Innerhalb der vergangenen zehn Jahren hätte sich in Deutschland die Zahl der Lehrstühle an den Universitäten auf weniger als zehn halbiert, sagt auch sein Kollege Andreas Fritsche, Sprecher der Deutschen Diabetes Gesellschaft.

Die Kontakt- und Forschungsmöglichkeiten für die Ärzte an Kliniken hätten sich zudem vermindert, weil die Patienten – anders als noch vor 20 Jahren – heute ambulant und nicht stationär behandelt würden. Eigene Spezialabteilungen für Diabetes an den Krankenhäusern gebe es kaum noch. Zudem existiere ein renommiertes Münchner Forschungsinstitut nicht mehr, das eine wichtige Ausbildungsstation gewesen sei, sagt Monika Kellerer, Ärztliche Direktorin des Zentrums für Innere Medizin am Marienhospital in Stuttgart.

Auf dem Kongress werden sich die Experten auch mit der Frage auseinandersetzen, wie die Lebensqualität der Patienten verbessert werden kann. Diskutieren wollen sie aber auch, welchen Einfluss der Lebensstil des Menschen auf die Stoffwechselerkrankung hat. Diabetes Typ 2 wurde früher landläufig auch als Alterszucker bezeichnet, weil daran meist Senioren erkrankten. Doch weil immer mehr junge stark Menschen übergewichtig sind, gibt es auch Betroffene bereits im Kindes- und Jugendalter.

Viele Wege führen zur Diabetes, davon ist Andreas Fritsche überzeugt. Der Lebensstil könne zwar ein Risikofaktor sein, aber er sei nicht die Ursache für eine Diabetes-Erkrankung. „Man kann das Risiko vermindern und die Erkrankung hinauszögern über mehrere Jahrzehnte, aber man kann sie nicht heilen oder ganz stoppen.“