Auch 60 Jahre nach Bildung des Südweststaates grummelt es zwischen Württembergern und Badenern. Das wurde auch bei der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 deutlich.

Stuttgart - Auch sechzig Jahre nach der Bildung des Südweststaates grummelt es zwischen Württembergern und Badenern. Als unlängst das Volk zu " Stuttgart 21" sprechen durfte, stimmten die badischen Städte Mannheim, Karlsruhe und Freiburg gegen das Projekt. Das Geld, das die ungeliebten Stuttgarter verbauen wollen, könnte man selbst gut gebrauchen. Noch immer schwelen unter der Oberfläche Neid, Missgunst und Misstrauen zwischen den südwestdeutschen Volksstämmen mit ihren unterschiedlichen Mentalitäten.

 

Umso erstaunlicher ist, dass es gelang - das erste und bisher einzige Mal in der Bundesrepublik - drei unterschiedliche Länder zu einem Staatswesen zu vereinen, dem Südweststaat, der seit 1952 den Namen Baden-Württemberg führt. Das wurde nach langem Hin und Her erst möglich mit der Volksabstimmung vom 9.Dezember 1951, als 69,7 Prozent der Wähler den Zusammenschluss befürworteten.

Bis zuletzt hatten die Altbadener dagegen angekämpft. Noch im April 1951 hatte der südbadische Staatspräsident Leo Wohleb in einer emotionalen Bundestagsdebatte ausgerufen: "Noch ist Baden nicht verloren!" Das Forum vor dem er sprach, mag überraschen, tatsächlich aber fand der "Kampf um den Südweststaat" auf Bonner Bühne statt. Das Land Baden-Württemberg wurde durch die Bonner Hintertür geschaffen, oder wie Kurt-Georg Kiesinger es ausdrückte: "Der entscheidende Abschnitt des Kampfes ist im Bundestag ausgetragen worden."

Unhaltbarer Zustand im Südwesten

Nach 1945 war im Südwesten ein unhaltbarer Zustand entstanden: Aus den drei historischen Territorien, dem früheren Großherzogtum Baden, dem preußischen Regierungsbezirk Hohenzollern und dem früheren Königreich Württemberg wurden per Dekret der Besatzungsmächte drei Länder. Da die Grenze zwischen der französischen und der amerikanischen Zone entlang der Autobahn Karlsruhe-Ulm verlief, wurden die alten Länder in westöstlicher Richtung geteilt. Der Süden kam unter französische Herrschaft, im Norden saßen die Amerikaner, welche die ihnen unterstellten Gebiete zum Land Württemberg-Baden verschmolzen.

Das war ein Zustand, der auf Dauer auch den Besatzungsmächten nicht gefiel, und so ermächtigten sie am 1. Juli 1948 die Ministerpräsidenten der drei Länder, einen Zusammenschluss zu erwägen. In Stuttgart und Tübingen war man sofort dafür, doch der badische Staatspräsident Leo Wohleb lehnte ab. Weil man die Länderneugliederung noch vor dem Zustandekommen einer westdeutschen Verfassung geregelt haben wollte, lud der FDP-Politiker Reinhold Maier die Beteiligten zum 2. August 1948 zu einer Konferenz auf den Hohen Neuffen. Um den Einigungswillen zu fördern, ließ er große Mengen von dem vor Ort angebauten "Täles" Wein auffahren.

Es gab Fortschritte, aber kein konkretes Ergebnis, und so kam es zu Anschlusskonferenzen in Karlsruhe, Bühl und Bebenhausen. Die Entscheidung war so schwierig, weil auf geschichtliche Realitäten und Stammesmentalitäten zu achten war. Und Streit gab es auch über das Verfahren: Wie sollte der Staatsvertrag beschaffen sein und wie die Fragen bei der Volksabstimmung gestaltet werden? Und es ging um Schul- und Wissenschaftsfragen, aber auch um Kirchen- und Konkordatsprobleme. Jedenfalls wollte Wohleb keiner Lösung zustimmen, bei der nicht eine freie Entscheidung des gesamtbadischen Volkes ohne Überstimmung durch das an Stimmen stärkere Württemberg stattfinden konnte.

Die Argumente vermochten den Gegner nicht zu überzeugen

Die Argumente für eine Wiederherstellung der alten Länder Baden und Württemberg waren, jedenfalls für Leo Wohleb, einfach und eingängig: "Dies ist die natürliche Lösung und auch das Nächstliegende. Was sich im Staatsleben bewährt hat, soll man nicht ohne zwingenden Grund aufgeben." Die betriebsamen Württemberger, so fürchtete er, würden einen schlimmen Stuttgarter Zentralismus schaffen. Reinhold Maier hielt dagegen: "Nicht mit Gefühlen kommen wir weiter, sondern nur mit dem Verstand." Mit den vier Millionen Einwohnern Württemberg-Badens erhob der FDP-Mann einen "gewissen natürlichen Führungsanspruch", was den Widerstand der Badener aber bestärkte.

Die Existenznot der kleinen Bundesländer, ihre wirtschaftliche und finanzielle Schwäche, andererseits mehr Gewicht im Bundesrat nach einem Zusammenschluss - all diese Argumente vermochten den Gegner nicht zu überzeugen. Die südwestdeutschen Politiker blockierten sich gegenseitig, und so wurde vor der Verabschiedung des Grundgesetzes eine Lösung aus eigener Kraft nicht erreicht.

Der entscheidende Hinweis kam von Theodor Eschenburg

Bei den Beratungen des Parlamentarischen Rates in Bonn stieß Carlo Schmid die Frage an, ob nicht das zu schaffende Grundgesetz eine Neugliederung des Bundesgebietes vorsehen solle. Diese solle in einem Zuge oder wenigstens nach einer Gesamtkonzeption erfolgen. Dementsprechend ausgestaltet wurde dann der Artikel 29 Grundgesetz. Weil er aber ein zu kompliziertes Verfahren vorsah und die Alliierten ankündigten, bis zum Erlass eines Friedensvertrages Länderneugliederungen mit Ausnahme der drei Südwestländer nicht mehr zuzustimmen, war die Not groß. Wie sollte es weitergehen? Da hatte das Tübinger Regierungsmitglied Theodor Eschenburg, ein leidenschaftlicher Kämpfer für den Südweststaat, die entscheidende Idee. Auf einem Stück Pappe formulierte er einen Vorschlag, der vor Abschluss der Beratungen des Parlamentarischen Rates hineingereicht und - höchst ungewöhnlich - ohne Diskussion als Artikel 118 ins Grundgesetz kam. Er besagte: Die Neugliederung der Südwestländer kann am Artikel29 vorbei durch Vereinbarung erfolgen. Kommt diese nicht zustande, dann durch ein Bundesgesetz, das eine Volksbefragung vorsehen muss.

Nun hatten die drei Regierungschefs die Chance, sich zu einigen und damit einer Lösung durch den Bund, die man nicht wollte, zuvorzukommen. Aber wiederum zerstritt man sich, und erst als achtzig Zeitungsverleger in ihren Blättern einen Aufruf veröffentlichten: "Das Volk soll sprechen!", entschied man sich für eine "informatorische" Volksbefragung, die aber offen ließ, wie die Stimmen gewertet werden sollten.

Mehr als neunzig Prozent der Württemberger stimmten für die Vereinigung, in Nordbaden immerhin 57,4 Prozent, während in Südbaden eine starke Mehrheit die Wiederherstellung von Baden wünschte. Wäre nach alten Ländern "durchgezählt" worden, hätten sich 50,7 Prozent der Badener für den Zusammenschluss ihres Landes ausgesprochen. Am Ende des Vereinigungsprozesses war man damit aber noch nicht.

Der Volksentscheid im Land

Historie Nach 1951 gab es noch drei weitere Volksentscheide im Land. Bei einer vom Heimatbund Badenerland durchgesetzten Volksabstimmung am 7. Juni 1970 stimmten 81,9 Prozent der Wahlberechtigten dagegen, Baden-Württemberg wieder aufzulösen. Der Streit über die kommunale Gebietsreform führte 1971 ebenfalls zur Volksabstimmung im Land. Zwar sprach sich eine Mehrheit (54,4 Prozent) für die Auflösung des Landtags aus, das Quorum wurde mit 16,0 Prozent aber nicht erreicht.

Stuttgart 21 Die jüngste Volksabstimmung entschied am 27. November 2011 über den Weiterbau von Stuttgart 21. Für den Weiterbau votierten 58,7 Prozent der Wähler, für den Ausstieg stimmten 41,2 Prozent. Das Quorum (33 Prozent) wurde verfehlt. StZ