Es ist nicht einfach, Familienleben und Abendgymnasium unter einen Hut zu bringen. Eine alleinerziehende Mutter aus Stuttgart mit vier kleinen Kindern schafft es. Sie verrät ihre Tricks, wie sie die Motivation stets aufrecht hält.

Stuttgart - Sie hätte es auch einfacher haben können. Sofia Müller (Name geändert) ist 34, Russin und Mutter von vier Kindern zwischen sechs und 14 Jahren. Und sie macht am Stuttgarter Abendgymnasium ihr Abitur. Nicht nur, aber auch wegen ihrer Kinder. „Ich sage denen auch: Leute, es ist anstrengend, macht nur das Abi gleich! Macht es nicht so wie ich!“

 

Man hört ihren russischen Akzent nur noch leicht. Sofia Müller spricht schnell, erzählt präzise, möchte aber nicht gern so viel Aufhebens um ihre Person machen. Als sie zehn war, zog die Familie nach Deutschland, in die Region Stuttgart. Sofia konnte kaum ein Wort Deutsch, kam in die internationale Vorbereitungsklasse, dann in die Hauptschule. „Dann hat mein Vater durchgeboxt, dass ich aufs Gymnasium in die sechste Klasse kann“, berichtet sie bei einer Latte macchiato. Der Besuch im Café ist ein kleiner Luxus, und eine Ausnahme, weil die StZ angefragt hat, ihr Jüngster in der Kita ist und sie eher lernen oder kochen müsste.

Mit 18 hat sie die Schule abgebrochen, um Künstlerin zu werden

„Deutsch und Englisch war schwierig“, berichtet Sofia Müller aus ihren Starterjahren in Deutschland, „aber dafür konnte ich Mathe und Latein gut.“ Als sie 16 war, beschloss ihre Mutter, sie und ihre Geschwister in die Waldorfschule zu schicken, auch wegen der künstlerischen Begabung. Doch das war nichts für Sofia. „Es war grottenlangweilig“, sagt sie, „ich brauche den Leistungsdruck.“ Mit 18, in der elften Klasse, brach Sofia die Schule ab, aber nicht nur wegen der Langeweile. „Da hatte ich meinen Mann kennengelernt. Der wollte heiraten – und ich wollte Künstlerin werden.“

Ersteres klappte, zweiteres nicht. Schon bald kamen die Kinder – „eines nach dem anderen“. Als das jüngste geboren wurde, ging die Beziehung in die Brüche. Dass sie den Hauptschulabschluss besaß, erfuhr sie per Zufall – das Versetzungszeugnis des Gymnasiums in die zehnte Klasse reichte. Nachdem ihr Leben als Ehefrau beendet war, beschloss sie, es auf eigene Füße zu stellen. Realschulabschluss, Abi, Studium, dann ein guter Job, das war der Plan.

Die junge Mutter lässt sich nicht entmutigen

Doch schon das Thema Abendrealschule gestaltete sich schwierig. „Wie wollen Sie das machen, mit vier Kindern?“, habe es dort geheißen. Die Mitarbeiterin habe ihr keine Unterlagen zugeschickt. Doch Sofia Müller hat sich nicht so schnell entmutigen lassen. Schließlich habe dann der direkte Weg über das Abendgymnasium geklappt. Dort sei ihre Betreuung der Kinder als Berufsjahre gezählt worden. Heute räumt Sofia Müller allerdings ein: „Als ich mich eingeschrieben hatte, wusste ich überhaupt nicht, wie das funktionieren soll – mein Jüngster war nicht mal drei.“

Doch Logistik ist alles. „Am Anfang war der Unterricht nur freitagabends und samstags, das war ein Segen“, sagt Sofia Müller. „In der Mittagspause bin ich schnell nach Hause zum Kochen.“ Das erste halbe Jahr sei das schwierigste gewesen. „Aber vom Lernen her hab ich gleich gesehen: das ist locker. Jede gute Note war für mich ein Motivationsschub – und die Kinder haben sich jedes Mal mitgefreut.“

Die Gymnasiastin hat Helfer für die Kinderbetreuung

Natürlich funktioniere das alles nur mit einem guten Netz an Unterstützern, räumt die späte Gymnasiastin ein: „Man braucht Leute, die kurzfristig einspringen.“ Hierbei habe die Familie und der Vater der Kinder sie unterstützt. Und: als Stipendiatin des Fördervereins der Abendgymnasien der Region Stuttgart muss sie seit zweieinhalb Jahren keine Schulgebühren mehr bezahlen. Das spare ihr 300 Euro im Halbjahr. Viel Geld für eine Bafög-Empfängerin. Die Lehrer hätten sie damals für das Stipendium vorgeschlagen. Elf weitere Schüler profitieren ebenfalls davon.

Dabei würde sich Sofia Müller nicht einmal als besonders diszipliniert bezeichnen. Sie habe zwar fast nie gefehlt, schon um nichts zu verpassen und gute Noten zu erhalten. „Aber ich mache Sachen meist auf den letzten Drücker. Und ich habe Spaß am Lernen – ohne geht’s nicht.“ Auch wenn sie ihr Pensum etwas unorthodox erledigt. Und das geht so: „Ich wecke die Kinder um sechs, setze mich mit den Büchern hin, mache Frühstück, zwischendurch lerne ich.“ Die Sache ist ganz einfach: „Da ich sehr wenig Zeit zum Lernen habe, muss es ganz schnell in meinen Kopf.“

Die Kinder helfen und fragen die Mutter ab

Zu ihrer Lerntaktik gehört auch, dass ihre Kinder sich die Präsentationen anhören müssen: „Ich lasse mich von meinem Großen abfragen – dann lernt der das auch gleich.“ Und eines sei klar: „Die Kinder kommen mit zum Abiball – die haben ja auch mitgezogen.“ Jetzt hoffe sie auf ein gutes Abi – die mündlichen Prüfungen stehen noch aus. Falls alles klappt, wird sie sich bis 15. Juli an mehreren Unis für einen Studienplatz bewerben – für welches Fach, steht noch nicht ganz fest: Medizin vielleicht, oder Informatik.