Einmal alles hängen lassen, sich der Schwerkraft anders herum hingeben, das ist die Verlockung. Unten ist oben und nichts wie sonst. Mit Himbeerkuchen, Kaffee und der Botschaft, einfach mal für ein paar Wochen Kuhmilch wegzulassen, weil sie den Magen übersäuert, begrüßt mich der Mann, von dem es heißt, er könne Knochen einrenken und vieles mehr. Daniel Dabbars trägt eine Kette mit einem Bärenzahn und dem Schnabel eines kränkelnden Bussards, den er retten wollte, aber nicht konnte. Sie ist umwickelt mit einer buddhistischen Gebetsschnur, 108 Perlen. „Das ist zum Schutz“, sagt er, „sie gibt mir die Kraft zu heilen.“
Droben auf der Alb türmen sich die Schneeberge. Ein Häuschen am Waldrand von Trochtelfingen hat Dabbars sich mit seinem Partner gesucht, schön abgelegen und doch mittendrin, ein Zentrum der Spiritualität für Heilsuchende aus der ganzen Welt. Im Garten steht eine indianische Schwitzhütte, daneben eine Liegeschaukel, die für zwei reicht. Die Jurte mit Lichtkuppel und Schaffelldämmung hat er in Tschechien bauen lassen und neben dem Haus aufgestellt. „Letztes Jahr waren 2500 Menschen hier“, erzählt der 44-Jährige und, dass er über die Begegnung mit einer Cherokee-Indianerin in Stuttgart dazu gekommen wäre, was ihn tief berührt und seither nicht mehr losgelassen hat: Ahnenzeremonien und Heilungsrituale. „Es war Wahlverwandtschaft, wir haben geweint, als wir uns gesehen haben.“
Ein Jahr lang hat Dabbars ganz ohne Geld gelebt und zog durch die Natur
Im Großen Lautertal ist Dabbars aufgewachsen, immer draußen, nah an den Tieren. Und so entschied er sich mit 17 Jahren, ganz im Wald zu leben und auf Wanderschaft zu gehen. Mit einem Raben, einer Ziegenherde, mit einer Zinkbadewanne. Ein kleines Pferd musste sie tragen, sie wurde auf den Sattel gebunden. „Das war mein einziger Luxus, das habe ich gebraucht“, sagt Dabbars, der bei zweistelligen Minusgraden im Freien schlief. Gegen die Kälte erhitzte er Steine im Feuer, grub sich eine Erdrinne und legte die Steine hinein. Etwas Erde darüber und die Nacht war gut auszuhalten. „Ich habe ein Jahr ohne Geld gelebt“, erinnert er sich an seine Wanderschaft. „Ich war nur hungrig, wenn ich nicht in meiner Mitte war.“
Als schwäbischer Schamane, als Medizinmann auf der Alb ist Dabbars Exot und Einheimischer zugleich. Im Stadtteil Mägerkingen outet sich der dortige Ortsvorsteher als großer Fan des Aushängens, er hat sich selbst vor vielen Jahren schon ein Gerät angeschafft gegen das Kreuzweh, mit dem er sich auf den Kopf stellen kann und das er regelmäßig nutzt, wie er offen zugibt. „Da streckt sich der ganze Körper“, sagt Martin Herrmann. Er hält viel von Dabbars Methode: „Sein Verfahren ist förderlich für die Gesundheit.“
Der Weg in die Vertikale beginnt langsam. Dabbars legt mir Manschetten an den Knöcheln an, zurrt sie fest. Ein Seilzug bringt mich in die Höhe, er nimmt mir das Gewicht meiner Beine ab. Ich schwinge in der Hüfte, die Augen fest geschlossen, die selbst gestrickten Socken nähern sich der Glaskuppel. Ich habe kein Gefühl mehr dafür, wie lange ich schon hänge. Mein Blut rauscht im Kopf, er pocht, ich schaukle durch die Hitze der Jurte, nur meine Hände haben noch ein bisschen Bodenkontakt. Meine Gedanken sind wie Seifenblasen, kaum geformt, zerplatzen sie gleich wieder. „Du musst loslassen“, sagt Dabbars und dehnt und zieht und knetet mich. „Loslassen ist gefährlich“, denke ich und mache keine einzige Sekunde die Augen auf, „ich will nicht fallen.“
Ziel ist eine Tiefenentspannung im Kopf-über-Modus
Die Wirbelsäule strecken, die Bänder und Muskeln dehnen, Spannungen lösen, das ist das eine, was Dabbars mit einem guten Fingerspitzengefühl macht. Hangab nennt er die Technik des Aushängens, die ein guter Freund von ihm entwickelt hat, ein Baumkletterer, den der Rücken plagte. Gemeinsam haben sie sie verfeinert und setzen auf die Tiefenentspannung im Kopf-über-Zustand.
Das andere, was Dabbars schon seit Jahren beschäftigt, ist der Schamanismus, seine Verbindung zu den göttlichen Kräften in der Natur, wie er sagt. „Ich schamanisiere auch im Supermarkt oder an der Tankstelle“, erzählt Dabbars, überall im Ort, wo er Menschen trifft, kommen sie mit ihren großen oder kleinen Problemen auf ihn zu, wollen schnell eine heilende Hand aufgelegt bekommen. In der Gegend sei er bekannt wie ein bunter Hund, sagt Dabbars und lädt regelmäßig andere Schamanen ein. Medizinmänner der Wixarika-Indianer, ein indigenes Pilgervolk aus Zentralmexiko, sind mehrfach angereist, auch aus Nepal waren Schamanen da. Dabbars selbst fliegt demnächst nach Peru, er besucht einen Heiler im Amazonas-Regenwald, drei Hütten gibt es dort und tagelang Reinigungszeremonien aller Art.
Wieder abgehängt, liege ich halb benommen am Boden der Jurte. Ich hatte keine Angst, mir ist nicht der Kopf geplatzt, und ich fühle mich so schwer, wie schon lange nicht mehr. Der Rücken fühlt sich besser an, beweglicher. Nur das Auto steckt fest – im Neuschnee. Und wieder muss der Schamane ran.