Auch nach 100 Verhandlungstagen hat das Gericht im NSU-Prozess noch einige dicke Bretter zu bohren. Viel Mühe machen vor allem die Zeugen aus der rechten Szene. Eine Zwischenbilanz.

Auch nach 100 Verhandlungstagen hat das Gericht im NSU-Prozess noch einige dicke Bretter zu bohren. Viel Mühe machen vor allem die Zeugen aus der rechten Szene. Eine Zwischenbilanz.

 

München - Manfred Götzl machte es kurz: „Dann darf ich Sie zum nunmehr 100. Verhandlungstag begrüßen“, sagte der Vorsitzende Richter am Dienstagmorgen zur Eröffnung der Sitzung - dann ging es mit der Beweisaufnahme im NSU-Prozess weiter. Wahrscheinlich kann nicht einmal Götzl so richtig abschätzen, wie viele Tage es noch werden. Schon jetzt sind Termine bis Ende des Jahres angesetzt, doch das dürfte kaum reichen. Wo steht das Verfahren?

Die Aufarbeitung der zehn Mordanschläge des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) hat das Oberlandesgericht München weitgehend abgeschlossen. Dieser Teil, für die Angehörigen wahrscheinlich am belastendsten, ist juristisch vergleichsweise unkompliziert: Ernsthafte Zweifel, dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mit ihrer „Ceska“-Pistole neun Menschen ausländischer Herkunft erschossen, dürften nach der Beweisaufnahme kaum noch bestehen.

Mit viel Mühe versuchte der Staatsschutzsenat zudem, die Rolle des ehemaligen Verfassungsschützers Andreas T. aufzuklären. Er saß beim Mord an Halit Yozgat im hinteren Raum des Internet-Cafés in Kassel, in dem die Terroristen den 21-Jährigen erschossen. Von der Tat will er nichts mitbekommen haben. Dass er mit dem Mord etwas zu tun hatte, ist äußerst unwahrscheinlich - doch das Gericht lud immerhin seine Kollegin und den frühen Verfassungsschutz-Chef als Zeugen.

Weiter rätselhaft: Warum musste Michèle Kiesewetter sterben?

Rätselhaft erscheint noch immer der Mordanschlag auf die beiden Polizisten in Heilbronn: Dort töteten die Attentäter 2007 die Beamtin Michèle Kiesewetter; ihr Kollege Martin A. wurde schwer verletzt. Kiesewetter stammt aus dem thüringischen Oberweißbach - ganz in der Nähe betrieb der Schwager des als NSU-Helfer angeklagten Ralf Wohlleben eine Gaststätte. Doch weder die Ermittlungen der Polizei noch die Beweisaufnahme vor Gericht haben Belege für eine Verbindung zwischen der Polizistin und dem Trio ergeben.

Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass Kiesewetter ein „Zufallsopfer“ ist, welches die Terroristen aus Hass auf den Staat und die Polizei aussuchten. So unbefriedigend diese Erklärung sein mag - eine bessere und zugleich gerichtsfeste hat bislang niemand gefunden.

Ziemlich klar scheint jedenfalls auch hier, dass wiederum Böhnhardt und Mundlos die Tat ausführten: Das Bekennervideo des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ endet mit einem Bild von Kiesewetters Beerdigung, die Dienstpistolen der Beamten wurden nach dem Auffliegen der Gruppe im Wohnmobil von Böhnhardt und Mundlos gefunden, die Tatwaffen im Brandschutt der Zwickauer Wohnung des Trios.

Auch die Brandstiftung in Zwickau hat das Gericht weitgehend abgehandelt. Es ist die einzige Tat, die Beate Zschäpe unmittelbar selbst ausgeführt haben soll. Auch hierfür gibt es ziemlich klare Indizien, von Zeugenaussagen bis zu Benzinspuren an Zschäpes Kleidung. Die Bundesanwaltschaft wirft der Hauptangeklagten aber auch Mordversuch vor - sie habe das Leben einer Nachbarin und zweier Handwerker aufs Spiel gesetzt, als sie die Wohnung anzündete. Das dürfte letztlich eine Frage der rechtlichen Bewertung sein.

Vernehmung der Zeugen aus rechter Szene schwierig

Nur am Rande wurden bislang die Bombenanschläge in der Kölner Keupstraße und in einem Lebensmittelgeschäft in der Kölner Innenstadt behandelt. Und die zahlreichen Banküberfälle, die Böhnhardt und Mundlos verübt haben sollen, um ihr Leben im Untergrund zu finanzieren, spielten bislang überhaupt keine Rolle.

Schwieriger gestaltet sich die Vernehmung von Zeugen aus der rechtsextremen Szene. Die sind vor allem aus zwei Gründen wichtig: Der ideologische Hintergrund der späteren mutmaßlichen Terroristen soll dargestellt werden - und auch die Rolle Zschäpes innerhalb der Szene und des Trios. Die Bundesanwaltschaft sieht die Hauptangeklagte als gleichberechtigtes Mitglied der Gruppe, das die neonazistische und rassistische Ideologie teilte und für die legale Fassade sorgte. Deshalb ist sie als Mittäterin an allen Attentaten des NSU angeklagt.

Doch bei den Zeugen aus der rechten Szene stößt das Gericht bislang auf eine Mischung aus Schweigen, unwilligen Minimalantworten und der schwer zu widerlegenden Behauptung großflächiger Erinnerungsausfälle. Gerade der 100. Verhandlungstag gab ein gutes Beispiel dafür: Der Zeuge Thomas R., der Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt nach dem Untertauchen immerhin zwei bis drei Wochen in seiner Wohnung beherbergt hatte, vermied Antworten, wo immer er konnte - zu seinen Verbindungen zum rechtsradikalen Netzwerk „Blood & Honour“ wollte er gar nichts sagen.

Neu allerdings war die Reaktion von Richter Götzl: Er drohte dem Zeugen erstmals Ordnungsgeld oder Ordnungshaft an. Die Sitzung wurde daraufhin zunächst beendet. Doch der Zeuge ist damit nicht durch: „Sie werden wiederkommen müssen“, sagte Götzl. Und das dürfte in diesem Fall durchaus eine Drohung sein.