Die Entscheidung für den Neubau der Klinik in Winnenden halten Paul Hug (CDU) und Karl-Otto Völker (SPD) für richtig. Die beiden sind für den künftigen Kreistag nicht mehr angetreten, beide waren während der Neubauentscheidung Fraktionsvorsitzende.

Rems-Murr-Kreis - Die Krankenhausdebatte sei nicht nur ein ganz zentrales Element in ihrer jahrzehntelangen Kreistagszeit gewesen, sagen Paul Hug und Karl-Otto Völker. Es sei auch die schwierigste Phase gewesen – und angesichts der heftigen Anfeindungen für beide die schlimmste. Schön sei es nun, dass sie beide die Eröffnung der neuen Klinik im Sommer noch als amtierende Kreisräte erleben.
Herr Hug, Herr Völker, wir haben hier insgesamt 63 Jahre Kreistagserfahrung versammelt. Was waren Ihre ersten Themen in der Kreispolitik?
Hug Ich habe ja hier in Winnenden 1978 angefangen als Erster Bürgermeister und bin 1979 erstmals hier im Kreis in den Kreistag gewählt worden. Ein wichtiges Thema war damals das Berufsschulwesen. Wir haben nach und nach die Berufsschulzentren ausgebaut. Der öffentliche Personennahverkehr spielte eine große Rolle mit den S-Bahnen. Abfallbeseitigung war immer ein Thema mit wechselndem Inhalt. Eines der Themen, die sehr kontrovers diskutiert worden sind.
Völker Dieses Thema war erledigt als ich 1994 kam. Meine ersten Erfahrungen waren vielerlei Gespräche in Backnang, als es darum ging einen Unfallchirurgen am Backnanger Kreiskrankenhaus zu entlassen. Das Klinikwesen war das erste Schwerpunkthema, das mich beschäftigt hat.
Dann hat sie bis zum Neubau ja das Krankenhaus während ihrer Kreistagskarriere quasi nie verlasse?
Völker Das kann man so sagen, vor allem später als Fraktionsvorsitzender, als es darum ging, den Klinikneubau auf den Weg zu bringen. Das waren furchtbare Zeiten. So viele Anfeindungen habe ich noch nie erlebt, auch so viele Beleidigungen. Wenn ich bloß an diese Sitzung im Juli 2008 in Schwaikheim denke – das war eine Katastrophe. Dass der Riss quer durch die Fraktion gehen kann, das hätte ich mir nie vorstellen können. Aber das Thema ist – bis heute noch – so populistisch gespielt worden, dass es nicht anders möglich war.
Hug Es war wichtig, dass man diese Entscheidungen getroffen hat, nach den vielen Diskussionen. Aber es war rückblickend betrachtet die schwierigste Zeit der Kreistagstätigkeit überhaupt. Die CDU-Fraktion war vielleicht am stärksten betroffen, weil dort auch das Zentrum des Widerstands war. Unter anderem Frank Nopper, der Oberbürgermeister der Stadt Backnang, der in seiner uns allen wohlbekannten Art und Weise dieses Thema gestaltet hat. Ich bin gut klar gekommen mit den sachlichen Differenzen, die wir hatten. Aber was mir unerhört viel zu schaffen gemacht hat, waren diese persönlichen, teilweise beleidigenden Angriffe.
Und welche Lehre zieht man als Kreispolitiker aus den Auseinandersetzungen?
Völker Genau das, was ich vorhin dem Herrn Hug vor der neuen Klinik gesagt habe: Alle sind ja klug. Manche vorher, manche nachher. Ich bin der festen Überzeugung, und da stimmen wir beide überein, dass die, die sich für den Neubau ausgesprochen haben, schon vorher klug waren.
Da stimmen nach wie vor manche Kreistagskollegen nicht zu. Was ist mit steigenden Kosten, undichter weißer Wanne, Wasserschäden und Verzögerungen?
Hug Wir wollen die Schwierigkeiten, die wir mit der Klinik haben nicht unter den Tisch kehren. Die Probleme sind ja sattsam bekannt. Es gibt Einflüsse von außen, die das Ergebnis jetzt belasten, es gibt aber auch Einflüsse von innen, da ist auch nicht alles richtig gelaufen. Aber wir haben die nötigen Entscheidungen getroffen, dass all diese Dinge aufgeklärt werden.
Völker Trotz aller Probleme die es jetzt gab, das hat nichts mit der Grundsatzentscheidung zu tun, die Strukturen zu verändern. Ich sehe – auch von denen die den Bau verhindern wollten – keine Alternative. Wir hätten doch nicht diese maroden Häuser in Backnang und Waiblingen jemals wirtschaftlich betreiben können.
Hug Es gab keine Alternative.
Völker Doch: Privatisierung und da war ich dagegen.
Hug Ja genau und das war ja auch der Punkt wo einige ihrer Fraktionskollegen wieder umgeschwenkt sind, weil sie sagten, wir verkaufen nicht 2000 Mitarbeiter an Helios. Das war taktisch von den Gegnern des Klinikums keine kluge Entscheidung, Helios an Land zu ziehen. So haben sie Leute die eigentlich gegen die Klinik waren verprellt.
Wenn im Juli die Klinik in Betrieb geht – hoffentlich sage ich mal angesichts der diversen Verschiebungen – dann sind sie mit dem, was entstanden ist, rundum zufrieden?
Hug Uneingeschränkt ja. Der Neubau war angesichts unserer Situation die einzig richtige Entscheidung. Wir haben ein architektonisch überaus gelungenes Bauwerk. Entscheidend für die Menschen sind aber das tolle Leistungsangebot, das wir über die Jahre hinweg entwickelt haben und die vielen Mitarbeiter im ärztlichen und pflegerischen Bereich, die mit Erfahrung, Kompetenz und Engagement ihre Arbeit tun. Inzwischen sind auch eine Reihe von habilitierten Chefärzten an Bord.
Völker Das ist ein Grund, weshalb sich die medizinische Versorgung im Rems-Murr-Kreis verbessern wird. Wir hätten diese qualifizierten medizinischen Fachleute nicht in alte Kliniken bekommen. Schön ist, dass wir den Einzug noch als amtierende Kreisräte miterleben dürfen.
Unabhängig vom Krankenhaus, an was hing das kreispolitische Herz am meisten.
Hug Mein Herz hing immer an der Verbesserung des Bildungswesens. Und ich denke bei den Berufschulzentren sind wir sehr gut aufgestellt, da wurde viel erweitert. Dann fällt mir spontan das Thema Wirtschaftsförderung ein. Das war auch nicht ganz einfach. Die einen wollten das, die anderen nicht. Dann hat immer mehr der Umweltschutz eine Rolle gespielt. Da stehen wir inzwischen auch sehr gut da. Zuerst mussten aber einige über ihren Schatten springen.
Völker Das Klimaschutzkonzept war natürlich auch für unsere Fraktion immer ein wichtiges Thema. Da bin ich dem Landrat dankbar, dass man dieses Thema aktiv angegangen ist. Für mich war immer auch der soziale Bereich sehr wichtig, weil da der Kreis eine hohe Verantwortung hat – etwas, was so sehr nach außen durchdringt.
Hat es auch Dinge gegeben, auf die sie hätten verzichten können?
Völker Das ewige Gefeilsche um die Kreisumlage, das hing mir wirklich zum Hals raus.
Hug Das Thema haben wir zelebriert bis zum Geht-nicht-mehr, jedes Jahr.
Völker Im Gegensatz zu den Oberbürgermeistern sind die Bürgermeister hierbei ja hochgradig befangen, der Landrat ist ihr Dienstvorgesetzter. Unabhängig davon: Wer ein Mandat für den Landkreis übernimmt, der muss halt seinen Hut im Rathaus lassen und einen neuen Hut aufsetzen. Der übernimmt Verantwortung für die Aufgaben des Landkreises und kann nicht immer denken, der Landkreis nimmt mir als Kommune was weg. Das hat mich schon genervt, das muss ich ehrlich sagen.
Hug Ich bin ja Bürgermeister gewesen. Aber ich glaube, dass ich den Spagat zwischen Kreis und Kommune ganz ordentlich hingekriegt habe, weil ich genauso denke wie Herr Völker. Im Kreistag haben wir zunächst einmal die Belange des Kreises zu vertreten. Als Fraktionsvorsitzender habe ich oft genug auf die Rechtslage hingewiesen, dass die Aufgaben des Kreises grundsätzlich Aufgaben der Kommunen sind und deshalb auch von ihnen via Kreisumlage zu bezahlen sind. Das wollten die Bürgermeister nicht immer so sehen. Andererseits sitzen Kreis und Kommunen in einem gemeinsamen Boot und haben deshalb die Interessen des Anderen angemessen zu berücksichtigen.
Für die Weiterfahrt in dem Boot, was würden sie quasi zum Abschied aus dem Gremium dem Rems-Murr-Kreistag wünschen?
Völker Ich würde wünschen, dass alle versuchen, möglichst gut über die Fraktionsgrenzen hinaus zusammen zu arbeiten. Nur dann kann man was bewegen.
Hug Das ist sicher richtig, aber ich bin auch keiner derer, die glauben, der Inhalt von Kommunalpolitik sei Friede, Freude, Eierkuchen. Man muss sich auseinandersetzen in der Sache.
Völker Das habe ich vermisst. Es gibt im Kreistag keine gewachsene Debattenkultur. Da werden Statements abgeliefert, es wird nicht um den besten Weg diskutiert.
Hug Ich will keinen Streit um des Streites willen. Aber da, wo ich nach reiflicher Überlegung zur Durchsetzung einer persönlichen Überzeugung antrete, da muss ich auch Streit führen. Aber wirklich sauber und ehrlich und unter Wahrung der Würde meines Gegenübers.
Völker Es hat ja auch keine Fraktion eine Mehrheit, also sind alle Fraktionen gezwungen einen Weg mit den anderen Fraktionen zu finden. Wer keine Kompromissbereitschaft mitbringt, der wird nichts verändern, der wird nichts erreichen. Der kann daheim bleiben, der muss keine Kommunalpolitik machen.