Der „Dixie Cup“
Die Geschichte selbst beginnt weit früher. Bereits 1907 erfand Lawrence Luellen den Einwegbecher, genannt „Health Kup“, später dann „Dixie Cup“ in Kombination mit einem Wasserspender. Hygienisch ein Gewinn, weil man damals beispielsweise an Hochschulen Wasser aus öffentlichen Hähnen trinkt, manchmal direkt mit dem Mund am Hahn, manchmal mit einem Gemeinschaftsbecher. Während zwischen 1918 und 1920 weltweit die Spanische Grippe wütet, lernt die Bevölkerung schnell, dass Einwegbecher auch pandemisch sinnvoll sind.
Seinen Kaffee aus derartigen Behältnissen zu trinken, kommt erst in den 60er Jahren auf. Da verkauft die US-Kiosk- und Imbisskette 7-Eleven auf Long Island, New York, erstmals Kaffee und andere Heißgetränke im Styroporbecher. Starbucks’ Beitrag zum Coffee to go ist Jahrzehnte später der Deckel auf dem Becher.
Getränkeverkauf war nicht vorgesehen
Nichts dergleichen ist nötig, als die Studienfreunde Gordon Bowker (ein Autor), Zev Siegl (ein Geschichtslehrer) und Jerry Baldwin (ein Englischlehrer) am 31. März 1971 die erste Starbucks-Filiale am Pike Place Market in Seattle eröffnen. Verkauft werden geröstete Bohnen, Tee und Gewürze – „Starbucks Coffee, Tea and Spice“. Getränkeverkauf ist damals nicht vorgesehen.
Des Trios Liebe zum Kaffee findet ihren Ursprung in Alfred H. Peet. Der Kaffee-Enthusiast mit den niederländischen Wurzeln siedelt Mitte der 50er Jahre nach Berkeley in Kalifornien über und ist entrüstet über die miserable Qualität der örtlich angebotenen Kaffeesorten und der Kaffeekultur, die seiner Ansicht nach geschmacklich in der Rationierung des Zweiten Weltkrieges stecken geblieben ist.
Der Holländer und der Kaffee
Alfred Peet betreibt fortan Pionier- und Überzeugungsarbeit im Tee- und Kaffeeimport und besonders in der fachgerechten Röstung von Bohnen. Ein wahrer Meister. Sein Wissen und seine Rösttechniken teilt er bereitwillig mit anderen Unternehmern. So wird Peet zu einer Art frühem Influencer für Kaffee und so erfolgreich, dass er später bezeichnet wird als „der Holländer, der Amerika beibrachte, wie man Kaffee trinkt“.
Die Starbucks-Gründer beziehen anfangs Bohnen von Peet, lernen später das Handwerk von ihm und betreiben mit seinem Segen und Know-how ihren ersten Laden am urigen Pike Place Market am Hafen von Seattle. Der Name ist ausgeliehen von Herman Melvilles „Moby Dick“ beziehungsweise vom Steuermann Starbuck. Innerhalb von zehn Jahren eröffnen Bowker, Siegl und Baldwin drei weitere Filialen in Seattle. Man hat vor Ort Gefallen an deren schmackhaftem Kaffee gefunden.
Microsoft, Grunge, mieses Wetter – Kaffee
Die Kaffeekultur ist in Seattle stärker ausgeprägt als in anderen US-Städten. Man sagt, das läge auch am Wetter: Gelegen zwischen Wäldern, Bergen und dem Meer regnet es in Seattle weit ausdauernder als anderswo. Es sieht den ganzen Tag aus, als würde es gleich regnen, und wenn man dann nicht mehr daran glaubt, schüttet es. Ideale Voraussetzung eine Tasse länger im Café sitzen zu bleiben oder überhaupt dort Schutz vor dem Regen zu suchen.
Rockmusik beziehungsweise „Grunge“, neben Microsoft das andere Exportgut der kleinen Großstadt, passiert ähnlich: Junge Leute machen lieber im Proberaum gemeinsam Musik, als sich draußen vollregnen zu lassen.
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Wirklich professionalisiert wird Starbucks erst ab 1982 – da steigt Howard Schultz als Marketing-Manager ins Geschäft ein beziehungsweise entdeckt das enorme Potenzial von Starbucks. Er fängt an, Edel-Restaurants und Kaffeehäuser der Stadt mit Bohnen zu beliefern, und schenkt in den bestehenden Filialen bereits zubereiteten Kaffee aus. Schultz’ ausgeprägter Geschäftssinn geht den Starbucks-Gründern allerdings ein bisschen zu weit. In deren Selbstverständnis betreiben sie schließlich Liebhaberei, Schultz aber will im großen Stil wirtschaften. Sein Traum sind Kaffeebars, wie er sie in Mailand erlebt hat.
Auf einen Kaffee ins „Il Giornale“
Schultz eröffnet daraufhin, unterstützt von den Starbucks-Machern, sein eigenes Kaffeehaus – „Il Giornale“ –, weil man mit italienischem Anstrich noch besser Kaffee verkaufen kann, selbst wenn’s übersetzt „Zeitung“ heißt. 1987 kommt Schultz dann mit Investorengeld zurück und kauft Starbucks für 3,8 Millionen US-Dollar, knapp 3,2 Millionen Euro. Was folgt, ist eine atemberaubende Expansion und die Manufaktur eines Lebensstils.
Der „dritte Ort“ will man werden – Heim, Arbeit, Starbucks. Die Vornamen der Gäste werden auf die Einwegbecher geschrieben. Wer zum zweiten Mal kommt, wird mit Namen angesprochen, wer Kaffee zubereitet, wird „Barista“ genannt und die Heißgetränke bekommen italienisch oder französisch klingende Namen – wegen des internationalen Flairs. Latte-Frappuccino, lecker. Lifestyle.
Die Variante, den Kaffee mitzunehmen, gerät eher zur Maßnahme, sich auch die Kundschaft zu erschließen, die weder Zeit noch Lust hat, in den immer mehr zu Wohlfühloasen umgebauten Kaffeehaus-Filialen zu verweilen. Starbucks machte selbst das zum Chic.
Rückkehr als Fantasie-Lifestyle
1991 eröffnet in den USA die 100. Filiale, ein Jahr später geht’s an die Börse. Ab 1995 expandiert Starbucks ins Ausland und bringt die einst von den Europäern entliehene Kaffeekultur als komplett durchamerikanisierten Fantasie-Lifestyle zurück nach Europa und in den Rest der Welt.
In den USA ist es bereits Ende der 90er Jahre ein bisschen verpönt, zu Starbucks zu gehen. Das liegt am mitunter rustikalen Geschäftsgebaren der Kette, die munter Mitbewerber aufkauft oder vom Markt drängt. Immer wieder in die Kritik gerät Starbucks auch wegen fragwürdiger Handelspraktiken mit Kaffeebauern, mutmaßlicher Steuervermeidung, Müllbergen an nicht recyclingfähigen Einwegverpackungen, viel zu viel Zucker und schlechter Arbeitsbedingungen.
Als Schultz 2018 seinen Rückzug aus der Firmenleitung verkündet, ist Starbucks mit 29 000 Cafés in 75 Ländern vertreten. Nur in Italien kann Starbucks auch später kaum punkten. Manche mutmaßen, man sei gekränkt, weil man selbst keine weltweite Kaffeekette auf den Weg gebracht hat. Andere sagen: Italien weiß, wie Kaffee schmecken muss.