SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz will die SPD mit den Thema „soziale Gerechtigkeit“ wieder zur stärksten politischen Kraft in Deutschland machen. Kann das gelingen?

Berlin - Die SPD hat am Sonntag in einer Sitzung der Spitzengremien der Partei Martin Schulz einstimmig zum Kanzlerkandidaten nominiert. Anschließend hielt der Kandidat vor rund 250 Parteifreunden im Willy-Brandt-Haus, der Berliner Parteizentrale der Sozialdemokraten, eine Rede, die vieles gleichzeitig sein sollte: Weckruf, Startsignal, Positionsbestimmung. Vor allem aber hat Schulz einen Anspruch formuliert: Er will nicht nur Bundeskanzler werden. Er will auch die SPD bei der Bundestagswahl im Herbst zur stärksten politischen Kraft machen.

 

In der Partei sorgt der Mann, der seine politische Erfahrung bislang nur in der Kommunalpolitik und auf EU-Ebene sammeln konnte, für Aufbruchstimmung. Seit vergangenen Dienstag verzeichnet die SPD 700 Neueintritte. Wo er aber die Sozialdemokraten innenpolitisch hinführen will, galt bislang als völlig offen. Die Berliner Antrittsrede sollte wichtige erste Fingerzeige liefern. Inhaltlich machte Schulz vor allem eines klar: Er will mit der sozialdemokratischen Kernkompetenz „soziale Gerechtigkeit“ im Wahlkampf punkten. Allerdings setzte er auch auf anderen Feldern erste Duftmarken. Eine Analyse seiner Rede:

Euphorieschub für die Partei

Schulz will die Partei mit Euphorie aufladen. „Ein Ruck“ gehe durch die Partei. Tatsächlich hat den Mitgliedern schon lange kein SPD-Politiker gesagt, dass die Partei stärkste Kraft in der deutschen Politik werden könne. Schulz möchte die SPD durch eine Rückbesinnung auf ihre Stärken hinter sich versammeln: „In Zeiten der Verunsicherung muss man sich auf die Traditionen besinnen“, sagte er. Gräben zu überwinden, die Gesellschaft zusammenzuführen sei die „Kernkompetenz der SPD“. Damit ist sein großes Thema gesetzt: Gerechtigkeit.

Soziale Gerechtigkeit

Schulz liefert hier nichts Originelles. Das will er auch gar nicht. Wenn in Großstädten selbst zwei Einkommen nicht reichten, um angesichts der Mietpreise ein Auskommen zu sichern, dann müsse die Politik handeln, sagte er. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen wieder die gleichen Beiträge zur Krankenversicherung zahlen. Millionen für die Bankenrettung, aber in den Schulen blättert der Putz von der Wand – auch das sei nicht gerecht. Eine klare Ansage liefert Schulz hier zusätzlich: Die „Bekämpfung der Steuerflucht von Konzernen“ werde für ihn ein „zentrales Thema“ sein.

Wirtschaft und Steuerpolitik

Hier wurde Schulz in einem Punkt sehr deutlich: Investitionen haben für ihn Vorrang vor Steuersenkungen. Infrastruktur, Digitalisierung und Familienpolitik kennzeichnete er als Gebiete verstärkten finanziellen Engagements des Staates. Und es gab hier einen Seitenhieb auf Finanzminister Schäuble. „Wenn er Steuersenkungen als Wahlkampfgeschenke verteilen statt in die Köpfe unserer Kinder invstieren will, dann zeigt das: Es wird Zeit für einen sozialdemokratischen Finanzminister.“

Offen für Migration

Schulz will Deutschland offen für Flüchtlinge halten. „Ein generelles Misstrauen gegen Flüchtlinge wäre bereits ein Sieg für den islamischen Staat“, sagte er. Aber er will in den Herkunftsregionen „unermüdlich bei den Fluchtursachen ansetzen“. Europa müsse aber insgesamt liefern. Es müsse einen „effizienten Schutz der Außengrenzen erreichen“ und für „eine faire Verteilung der Flüchtlinge sorgen.“ Da wurde Schulz präziser: Für Staaten, die bei Mitteln aus Strukturfonds die Hände aufhalten, aber bei Flüchtlinge „nein danke“ sagten, müsse das in den nächsten Finanzrunden der EU Folgen haben.

Für genügend Polizisten

Der Staat müsse dafür sorgen, dass „wir genug Polizisten auf die Straße bringen“, sagte Schulz. Alltagskriminalität und Vandalismus führten zu Verunsicherung. Dafür habe er Verständnis. Die SPD müsse auch „Anwalt der Leute sein, die Angst haben und sich fürchten.“ Der Kampf gegen populistische Strömungen will Schulz zu einem Schwerpunkt seines Wahlkampfes machen. Die AfD nannte er eine „Schande für Deutschland“. Rassismus und Populismus sage die SPD den Kampf an.

Respekt im Wahlkampf

Der Kandidat kündigte einen respektvollen Umgang mit dem politischen Gegner an. „Fehlender Anstand“ wie im US-Wahlkampf dürfe Deutschland nicht passieren. Er werde alle anderen Parteien zu einem „Fairness-Abkommen einladen. Darin soll „die Nicht-Nutzung von social botts und der Umgang mit fake news und Verleumdung geklärt werden“.

Vorwürfe gegen Trump

Da legte sich Schulz kaum fest. Immerhin wurde er in Hinblick auf den US-Präsidenten deutlich. Wer Mauern baue, über Folter nachdenke und Minderheiten attackiere, begehe „einen Tabubruch, der unerträglich ist“.

Untypische Biografie

Schulz hat alles andere als eine typische Politiker-Biografie. Daraus will er im Wahlkampf einen Pluspunkt machen. Ihm werde manchmal vorgworfen, dass er „kein Abi, kein Studium habe, aus der Provinz komme“. Das aber sehe er nicht als Makel. Ein Kanzler müsse nicht nur Verständnis für die Alltagssorgen der Menschen haben. „Er muss sie selbst spüren können, sonst ist er fehl am Platz.“