Turit Fröbe über „Häuser des Jahres“ „Es gibt zu wenig gute Architektur im privaten Wohnbau“
Die Architekturhistorikerin und Bausünden-Expertin Turit Fröbe hat die „Häuser des Jahres“ mitausgezeichnet. Im Interview spricht sie über Sinn und Unsinn von Einfamilienhäusern und erklärt, wie die Architektur das Thema zurückerobern könnte.
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Foto Callwey Verlag/AMUNT Nagel Theissen Architekten
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Auch Einfamilienhäuser von Architekten aus Stuttgart sind unter den „Häusern des Jahres 2022“. Dieses Einfamilienhaus im Schwarzwald von AMUNT Nagel Theissen Architekten aus Stuttgart hat besondere Anerkennung erhalten.
Foto Philip Birau
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Architekturhistorikerin und Architekturvermittlerin Turit Fröbe war Jurymitglied beim Preis der „Häuser des Jahres 2022“, der vom Deutschen Architekturmuseum Frankfurt am Main (DAM) und dem Callwey Verlag vergeben wird.
Foto Callwey Verlag
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Das ist das Haus mit 142 Quadratmetern Wohnfläche, das den ersten Preis gewonnen hat. Es steht am brandenburgischen Mellensee (60 Kilometer südlich von Berlin) auf einem Gelände zwischen 70 Bäumen, die für den Bau nicht gefällt werden sollten. Es wurde von dem Architekten, Stadtplaner und Filmemacher Peter Grundmann entworfen. Mit der Auszeichnung ist ein Preisgeld von 10 000 Euro verbunden.
Foto Callwey Verlag
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Viel Glas auf beiden Seiten – so leben die Bewohner gefühlt wie im Freien. Das Haus hat innen keine Wände. Alle Teile des Hauses, Stützen, Diagonalstreben, Rahmen, Fassaden, der Betonfußboden und die Holzdecke sind unverkleidet. Auf einen Sonnenschutz konnte verzichtet werden: Der dichte Baumbestand sorgt im Sommer für eine ausreichende Verschattung. Im Winter ist die Sonneneinstrahlung gewollt, beheizt wird das Gebäude mit einer Luftwärmepumpe.
Foto Callwey Verlag
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Eigentlich, sagt Turit Fröbe, „gibt es schon genügend Einfamilienhäuser“. Umso erfreulicher seien da auch die Umbau- und Sanierungsprojekte gewesen. Zum Beispiel wurde eine Landhausvilla in Bern in der Schweiz zeitgemäß umgebaut. Lukas Bögli und Ivo Sollberger von Sollberger Bögli Architekten erhielten hierfür einen der fünf Anerkennungs-Preise.
Foto www.jantscher.ch/Callwey Verlag
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Für einen Abriss war seine graue Energie zu wertvoll: Heute sitzt ein zeitgemäßer, vorfabrizierter Holzbau auf dem alten Erdgeschoss auf – und bietet einer fünfköpfigen Familie schöne Blicke ins Grüne.
Foto Sebastian Schels /Callwey Verlag
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Von den fünf besonderen Anerkennungs-Preisen ging einer an Florian Nagler Architekten. Das Haus steht in der Nähe des Ammersees in Bayern . . .
Foto Sebastian Schels /Callwey Verlag
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. . . und wegen seiner „ reduzierten Form und Materialität entspricht das Ensemble aus Haupt und Garagenhaus der örtlichen Bautradition“, lobte die Jury. Leichtbeton im Erdgeschoss, Holzverschalung im Obergeschoss, bestehend aus sorgsam zusammengefügten Paneelen unterschiedlicher Breite – würde man das Haus abreißen, könnte man die Baumaterialien praktisch sortenrein wieder trennen.
Foto Sebastian Schels /Callwey Verlag
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Ein Blick ins Haus zeigt, Nachhaltigkeit kann behaglich aussehen.
Foto Gustav Willeit/Callwey Verlag
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Oft stehen die architektonisch gelungenen Gebäude nicht in Neubausiedlungen, sondern versteckt in der Natur, sagt die Architekturhistorikerin Turit Fröbe. Mit einer von fünf besonderen Anerkennungen prämiert wurde etwa auch dieses Haus aus Dämmbeton von Armin und Alexander Pedevilla von Pedevilla Architekten in Gossensaß im italienischen Südtirol. Das Dach ist mit rautenförmigen Betonplatten belegt, sie wurden in einem fast 200 Jahre alten Verfahren per Hand hergestellt.
Foto Gustav Willeit/Callwey Verlag
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Etwa 1100 Meter über dem Meeresspiegel gelegen . . .
Foto Gustav Willeit/Callwey Verlag
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. . . bietet das Haus einen einzigartigen Rundumblick in beide Täler und bis hinauf ins Hochgebirge.
Foto Oli Hege /Callwey Verlag
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Fast ein Tiny House: Räumlich auf das Wesentliche reduziert, maximiere das 34 Quadratmeter kleine Domizil die Lebens- und Wohnqualität mitten im Grünen, direkt am See im Landkreis Gießen – lobte die Jury. Die Bauherren hätten auf dem Grundstück der Großeltern deutlich größer bauen können, haben sich aber mit dem Team von motorplan Architekten und Ingenieure auf ein kleines Haus geeinigt. Ein Baukörper, entstanden in Holzrahmenbauweise. . .
Foto Oli Hege /Callwey Verlag
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. . . und mit bodentiefen Fenstern, die das Grün ins Haus holen. Auch dieses Haus – und die Motorplan-Architekten Daniel Knapp und Stefan Trosdorf – erhielten eine besondere Anerkennung.
Foto Rasmus Norlander/AMUNT Nagel Theissen Architekten/Callwey Verlag
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Das 110 Quadratmeter große Holzhaus in Menzenschwand im Südschwarzwald erhielt ebenfalls eine Anerkennung. Der Entwurf stammt von dem Stuttgarter Büro AMUNT, das von Sonja Nagel und Jan Theissen geführt wird. Das Gebäude wurde aufgeständert, der Platz unter dem Baukörper wird zum Lagern und für den Aufenthalt genutzt, von der Straße erfolgt die Erschließung ebenerdig. Eine dünne Dachschale mit großen Überständen legt sich schützend über die beiden um 45 Grad zum Hang gedrehten Baukörper.
Foto Rasmus Norlander/AMUNT Nagel Theissen Architekten/Callwey Verlag
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Grün und Braun – die Farben der Umgebung finden sich auch im Inneren des modern interpretierten Schwarzwaldhauses.
Foto Brigida González/Callwey Verlag
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Unter den „50 besten Einfamilienhäusern“ ist auch das Büro Yonder Architektur und Design aus Stuttgart. Katja Knaus und Benedikt Bosch haben für Bauherren im Allgäu ein Einfamilienhaus um den Baum herum entworfen. Das Grundstück ist so steil, dass das Grundstück in Oberreute lange Zeit nicht als bebaubar galt. Und . . .
Foto Brigida González/Callwey Verlag
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. . . das lobte die Jury: „Ein bivalentes Heizsystem – eine Luft-Wasser-Wärmepumpe für die Grundlast und ein Kaminofen im Wohnraum für Spitzenlasten bei niedrigen Außentemperaturen – sorgt für effiziente und wirtschaftliche, dabei gemütliche und atmosphärische Wärme.“
Foto Aretz Dürr/Luca Claussen/Callwey Verlag
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Noch ein Umbau, der es unter die „Häuser des Jahres 2022“ geschafft hat: Das Bestandshaus aus den 70er Jahren steht an einem Südhang in Biberach an der Riss in Baden-Württemberg. Das Grundstück fällt von Nord nach Süd zehn Meter ab. Der Umbau teilt das Einfamilienwohnhaus in zwei vertikal gestaffelte Wohneinheiten, die jeweils ebenerdig an das Bestandsgelände anschließen. Entworfen wurde der Bau von Aretz Dürr Architektur, Jakob Dürr und Sven Aretz aus Köln.
Foto Andreas Balon/Callwey Verlag
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Ein Grundstück – drei Familien. In erster Reihe am Traunsee im Salzkammergut teilen sich drei Bauherrenfamilien das Grundstück für drei Häuser. Jedes der in Holz-Hybrid-Bauweise entstandenen Gebäude bietet Platz für jeweils vier Personen. Der Entwurf stammt von Klaus Landerl von ARKFORM in Linz.
Foto Callwey Verlag
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Nachverdichtung: Drei Reihenhäuser für jeweils fünf Bewohnerinnen und Bewohner ersetzen eine Villa aus den 1950erJahren oberhalb von Lausanne in der Schweiz. Die Auszeichnung geht an Christiane von Roten, Guy Nicollier, Cyril Michod und Antoine Hahne von PONT12 Architectes, Chavannes-près-Rene. Zahl, Größe und Verteilung der Zimmer sowie ihre Erschließung entwickelte jede Familie für sich selbst. Die Materialien sind roh belassen, ihre Anzahl auf ein Minimum reduziert: Lärchenholz wurde für die Fassade verwendet, Sichtbeton im Inneren.
Foto Callwey Verlag/Sebastian Schels
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Ein Beispiel für Nachverdichtung: Dieses Einfamilienhaus, entworfen von Christian Groß, steht auf einem Grundstück in zweiter Reihe in Pähl im oberbayerischen Landkreis Weilheim-Schongau.
Foto Albrecht Imanuel Schnabel /Callwey Verlag
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Noch eine Nachverdichtung auf dem Land: Auf einem schon recht eng bebauten Hang in Sulzberg im Bregenzerwald fand sich Platz für dieses Einfamilienhaus, entworfen von Patrick Stremler, Helmut Dietrich, Much Untertrifaller, Dominik Philipp Dietrich von Dietrich Untertrifaller Architekten, Bregenz.
Foto Callwey Verlag
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Um- und Anbau eines mittelalterlichen Reihenhauses in Sempach nahe Luzern in der Schweiz von Marina und Ursula Barmettler von Barmettler Architektur in Sempach. Im Inneren sind die historische Konstruktion und sämtliche Zeitschichten erlebbar, die neue Holzschindelfassade zur innerstädtischen Gasse hin darf in Würde altern.
Foto Callwey Verlag
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Auch hier wurde ein altes Haus zeitgemäß saniert von Architekt Michael Aurel Pichler, der sein Büro in München führt: Umbau eines alten Frankenwaldhauses in Nordhalben, vor der Grenze Oberfrankens zu Thüringen gelegen. Vier Bewohner leben hier auf 81 Quadratmetern.
Foto Philip Heckhausen/Callwey
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Mehr Platz innen und eine zusätzliche Terrasse durch einen schlichten Anbau – Einfamilienhaus aus den 1930ern in Leipzig. Der Entwurf stammt von Florian Voigt, Elke Voigt, Tobias Voigt vom Büro Voigt in Leipzig.
Foto Callwey Verlag
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Sorgsamer Umgang mit Material: Vom Altbau wurden die historischen Feldbrandsteine für den Neubau wieder verwendet bei diesem kompakten Einfamilienhaus in Köln, entworfen von Till Robin Kurz vom Architekturbüro Kurz in Köln.
Foto Callwey Verlag
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Eine heruntergekommene Bauernkate an der Flensburger Förde, die fein saniert und mit bodentiefen Fenstern geöffnet wurde- zugleich, lobte die Jury den Architekten Jan Henrik Jansen, blieben „Charakter der ortstypischen, ländlichen Baukultur erhalten“.
Foto Albrecht Imanuel Schnabel /Callwey Verlag
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Architekt Jürgen Haller aus Mellau im Bregenzerwald ist wie in den Vorjahren auch jetzt wieder ausgezeichnet worden. Das Wohnhaus liegt in Sibratsgfäll in einem ruhigen Seitental bei Hittisau auf 930 Metern Höhe. Die Bauherrschaft wünschte sich einen sensiblen Umgang mit der örtlichen Baukultur, das traditionelle Satteldach zitiert die Proportionen der regional typischen Bauform. Der Sockel aus sandgestrahltem Beton trägt die Holzkonstruktion. Auch räumlich entspricht Haus Halwina der Tradition des Bregenzerwälder Hauses. Es gliedert sich in ein Vorderhaus mit Rundschindelfassade und Kastenfenstern zum Wohnen für die Familie und ein Hinterhaus mit einer Einliegerwohnung, dessen stehende, naturbelassene Fichtenfassade in unterschiedlichen Breiten verkleidet ist.
Foto Gustav Willeit/Callwey Verlag
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Villen zum Träumen? Sind auch unter den 50 Einfamilienhäusern. So wie das lang auskragende Haus oberhalb des Lago Maggiore. „Der mal glatt, mal gestockt eingesetzte Beton verbindet es mit der Felslandschaft, zermahlener Stein aus der Umgebung wurde beigemischt und erdet“ – so schwärmt die Jury. Der Entwurf stammt von Gerd Bergmeister und Michaela Wolf von bergmeisterwolf in Brixen.
Foto Verlag
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Die Fotos stammen aus dem Buch zum Preis: Katharina Matzig: Häuser des Jahres 2022. Die 50 besten Einfamilienhäuser 2022. Mit Texten, Fotos und Grundrissen. Callwey-Verlag, München. 320 Seiten, 59,95 Euro.
Foto Verlag
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Turit Fröbe hat auch ein Buch über Einfamilienhäuser geschrieben. „Eigenwillige Eigenheime“ ist im Dumont-Verlag erschienen und zeigt Häuser, die vielleicht keine Architekturpreise erhalten, aber zumindest nicht langweilig sind, so . . .
Foto Dumont Verlag
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. . . wie dieses Haus – Doppelhaushälfte ohne andere Hälfte, von Turit Fröbe in Kiel entdeckt und Teil von „Eigenwillige Eigenheime“.