Lilith van Amerongen, eine 24-jährige Frau, plant eine Solo-Expedition durch die Antarktis. Damit hilft sie der Forschung – und will für die Klimaerwärmung sensibilisieren. Doch bringen solche extremen Aktionen etwas?

Klima und Nachhaltigkeit: Julia Bosch (jub)

Ein mehr als 80 Kilo schwerer Schlitten. Temperaturen zwischen minus 15 und minus 45 Grad. Und eine 24-Jährige, die alleine auf Skiern durch die Antarktis laufen will – bis sie am Südpol ankommt. Das ist der Plan von Lilith van Amerongen, einer Hamburgerin, die in Armenien zur Schule gegangen ist und zuletzt in Norwegen gelebt hat.

 

Den Trip plant sie nicht aus Langeweile, sondern weil sie für die Klimaerwärmung sensibilisieren will. „Ich wünsche mir, dass die Menschen sich fragen: ‚Warum macht die so etwas Krasses, warum läuft eine junge Frau bis ans Ende der Welt?‘“ Sie hoffe, dass anderen dadurch die Dringlichkeit der Klimakrise bewusst werde. Außerdem wolle sie dazu ermuntern, dass man das, was man gut könne, für etwas Sinnvolles einsetze.

In der Antarktis sind doppelt so viele Kalorien nötig

Sie selbst kann gut in kalten Gebieten unterwegs sein und ist sportlich. Sie hat eine Ausbildung zum Nordic Nature Guide absolviert, führt also Touristen durch Nordeuropa, und hat schon oft bei Minusgraden gezeltet. Dennoch ist die Solo-Tour zum Südpol auch für sie eine ganz andere Herausforderung. „Ich habe Respekt vor extremen Stürmen“, sagt sie. „Die Winde an der Antarktis können hart werden.“

Unterwegs muss sie deshalb sehr genau auf ihren eigenen Körper achten: Wegen der Kälte und der Anstrengung plant sie etwa doppelt so viele Kalorien wie sonst zu sich nehmen: 4500 pro Tag. Außerdem darf sie bei den langen Märschen nicht zu sehr ins Schwitzen kommen, weil sie sonst auskühlen könnte.

Mit Autoreifen trainiert sie für die Expedition

Unterwegs hat sie auch eine Aufgabe für die Wissenschaft: Alle 50 Kilometer sammelt sie eine Schneeprobe ein für das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung. Die dort tätige Wissenschaftlerin Heike Wex forscht an Partikeln, die für die Eisbildung in den Wolken zuständig sind. Durch die Schneeproben kann sie Rückschlüsse auf Wolken ziehen, denn diese sind unter anderem zentral für die Reflexion von Sonnenstrahlung und Veränderungen in den Temperaturen.

Diese Daten lassen sich dann in Klimamodelle einspeisen. „Die Antarktis ist der am wenigsten erforschte Kontinent und der Ort, wo Klimamodelle immer sehr stark voneinander abweichen“, erläutert Lilith van Amerongen. Und bisher gebe es vor allem Daten rund um die Forschungsstationen – aber kaum Querschnitt über alle 50 Kilometer hinweg.

Bis es so weit ist, steht noch einiges an. Die 24-Jährige will im antarktischen Frühsommer Mitte November starten. Im August reist sie nach Grönland, „das ist der Antarktis am ähnlichsten“. Sie treibt viel Sport: Ausdauertraining, Beine, Rücken und Bauch stärken. Mitunter erntet sie dabei amüsierte Blicke: Beim Joggen durch Hamburg zieht sie zwei Autoreifen hinter sich her.

Frauen sind anfälliger für Kälteverletzungen

Das ist eine Vorbereitung dafür, dass sie in der Antarktis den mehr als 80 Kilo schweren Schlitten hinter sich herziehen muss, teils bergauf und mit Gegenwind. „Ich brauche Essen für anderthalb Monate“, erklärt sie das Gewicht. Zudem wird ihr Campingkocher täglich vier Stunden im Einsatz sein, um Schnee zu Trinkwasser zu schmelzen, daher benötigt sie viel Brennstoff. Zudem sind auf dem Schlitten Solarpaneele, damit dem Satellitentelefon nicht der Akku ausgeht.

Bisher wurden Polarexpeditionen vor allem von Männern absolviert. Als Frau habe man Vor- und Nachteile, sagt Lilith van Amerongen: Einerseits wisse man, dass bei Frauen eine geringere Gefahr bestehe, bei solchen Touren extrem abzumagern. Andererseits seien Frauen durch ihre andere Fettverteilung anfälliger für Kälteverletzungen. Zudem gebe es bei der Ausrüstung im extremen Bereich kaum an Frauen angepasste Ware.

Sie braucht noch Sponsoren für die teure Expedition

Bis sie losziehen kann, braucht Lilith van Amerongen noch Sponsoren. Der Trip wird rund 145 000 Euro kosten. Das liege vor allem an der sehr teuren Logistik in der Antarktis, erklärt sie. Mehr als 80 000 Euro kostet bereits der gesamte Transport sowie dass eine Ärztin im Basislager ist; die kann die 24-Jährige im Notfall per Satellitentelefon kontaktieren. Der Rest seien Ausrüstung, Trainingsexpeditionskosten und Nahrung. „Ich verdiene gar nichts daran“, betont sie.

Bringen denn solche extremen Touren tatsächlich etwas, um für die Erderwärmung zu sensibilisieren? Melanie Nagel ist Politikwissenschaftlerin und forscht zu Klimaaktivismus. Sie sagt, dass eine gewisse Radikalität nötig sei, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Weil das Festkleben auf Straßen viel Unmut in der Bevölkerung ausgelöst habe, würden nun andere Möglichkeiten gesucht, „unter anderem durch extreme Herausforderungen“. Wenn andere Menschen davon hörten, könnten diese sich fragen: „Was wäre ich bereit zu leisten, um diese drohende Katastrophe aufzuhalten?“

Das Ganze kann auch ganz schnell kippen

Allerdings sei es ein schmaler Grat, dass dies ins Gegenteil kippen könnte, sobald etwas schiefgehe und Rettung nötig sei: „Dann spielt man Klimaskeptikern in die Karten und es entsteht eine Debatte über die ‚dumme Aktion‘ anstatt übers Klima“, sagt Nagel.

Lilith van Amerongen hofft, dass sie durch ihre Art des Aktivismus neue Personen anspricht: „Vielleicht kann ich damit Menschen abholen, die sich bisher für Klima wenig interessiert haben, aber für Abenteuer.“