Seinen Anhängern galt der im Alter von 79 Jahren verstorbene Amiri Baraka als einer der größten schwarzen Dichter der USA. Seine Gegner sahen in ihm einen hasserfüllten Politpöbler.

Stuttgart - Wer Dichter für hauchzarte Gemüter hält, die mit fein gesponnener Wortzuckerwatte ihre Mitmenschen in rosarote Träumereien entführen wollen, dem konnte der afroamerikanische Poet, Dramatiker, Essayist und Black-Power-Wegbereiter Amiri Baraka im Nu den Star stechen. Der am 9. Januar im Alter von 79 gestorbene Feuerkopf und Zankjunkie begriff Geschriebenes als Molotowcocktail mit verlängerter Brenndauer, als Möglichkeit, gesellschaftliche Konflikte heller auflodern zu lassen.

 

Barakas Freuden stellten ihn in gewiss gelinder Übertreibung neben die bedeutendsten afroamerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, neben Langston Hughes, James Baldwin, Ralph Ellison, Zora Neale Hurston und Toni Morrison. Seine Verächter hielten ihn für einen unverantwortlichen Politpöbler, der alles dafür tat, dass sich die Wunde des Rassismus in den USA nicht schließen würde, für einen frauen- und schwulenfeindlichen und obendrein antisemitischen Weißenfresser.

Die weißen Teufel der Polizei

Früh hatte sich Amiri Baraka mit Hohn und Vitriol gegen die Dialogversuche der Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King gestellt.Der 1934 in Newark geborene Sohn eines Postangestellten und einer Sozialarbeiterin wurde Mitglied der Black-Panther-Bewegung, mit der er sich später allerdings überwarf, und mixte die Offenheit moderner Lyrik mit den unverbindlichen Analysen eines zum Straßenkampf bereiten Marxismus und der verbitterten Respektlosigkeit schwarzer Ghettokomiker: „Ich kann beten / den ganzen Tag lang / und Gott / lässt sich nicht blicken. Aber wenn ich / die 911 anrufe / dann steht der Teufel da / nach nur einer Minute!“ - so etwa kann man sein Gedicht „Monday in B-Flat“ übersetzen.

Als die Geschichte schwarzer Musik in Amerika vom intellektuellen Establishment noch ignorant übersehen oder in konservativer Manier als weiteres Feld von wenigen Originalgenies wie Duke Ellington und Charlie Parker sowie deren Schülern gesehen wurde, publizierte Baraka noch unter seinem Geburtsnamen LeRoi Jones eines seiner sprachlich sprödesten Bücher mit Langzeitwirkung: „Blues People: Negro Music in White America“. Der Text zeigt die Stärken und Schwächen des Denkers Baraka.

Sätze aus dem Tollhaus

„Blues People“ interpretiert Musik als kollektive Leistung, als Mittel schwarzer Selbstdefinition und -behauptung, deutet sie als Kulturkampf gegen die weißen Formungsversuche der einst Versklavten. Diese ergiebige Lesart von Blues und Jazz allerdings ist durchsetzt von Verbiegungen der Fakten, rassistischem Reinheitsgewabere und verbiestertem Abgrenzungswahn.

Auf das gewiss bedrückende Erfolgs-Ungleichgewicht weißer und schwarzer Big-Bands in der Swing-Ära etwa reagierte Baraka damals, indem er Swing zum banalen weißen Kopierversuch erklärte, schwarze Musik zu etwas fundamental anderem. „In der Geschichte der Negermusik“ – so formuliert das die alte deutsche Übersetzung – „existiert der Swing einfach nicht.“ Das ist ein Satz aus dem Tollhaus der Ideologie.

Weg mit allem Scheinfrieden

Mit den Jahren wurde Amiri Baraka nicht milder, lediglich unberechenbarer. Auf die Anschläge des 11. September reagierte er mit einem unsäglichen Gedicht, das Verschwörungstheorien und Antisemitismus aufkochte: „Wer wusste, dass das World Trade Center gesprengt werden sollte / Wer wies 4000 Israelis mit Arbeit in den Twin Towers / an diesem Tag an, zuhause zu bleiben ...“

Amiri Baraka war damals Poet Laureate des Bundesstaates New Jersey, hatte also so etwas wie die XXL-Version eines Stadtschreiberstelle inne. Die erzürnte Mehrheit im Parlament von New Jersey schaffte daraufhin die Stelle ab, um Baraka los zu werden. Der klagte dagegen fruchtlos durch alle Instanzen, wobei ihm der Vorgang aber gefallen haben dürfte. Denn wo kein offener Konflikt war, da sah Amiri Baraka immer nur Scheinfrieden, der beseitigt werden musste.