Der Abriss von Wohngebäuden in Stuttgart-Degerloch spaltet den Bezirksbeirat. Während die einen die Verdrängung armer Menschen befürchten, sehen andere eine Chance für den Stadtbezirk.

Degerloch - Die Wohnbaugenossenschaft Flüwo will drei Wohn- und ein Verwaltungsgebäude auf dem Areal zwischen Alb-, Gohl- und Straifstraße abreißen und auf dem Grundstück neu bauen. Das ist seit Dezember vergangenen Jahres bekannt. Im Bezirksbeirat stand das Projekt am Dienstag wieder auf der Tagesordnung. Der Anlass: Im Zuge einer Mehrfachbeauftragung von fünf Architekturbüros muss der Ausschuss für Umwelt und Technik (UTA) einen Unterausschuss bilden.

 

Er besteht aus neun Fach- und acht Sachpreisrichtern, die im April kommenden Jahres den Sieger des Wettbewerbs bestimmen sollen. Am Dienstag stand jedoch vor allem Sinn und Zweck des Vorhabens im Vordergrund. Mieter hatten sich zu Beginn der Sitzung zu Wort gemeldet und der Flüwo Profitgier unterstellt.

Die Pläne seien ein Verbrechen

Aus sozialer und ökologischer Sicht sei der Abriss ein „Verbrechen“, meinte eine Frau. Die Neubauwohnungen würden teurer als die alten und somit für viele Mieter unbezahlbar. Kritik äußerten auch die Bezirksbeiräte selbst. Obwohl Baugenossenschaften allgemein segensreiche Einrichtungen seien, könnte der Neubau einen Verdrängungswettbewerb auslösen, sagte Ulrich-Michael Weiß (SPD).

Weiß forderte eine höhere Quote geförderten Wohnraums. Mindestens 50 Prozent solle sie betragen, davon sollten 30 Prozent Mietern mit geringem, 20 Prozent für Mieter mit mittlerem Einkommen vorbehalten sein. Sein Parteikollege Wilfried Seuberth sah überhaupt keine Notwendigkeit für einen Abriss. Die Häuser seien für ihr Baujahr noch gut in Schuss.

Wer immer abreiße, wenn mal etwas nicht mehr ganz zeitgemäß sei, müsse halb Deutschland abreißen, sagte Seuberth. „Wir verlieren hier Wohnungen, wie sie es so in ganz Stuttgart nicht mehr gibt“, sagte er. Auch Michael Köstler (SÖS/Linke-plus) kritisierte das Vorhaben, speziell die geplante Tiefgaragenzufahrt, die nur über die Straifstraße erfolgen soll. Er forderte zudem einen Kostenvergleich von Neubau und Renovierung.

Es sollen auch tatsächlich Familien einziehen

Die CDU-Fraktion blieb bei der bereits zuvor geäußerten Haltung. „Das ist eine Chance, Degerloch zu erneuern“, sagte Götz Bräuer. Freie Wähler und FDP schlossen sich an. Michael Huppenbauer (Grüne) bezeichnete es als begrüßenswert, bezahlbare Wohnungen zu schaffen. Die Flüwo solle aber sicherstellen, dass in große Wohnungen tatsächlich Familien einzögen.

Susanne Frucht vom Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung erinnerte daran, dass das Bauprojekt ein privates sei und die Stadt nur bedingt handlungsfähig. Das Stuttgarter Innenentwicklungsmodell (SIM) habe klare Rahmenbedingungen, die man nicht einfach ändern könne. So müssen laut SIM bei Neubauten 20 Prozent der Geschossfläche für die Wohnbauförderung gesichert werden. Diese Quote habe die Flüwo zugesagt. Deren Vorstand Rainer Böttcher zeigte sich unbeeindruckt ob der Bedenken. Der Rechtsform als Genossenschaft wolle man gerecht werden, doch sei man wie andere den Marktgesetzen unterworfen. „Banken und Handwerker geben auch Genossenschaften keine Vorzugspreise.“ Die Durchschnittsmiete pro Quadratmeter sei im Neubau mit 11,50 Euro zwar höher als in den Altbauten (9,30 Euro), doch sei der Energieverbrauch dafür wesentlich geringer.

„Bautechnisch ist der Erhalt der Gebäude nicht sinnvoll“, sagte Böttcher. Die Faserzementplatten der Fassade seien asbesthaltig. Viele Wohnungen eigneten sich zudem nicht als Familienwohnungen, sie seien weder zeitgemäß noch barrierefrei. Böttcher versicherte, aktuelle Mieter bei der Neuvermietung zu bevorzugen. Auf die Frage der Grünen-Bezirksbeirätin Astrid Maurer, ob er auf die SIM-Quote freiwillig erhöhen wolle, entgegnete Böttcher: „Da sind wir gesprächsbereit.“