Im heutigen Amazonasgebiet lebte vor vielen Millionen Jahren ein riesiger Urzeit-Flussdelfin. Aus seinem Schädel rekonstruiert ein Forschungsteam die Evolutionsgeschichte dieser ungewöhnlichen Art, die sich als der größte bislang bekannte Süßwasserdelfin herausstellt.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Im peruanischen Amazonasgebiet haben Forscher Überreste des größten bekannten Süßwasserdelfins entdeckt. Pebanista yacuruna war mindestens drei bis dreieinhalb Meter lang. Das nun gefundene Fossil ist rund 16 Millionen Jahre alt, wie ein internationales Forscherteam im Fachblatt „Science Advances“ berichtet.

 

Aus dem Fund leitet die Gruppe um den Paläontologen Aldo Benites-Palomino von der Universität Zürich viele Details zur Evolutionsgeschichte von Flussdelfinen allgemein ab.

Platanistoidea lebten vor 24 bis 16 Millionen Jahren

Demnach gehört die neue Art zur Gruppe der Platanistoidea, die ursprünglich vor 24 bis 16 Millionen Jahren in den Ozeanen lebten. Nachkommen dieser Meeresbewohner erschlossen Flusssysteme und passten sich an die neuen Lebensräume an. Dort habe das reichhaltige Nahrungsangebot die ungewöhnliche Körpergröße von P. yacuruna ermöglicht.

Rekonstruktion eines Kiefers von Pebanista yacuruna. Foto: Imago/Zuma Wire/Carlos Garcia Granthon
Pebanista ernährte sich von Fischen, ähnlich wie andere Flussdelfinarten heute. Die längliche Schnauze mit den vielen Zähnen weist darauf hin. Foto: Imago/Zuma Wire/Carlos Garcia Granthon
Fossiles Knochenfragment des Riesendelfins. Foto: Imago/Zuma Wire/Carlos Garcia Granthon

„Vor 16 Millionen Jahren sah das peruanische Amazonasgebiet ganz anders aus als heute“, schreibt Benites-Palomino. „Ein großer Teil des Amazonas-Tieflandes war von einem ausgedehnten System von Seen und Sümpfen bedeckt, den Pebas.“ Das Flusssystem, in dem der Riesendelfin lebte, floss damals – bis vor circa elf Millionen Jahren – noch nach Norden in den Atlantik, nicht wie der heutige Amazonas nach Osten.

Pebanista yacuruna mit Ganges- und Indusdelfin verwandt

Für Überraschung sorgte die Erkenntnis, dass P. yacuruna am engsten mit den heutigen Flussdelfinen Südasiens verwandt ist, also dem Gangesdelfin (Platanista gangetica) und dem Indusdelfin (Platanista minor) und nicht mit den heutigen Amazonasdelfinen.

Die südasiatischen Flussdelfine haben ebenso wie der ausgestorbene Riesendelfin hoch entwickelte Knochenstrukturen, die mit der Echoortung in Verbindung stehen - sogenannte Gesichtskämme. Sie senden hochfrequente Laute aus und können ihre Umgebung anhand des Echos orten.

Größenvergleich der Flussdelfine Pebanista yacuruna, Platanista gangetica, Pontoporia blainvillei, Inia geoffrensis und Lipotes vexillifer: Weiß gefüllte Zeichnungen geben die minimalen rekonstruierten oder aufgezeichneten Größen an, grau gefüllte die maximalen. Foto: Jaime Bran & Aldo Benites-Palomino/dpa
Vergleiche zwischen den wichtigsten Schädelmerkmalen von Platanista gangetica und Pebanista yacuruna, wobei die supraorbitalen Kämme und die Augenhöhle hervorgehoben werden (nicht maßstabsgetreu). Foto: Aldo Benites-Palomino/dpa

Riesendelfin starb vor zehn Millionen Jahren aus

Für Flussdelfine sei die Echo-Ortung extrem wichtig, erläutert Co-Autor Gabriel Aguirre-Fernández. „Denn die Gewässer, in denen sie leben, sind extrem schlammig, was ihre Sicht behindert.“ Ganges- und Indusdelfin seien nahezu blind, schreiben die Forscher. Angesichts der länglichen zahnbesetzten Schnauze geht das Team davon aus, dass Pebanista sich von Fischen ernährte, wie auch heutige andere Flussdelfine.

Der Riesendelfin starb vermutlich vor grob zehn Millionen Jahren aus, als das nach Norden fließende Pebas-System dem modernen, nach Osten entwässernden Amazonasgebiet zu weichen begann und vermutlich viele Beutetiere verschwanden.

Zu jener Zeit siedelten sich dort Verwandte der heutigen Amazonas-Flussdelfine – der Inia – an, deren Vorfahren noch in den Ozeanen gelebt hatten. Von den Inia sind vier Arten bekannt, die im Amazonas und Orinoco leben. Gefunden wurde der Schädel des Riesendelfins 2018 am Rio Napo, einem Nebenfluss des Amazonas.