Wie ein rotes Band zieht sich die Liebe zu Außenseitern durch Milos Formans Werk. Am Samstag ist der große tschechische Filmemacher in den USA gestorben.

Stuttgart - Künstler sind abhängig vom Wohl und Weh derjenigen, die ihre Arbeit finanzieren. Eine ungeheuer lustige Szene in Milos Formans Film „Amadeus“ (1984) illustriert genau das – und, wie man mit Witz und Chuzpe äußere Beschränkungen überwinden kann. Wolfgang Amadeus Mozart, auf der Höhe seines Schaffens, aber notorisch pleite, soll etwas Großes für den Kaiser schreiben, vielleicht etwas Tragisches, nach einem griechischen Stoff. Stattdessen präsentiert er den Herrschaften die Idee zu einem Singspiel namens „Figaros Hochzeit“ nach einem Skandalstück des adelskritischen Franzosen Beaumarchais. Ein ungeheuerliches Ansinnen, doch Mozart setzt sich durch, sein Figaro reißt bis heute die Leute vom Hocker.

 

Milos Forman, 1932 in einer böhmischen Kleinstadt nahe Prag geboren, hatte einiges gemeinsam mit dem wilden Querkopf Mozart. Dass die deutschen Besatzer beide Eltern ermordeten, konnte das Kind Milos nicht brechen. 2008 erklärte Forman, wie er mit zwölf seine Liebe für die Kunst entdeckte, als sein älterer Bruder ihn mit hinter die Bühne seiner umherreisenden Operettentruppe nahm: „Weil ich noch ein Kind war, störte es niemanden, dass ich den jungen Sängerinnen beim Umziehen zusah. Für mich war es das Paradies: prachtvolle Frauenkörper, berauschende Düfte – von diesem Tag an wollte ich unbedingt auch ins Showgeschäft!“

Forman demaskierte bürgerlichen Normierungswahn

Der tschechische Film indes müffelte in den Fünfzigern nach Mottenkugeln. Mit anderen Prager Filmabsolventen wie Vera Chytilova („Tausendschönchen“), Jiri Menzel („Liebe nach Fahrplan“) und Jan Nemec („Die Verwandlung“) mischte Forman in den Sechzigern die Filmszene auf im damals noch liberalen Kommunismus. Forman drehte 1963 seine Sozialstudie „Der schwarze Peter“ über einen Lehrling. 1967 zog er mit der Satire „Der Feuerwehrball“ den Zorn der Regierung auf sich, der Film wurde gesperrt, der italienische Produzent Carlo Ponti zog seine finanzielle Unterstützung zurück. Der Franzose Francois Truffaut sorgte dafür, dass der Film im Ausland gezeigt werden konnte.

Berühmt wurde Forman, nachdem er Frau und Zwillingssöhne zurückließ, um in den USA sein Glück zu versuchen. Dort rebellierten Ende der Sechziger die jungen Wilden des New Hollywood gegen ein in Kommerzialisierung erstarrtes Kino. Wie Arthur Penn, Sam Peckinpah oder Martin Scorsese interessierte sich auch Forman für die Außenseiter, die schrägen Vögel, die angeblich Verrückten, die verachtet und gegängelt von der Mainstreamgesellschaft ein Schattendasein führten. Nach seinem US- Debüt „Taking Off“ (1971), in dem sich Forman über die Doppelmoral der gehobenen Mittelschicht mokierte, drehte er mit Jack Nicolson das Psychiatriedrama „Einer flog übers Kuckucksnest“ (1975) nach Ken Keseys Kultroman. Auf ebenso erschütternde wie anarchisch-humorvolle Weise setzte sich Forman mit den totalitären Strukturen medizinischer Umerziehungsheime auseinander und demaskierte den bürgerlichen Normierungswahn als eigentlichen Irrsinn in der Gesellschaft. Im Hippiemusical „Hair“ (1979) thematisierte er dannmassentauglich die Jugendproteste gegen gesellschaftliche Verkrustung und den Vietnamkrieg, in „Ragtime“ (1981) widmete er sich dem alltäglichen Rassismus und unüberwindbaren Klassenunterschieden.

„Larry Flynt“ handelt von Meinungsfreiheit und einem Porno-Verleger

Während das Publikum besonders „Einer flog über das Kuckucksnest“ und „Amadeus“ liebte, fanden spätere Arbeiten Formans weniger Aufmerksamkeit. Dabei erschuf er mit der Biografie „Larry Flynt“ (1996) über den gleichnamigen Porno-Verleger mit Woody Harrelson in der Hauptrolle ein furioses Plädoyer zum Wert der Meinungsfreiheit in einem bigotten, von Doppelmoral geprägten Land. In „Der Mondmann“ (1999) setzte er dem Leben und tragischen Sterben des Komikers Andy Kaufman ein Denkmal. Wie Mozart aus dem „Amadeus“-Film erscheint Kaufman, furios gespielt von Jim Carrey, als liebenswerter, vor Fantasie überschäumender Kindskopf, der den Menschen mit seiner Kunst Freude bereiten will.

Mit Mut, Witz und einer gehörigen Portion Anarchie hat Milos Forman das Komische im Ernsten sichtbar gemacht und umgekehrt. Nun ist er im Alter von 86 Jahren gestorben.