Die beiden Töchter der verstorbenen Asterix-Väter René Goscinny und Albert Uderzo, Anne und Sylvie, äußern sich im Exklusivinterview zu den Ein- und Aussichten der berühmtesten Comicfigur Frankreichs. Und zum neuen, 40. Album „Die weiße Iris“, das am 26. Oktober erscheint.

Korrespondenten: Stefan Brändle (brä)

Im 40. „Asterix“-Band „Die weiße Iris“ propagiert die neue Hauptfigur Visusversus das positive Denken, manipuliert aber in Wahrheit das ganze gallische Dorf. Das ganze? Antwort geben der neue Texter Fabrice Caro (50) und der Illustrator Didier Conrad in seinem sechsten Einsatz.

 

Frau Goscinny, Frau Uderzo, fühlen Sie sich kraft Ihrer Namen als so etwas wie die Hüterinnen des „Asterix“-Grals?

Sylvie Uderzo: (Lacht) Des Grals . . . des Tempels – wie Sie wollen.

Anne Goscinny: Eher des Dorfes. (Lacht)

Sylvie Uderzo: Ja, noch besser. Wir sind die Wächterinnen des gallischen Dorfes!

Anne Goscinny: Zumal sich unsere Väter in einem Dorf besser gefühlt hätten als in einem Tempel. Und sicherlich in diesem mythischen Dorf, das bekannt ist für seinen Humor, für seinen trotzigen Widerstand.

Sylvie Uderzo: Für seine Rebellion! (Lacht)

Der Texter Fabcaro alias Fabrice Caro gilt als jemand mit leicht verschrobenem, rebellischem Humor . . .

Anne Goscinny: Als wir 2021 einen neuen Autor suchten, lautete die Frage, ob sich jemand finden ließe, der den Geist von „Asterix“ treffen kann. Fabcaro kam wie gerufen. Seine Werke mit ihrem oft absurden Humor hätten meinem Vater gefallen. In „Die weiße Iris“ hat er bewiesen, dass er ein „Asterix“-Abenteuer schaffen kann. Falls er weitermachen will, was ich hoffe, wollen wir ihn anhalten, mehr von sich einzubringen, seine eigenen Vorstellungen des „Asterix“-Universums.

Sylvie Uderzo: Für Fabcaro muss es lähmend gewesen sein, einen ersten Band über eine Ikone wie „Asterix“ zu schaffen – mit Fans in aller Welt, die genau darauf achten, dass all die bekannten Codes respektiert werden, die Figuren, ihr Wortwitz, der Klamauk, die Rituale, die Running Gags. Mein Vater erhielt ständig Kommentare, die Vorderfüße des Elefanten wären falsch gezeichnet oder der Henkel des Kochtopfes für den Zaubertrank daneben. Er amüsierte sich köstlich über solche Einwände. Für die jetzigen „Asterix“-Macher ist der Druck gewaltig. Wer in den Fußstapfen von René Goscinny und Albert Uderzo wandeln will, braucht nicht nur gutes Schuhwerk, sondern auch breite Schultern. (Lacht)

Oder etwas Zaubertrank? Können Sie uns die Zauberformel nennen?

Sylvie Uderzo: Unsere Väter hatten kein Rezept. Entscheidend war wohl ihre Beziehung, eine richtige, echte Freundschaft. Das Rezept lautete, die „Asterix“-Leser zum Lachen zu bringen.

Anne Goscinny: Mein Vater sagte mir einmal, er mache sich erst dann an ein neues Comic-Feld, wenn ihm für das vorhergehende Feld wirklich kein Gag mehr einfalle.

Sylvie Uderzo: Das Geheimnis ist vielleicht, dass „Asterix“ nie ein Marketingprodukt war, nie einem Modetrend folgte.

Anne Goscinny: Heute fragt man die Kinder, was sie lesen wollen, statt ihnen zu geben, was gut ist. Unsere Väter machten das Gegenteil: Statt dem Publikum zu folgen, ließen sie sich vom Publikum folgen.

Sylvie Uderzo: „Asterix“ ist eben eine Form von Gegenkultur. In den 60ern lief der kleine Gallier den Zeittrends völlig entgegen – und hatte doch Erfolg. Dabei war die „Asterix“-Idee aus der Not entstanden: René und Albert mussten der Zeitschrift „Pilote“ auf Teufel komm raus etwas liefern. Sie brauchten nicht mehr als eine Viertelstunde, um das ganze „Asterix“-Universum zu schaffen.

Wirken die Gallier vielleicht auch deshalb so lebendig, weil Asterix Züge von Goscinny trägt, Obelix von Uderzo?

Sylvie Uderzo: Zweifellos . . .

Anne Goscinny: . . . war das auch so, weil unsere unsere Väter enge Freunde waren und dies in ihre Geschichten übertrugen.

Sylvie Uderzo: Dazu kommt, dass René unbedingt einen kleinen Antihelden wollte, während Albert von US-Comics beeinflusst war und, störrisch, wie er war, einen großen und starken Charakter wollte. Aber natürlich wurde Obelix dann auch ein Antiheld.

Und diese beiden so sympathischen Antihelden brauchen also Ihren Schutz?

Anne Goscinny: Ja, denn wir wollen nicht, dass sie auf Abwege kommen. Wir achten darauf, dass ihr Abenteuer keine Wendungen nimmt, die unsere Väter nicht gewollt hätten. Und zwar dauerhaft. Wir ziehen es vor, weniger Produkte abzusetzen, aber dafür den Geist des Comics zu wahren.

Sylvie Uderzo: All die fantastischen kommerziellen Angebote, die diesem Erbe nicht entsprechen, lassen uns kalt.

Entscheiden Sie über den Kurs der Serie und den Inhalt der Alben?

Anne Goscinny: Wir entscheiden nicht, wir begleiten. Nur wenn wir Fehler sehen, schalten wir uns direkt ein. Wir sind wie Mütter: Sie geben ihr Kind nie ganz auf, selbst wenn es die schlimmsten Fehler macht.

Schauen Sie den Machern beim Texten und Zeichnen über die Schulter?

Anne Goscinny: Nein, dafür ist allenfalls der Verlag da. Wir mischen uns nicht in den Schöpfungsprozess ein, wir stehen daneben.

Sylvie Uderzo: Wir sind das Tüpfelchen auf dem i. Und was für ein i! (Lacht)

Neuere Alben nehmen zeitgenössische Gesellschaftsthemen auf –Frauen, Umwelt. Ist das von Ihnen gewollt?

Anne Goscinny: Nein, das war schon immer so. Auch viele älteren Alben enthalten solche Themen wie etwa Religion, Immobilienkrise. Der neueste Band reiht sich da mit positivem Denken ein.

Sind Themen wie Feminismus nicht ein Stilbruch zur Antike?

Sylvie Uderzo: Der 29. Band, „Asterix und Maestria“, war 1990 wohl eine Antwort auf Kritik, René und Albert bezögen nicht genug Frauen ein. Solche Themen kommen aber nicht als Selbstzweck vor, sondern für den Plot. Wie auch bei Kleopatra. Sie wurde nicht schwach gezeigt, sondern stark und mächtig.

Anne Goscinny: Mein Vater sagte oft, eine karikierte Frau bringe niemanden zum Lachen. Es stimmt, Gutemine, die Frau von Majestix, ist eine Zänkerin. Aber mein Vater ließ sich auch gerne von schönen Frauen wie Sylvies Mutter inspirieren.

Albert Uderzo hat 2018 gesagt, nach ihm würde die Serie eingestellt.

Sylvie Uderzo: Das hat er einmal gesagt. Später hat er seine Meinung wieder geändert.

Kann „Asterix“ jemals enden, wenn die Millionenauflage stetig steigt?

Anne Goscinny: An dem Tag, an dem wir feststellen, dass die Serie nicht mehr auf der Höhe ist oder vom Weg abkommt, werden wir alles unternehmen, sie einzustellen.

Wenn Asterix schon nicht in den Ruhestand darf – könnte er heiraten?

Sylvie Uderzo: Nein, nie! Er kann sich verlieben, hat das auch schon getan. Aber wenn die Autoren nicht wollen, dass er heiratet, wird er nie heiraten. Man muss schon kohärent bleiben. Dass Asterix keine Frau hat, gehört zu den Codes, von denen wir sprachen. Und diese Codes legen nicht wir fest, sie ergeben sich von selbst, aus der Geschichte.

„Asterix“ und seine Hüterinnen

Album
 „Die weiße Iris“ erscheint in 20 Sprachen und einer – erneut gestiegenen – Auflage von über fünf Millionen, neu auch auf Griechisch und Dänisch. Die deutsche Ausgabe ist mit 1,7 Millionen Exemplaren die wichtigste neben der französischen.

Erbinnen
Anne Goscinny, geboren 1968 und René Goscinnys einzige Tochter, ist Literaturkritikerin und Romanautorin. Sylvie Uderzo, geboren 1956 und Albert Uderzos einzige Tochter, ist Verlegerin. Sie wachen gemeinsam über ihr Erbe.

Geschichte
 Der Autor René Goscinny und der Zeichner Albert Uderzo haben „Asterix“ 1959 erfunden. Nach dem frühen Tod Goscinnys im Jahr 1977 übernahm Uderzo auch die Texte, bevor er 2020 starb. Der neue Autor Fabcaro hat sich in Frankreich mit «Zaï Zaï Zaï Zaï» einen Namen gemacht.