Erinnerungen zum Bundesligastart Sehnsucht Fußball
Kommerzialisierung hin, Skandale her: wer als Kind im Stadion vom Virus der Begeisterung befallen wurde, bleibt ein Leben lang davon gezeichnet. Der Reiz des Spiels scheint unzerstörbar.Wolfgang Borgmann erinnert sich.
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Unvergessen: an Vaters Hand auf dem Weg ins Weserstadion. Die packendsten Momente aus 50 Jahren Bundesliga-Geschichte sehen Sie in unserer Fotostrecke.
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Aus einer anderen Welt Mit was wurde der Mann nicht alles beworfen? Mit Bananen, Kastanien, Golfbällen, Schmutz. Und mit was hat der Mann nicht alles um sich geworfen? Mit Bällen, mit Urinbechern (bei einer Dopingprobe), mit tollen Sprüchen („Eier – wir brauchen Eier“), mit Andy Möller (fast zumindest). Vor allem aber konnte Oliver Rolf Kahn gut fangen, nicht Andy Möller, sondern den Ball. Kahn ist Kult, achtmal deutscher Meister (Rekord, zusammen mit Mehmet Scholl), mit 557 Ligaspielen die Nummer drei (hinter Manfred Kaltz, 581, und Karl-Heinz Körbel, 602), einer der besten Keeper aller Zeiten. Bisweilen nicht von dieser Welt. Oder, um es mit seinem Lieblingsgegner Andreas Möller zu sagen: „Er ist vollkommen realitätsfremd.“
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Stuttgarter Sternstunde Da waren wir Häuslebauer aber ganz schön aus dem Häusle. Und zwar kollektiv. Riesenparty in Stuttgart. Wer am 19. Mai 2007 dabei war, wird diese Feier nie vergessen. Die Stadt platzte aus allen Nähten, bis in den frühen Morgen feierten Hunderttausende den Titel des VfB Stuttgart – den fünften insgesamt (1950, 1952, 1984, 1992, 2007), den dritten in der Bundesliga. „Das ist noch einmal eine Steigerung zur WM im vergangenen Jahr“, sagte Torwart Timo Hildebrand. Einen anderen Titel kann dem Club übrigens auch keiner nehmen: Der VfB ist der erste und voraussichtlich auch der letzte Wiedervereinigungsmeister: Nach dem Mauerfall spielten beim Meistertitel 1992 erstmals auch die Ostvereine in der Bundesliga mit.
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Unsterblicher Konietzka Das Ende kommt plötzlich. Er, der am 24. August 1963 für Dortmund im Spiel gegen Werder Bremen das erste Tor der Bundesligageschichte erzielte, verlässt auf eigenen Wunsch im März diesen Jahres die Welt. „Macht alle das Beste aus Eurem Leben. Meines war lang und doch so kurz.“ So steht es unter anderem in seiner selbst verfassten Todesanzeige. Nachdem bei Timo Konietzka ein unheilbares Gallengangkarzinom festgestellt wurde, nahm er sich nach qualvollen Monaten mit Hilfe der Schweizer Sterbehilfeorganisation Exit das Leben. Es gab heftige Debatten ob dieses Schrittes, jenseits dessen hat ihn aber sein Treffer unsterblich gemacht. Ganze 58 Sekunden ist die Bundesliga alt, als Konietzka Geschichte schreibt.
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Geld schießt doch Tore Was kostet die Welt? Keine Ahnung. Aber wir wissen ganz genau, was 1971 ein 1:0-Sieg auf Schalke gekostet hat. 40 000 Mark. Das ist die Summe, die Arminia Bielefeld an die Spieler überwies. Auf einer launigen Feier spielte der Vereinspräsident von Kickers Offenbach, Horst-Gregorio Canellas, ein Tonband ab, auf dem es um Schmiergelder und Manipulationen ging. Der Bundesligaskandal kam so ins Rollen. Der DFB-Chefankläger Hans Kindermann machte sich an die Arbeit, er fand viel Dreck. Am Ende gab es Zwangsabstiege für Bielefeld und Offenbach sowie Strafen für 52 Spieler, darunter die Schalker Stars Stan Libuda, Klaus Fischer und Klaus Fichtel. Schiris waren keine dabei – das kam dann erst 2005 mit Robert Hoyzer.
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Der Beckham der 90er Bilder sagen mehr als tausend Worte. Dummerweise haben wir nur Platz für ein Bild – weswegen wir doch ein paar Worte verlieren werden. Das da oben ist Mike Werner, und das, was Mike Werner da auf dem Kopf hat, ist eine, ja!, es ist eine Frisur. Mike Werner ist der David Beckham der 1990er Jahre. Ein It-Boy. Eine Stilikone, optisch mit die bekannteste Figur der Ligahistorie. Die wohl spektakulärste Vokuhila (vorne kurz, hinten lang) der an haarigen Geschichten nicht armen Bundesliga. Viele haben sich daran versucht, aber niemand trug sie so formvollendet wie der Rostocker: „Ich fand die Matte einfach geil. Wenn man vor dem Spiegel steht und sich schön findet, wieso sollte man dann seine Frisur ändern?“ Recht hat er.
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Ungleichgewicht der Kräfte Ein bisschen ist es wie in der Weltpolitik. Der FC Bayern München ist so etwas wie die USA der Bundesliga. Die einzig verbliebende Supermacht. Es gab da mal in grauer Vorzeit Borussia Mönchengladbach, die lange auf Augenhöhe war, in den 70er Jahren mit Größen wie Netzer, Vogts oder Bonhof sogar auf den FC Bayern herabschaute. Es waren große Duelle. Aber der Borussia erging es dann doch wie der Sowjetunion. Zerfallen, in alle Einzelteile, ein mühsamer Neuaufbau wurde nötig, mit offenem Ende. Der FCB baute derweil seine Herrschaft auf, 22 Meisterschaften haben sie nun schon. Gladbach fünf. Wie auch der neueste Potentat, die angehende und aufstrebende Supermacht Borussia Dortmund, quasi das China der Liga.
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Dann macht es bumm! Ohne Umschweife zu den Zahlen: 365 Tore in 427 Bundesligaspielen, 68 Treffer in 62 Länderspielen, siebenmal Torschützenkönig, 40 Tore in einer Saison (71/72). Das ist Gerd Müller. Der Größte einer sterbenden Art. Heute gibt es flache Sechser oder falsche Zehner und Stürmer, die Räume zustellen sollen. Müller stand nur rum. Und immer richtig. Wie er spielt keiner mehr. Und wenn doch, heißt es, dass er sich wund liegen würde oder den Aktionsradius eines Bierdeckels hätte oder im Winter, dass man Angst hat, dass er am Boden festfriert. Er, dieser Stürmertyp. „Spielt wie Müller“ gilt fast als Beleidigung – welch Unverschämtheit! Ohne ihn wären wir nicht Weltmeister und Europameister und der FC Bayern nicht das, was er ist.
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Trap-Deutsch Kleine Vorlesung in Rhetorik? Hier entlang: der große Philosoph und Rhetoriker Augustinus von Hippo (354-430) lehrte uns: „In Dir muss brennen, was Du in anderen entzünden willst.“ Brennpunkt München. 10. März 1998. Vor zwei Tagen hat Bayern auf Schalke verloren. Hoch emotional fesselt Giovanni Trapattoni in 230 Sekunden die Menschen und erweitert die deutsche Sprache um stehende Begriffe. „Was erlaube Strunz?“ oder „ware schwach wie eine Flasche leer“ und „ich habe fertig“. Trap brennt, und in München ist Feuer unterm Dach. Der rhetorische Höhepunkt der Liga – dicht gefolgt von Klaus Augenthaler 2007: Auf einer Pressekonferenz stellt der sich selbst vier Fragen, antwortet, und geht nach 42 Sekunden wieder.
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Am Arsch Rex hat es nicht geschafft. Jedes noch so seltsames Tier ist mittlerweile bei irgendeinem Verein aus irgendwelchen Gründen Maskottchen. Nur Rex nicht. Aber der Schäferhund ist auch so unvergessen – vor allem im Gesäß von Friedel Rausch hat er sich bis heute ein Denkmal gesetzt. Am 6. September 1969 beißt Rex, damals fünf, bei der Partie Schalke 04 – Borussia Dortmund zu. Fans stürmen den Platz, doch Rex entscheidet sich für das Hinterteil des Schalker Spielers Friedel Rausch. Der bekommt eine Tetanusspritze, spielt unter Schmerzen weiter und kann danach erstmal nur auf dem Bauch liegen. „Es war die Hölle. Fast in jedem Spiel kam mein Gegenspieler an und machte ‚wuff-wuff’. Ich war fortan die Lachnummer der Liga.“