Buch-Tipps in Corona-Zeiten Die zehn wichtigsten Romane des Frühjahrs
Wann, wenn nicht Jetzt: Lesen gibt uns die Freiheit zurück. Wir haben für Sie die Höhepunkte unter den Neuerscheinungen ausgesucht.
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Téa Obreht: Herzland. Rowohlt Verlag. 512 Seiten, 24 Euro. Dieser Roman erzählt nicht nur von der Gründungszeit der Vereinigten Staaten. Er macht den Leser selbst zu einem Pionier, der ins Ungewisse vorstößt. Denn die haarsträubenden Dingen, die hier passieren, ordnen sich erst am Schluss. Das aber unterscheidet den Leser dann doch von den Grenzerfahrungen der Protagonisten dieses „Herzlandes“: was für diese ein Kampf gegen Dürre, Großgrundbesitzer, Fake-News und Monster aller Art bedeutet, ist für ihn ein einziges Vergnügen. Und so viel kann man vielleicht verraten: begegnet man irgendwo am Ende der Welt einem Kamel, muss es sich nicht unbedingt um eine Fata Morgana handeln.
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Leif Randt: Allegro Pastell. Kiepenheuer Witsch. 288 Seiten, 22 Euro. Man kann diesen Roman einfach nur lesen wie eine Lovestory aus Tagen, die man noch nicht einmal jüngst vergangen nennen darf, weil sie noch andauern. Man kann ihn aber auch nutzen als ein Nachschlagewerk, wenn man etwas über den Habitus, die Gewohnheiten und Eigenarten der eigenen Zeit erfahren möchte. „Allegro Pastell“ ist eine Mentalitätsgeschichte der Gegenwart, seine Figuren sind hochindividualisierte Dummys im Crashtest unserer Sozialisierungsmodelle – Dummys wie Du und Ich.
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Anna Burns: Milchmann. Klett-Cotta Verlag. 452 Seiten, 25 Euro. Nordirland zu den Hochzeiten des zwischen Unionisten und Nationalisten tobenden Konflikts. Hier wächst die Ich-Erzählerin zwischen den Fronten von sogenannten Verweigerern und Befürwortern, Verrätern und Paramilitärs auf. Anna Burns macht aus dem Bürgerkrieg ein aberwitziges Sprachspiel auf Leben und Tod, das bei aller Tragik einer absurden Komik nicht entbehrt. Dieser virtuose Roman hätte die Aktualität gar nicht nötig, die ihm durch den Brexit zugefallen ist.
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Lutz Seiler: Stern 111. Suhrkamp. 528 Seiten, 24 Euro. Die Helden von Lutz Seiler kellnern sich durch die Zeitgeschichte. Was sie zu bieten haben, zählt zum Besten der Gegenwartsliteratur. Erzählte der Vorgängerroman „Kruso“ aus dem Blickwinkel eines Ausflugslokals auf der Insel Hiddensee die letzten Tage vor der Wende, so schildert nun „Stern 111“ aus der anarchischen Untersicht einer Berliner Kellerkneipe die darauffolgende Periode zwischen Zerfall und Neubeginn, die für das Alter Ego des Autors zur Passage in ein poetisches Dasein wird. In expressivem Licht leuchtet „Stern 111“ über dem Freiheitsraum zwischen dem was war und dem was kommt.
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Hilary Mantel: Spiegel und Licht. Dumont Verlag. 1200 Seiten, 32 Euro. Rein erzählökonomisch kann die Corona-Krise ruhig noch etwas andauern: auf 1200 Seiten führt die mehrfache Booker-Preisträgerin Hilary Mantel zum Abschluss ihrer Tudor-Trilogie wieder ins England des 16. Jahrhundert. Gleich zu Beginn rollt der Kopf der zweiten Frau Heinrichs VIII. Schon wartet die nächste. Auch der Aufstieg des aus einfachsten Verhältnissen stammenden Thomas Cromwell geht weiter – wie weit, hat die Geschichtsschreibung längst gespoilert. Der Spannung dieses einzigartigen Romanunternehmens tut dies keinen Abbruch.
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Peter Handke: Das zweite Schwert - Eine Maiengeschichte. Suhrkamp. 160 Seiten, 20 Euro. Einer zieht aus, das Rächen zu lernen. Wer dieser merkwürdigen Figur folgen will in ihrem dreiteiligen Dior-Anzug, einem breitkrempigen Borsalino mit Bussardfeder im Hutband, lässt sich am besten treiben. In dem durch die Randgebiete der Alltäglichkeit mäandernden Strom der Erzählung verschwimmen Motive Homers, Racines, Pascals mit den Wiederholungsträumen von Handkes eigener Familien- und Werkgeschichte. Zarter, gefährdeter, verrückter war noch keine der Abenteuerfahrten, zu denen dieser verschrobene Ritter mit dem Schwert der Dichtung aufgebrochen ist, um damit die Wunden, die die prosaische Wirklichkeit schlug, zu heilen.
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Sigrid Nunez: Der Freund. Aufbau Verlag. 235 Seiten, 20 Euro. In traurigen Tagen kann man jemand gebrauchen, mit dem man sich versteht, am besten auch ohne Worte, der die gleichen Bücher mag wie man selbst. Hier hört dieser jemand auf den Namen Apollo, und offensichtlich teilt er den Buchgeschmack seiner neuen Besitzerin, zumindest verschlingt er begeistert einen Teil ihrer Bibliothek. Sigrid Nunez’ Roman überblendet die verschiedenen Facetten der Freundschaft – Mann, Hund, Literatur. Im Glanz der verständnisvollen Augen einer zärtlichen Dogge erscheint manches in anderem Licht. Das ideale Buch für die Krise.
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Tom Kummer: Von schlechten Eltern. Tropen Verlag. 245 Seiten, 22 Euro. Ein einsilbiger Fahrer kurvt durch die Dunkelheit. Im Fond afrikanische Geschäftsleute, die es sich leisten können, chauffiert zu werden, an der Seite der Geist der toten Frau. Wie ein verdammter Fährmann pendelt er hin und her: zwischen dem Flughafen Zürich-Kloten und dem Totenreich, zwischen der Liebe zu dem lebenden Sohn und seiner großen Passion. Im Zwischenreich dieser wuchtigen Roadnovel verschwimmen Fantasie und Wirklichkeit. Als Borderline-Journalist ist Tom Kummer einmal aufgebrochen, als nur noch der fiktionalen Wahrhaftigkeit verpflichteter Autor ist er in der Nacht seines Lebens angekommen. Großartig.
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Verena Güntner: Power. Dumont Verlag. 254 Seiten, 22 Euro. Aus Werwolf-Motiven, Rattenfänger-Latein und brutalen Dorfschnurren mixt Verena Güntner eine brandaktuelle Parabel, die ihrer Entschlüsselung immer einen Schritt voraus ist. „Power“ macht aus dem Generationskonflikt eine wilde Jagd durch das morsche Unterholz der Zivilisation. Soviel steht fest: wenn Menschen konspirative Rudel bilden und eine Mission verfolgen, ist Gefahr im Verzug. Doch die wahren Bestien lauern nicht im Wald.
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Ingo Schulze: Die rechtschaffenen Mörder. Roman. S. Fischer. 320 Seiten, 21 Euro. Was muss passieren, dass ein kultivierter, reflektierter Mensch plötzlich verbittert rechte Parolen spuckt? Was sich nicht leichthin beantworten lässt, ohne sich auf legitimatorisches Glatteis zu begeben, kann man in einer literarischen Versuchsanordnung durchspielen. Und genau das tut dieser Roman: Er erzählt die Legende vom kunstfrommen Bücherwurm, der nach der Wende an den neuen Verhältnissen scheitert. Und er erzählt, von dem, der schreibt. Schließlich kommt noch die Lektorin ins Spiel. Wer in dieser politisch brisanten Aufstellung nun Täter und Opfer ist, muss der Leser selbst herausfinden.