Die frühere Kultusministerin Annette Schavan muss bei ihren Bildungsthesen mit einem Veto des eigenen Landesverbandes rechnen.

Stuttgart - Das kommt bei der CDU-Basis gar nicht gut an", stöhnen die baden-württembergischen Abgeordneten. Auf einmal will die Bundes-CDU Hauptschulen und Realschulen zusammenlegen. Nach der Kehrtwende in der Energiepolitik wäre ein weiterer politischer Hundert-Prozent-Schwenk doch mächtig übertrieben, heißt es im Landesverband. Zumal die Basis schon inhaltlich eine Änderung der Schulstruktur nicht gutheiße - anders als bei der Abkehr von der Kernenergie. "Völlig überflüssig und zumindest schwer verständlich", nennen Funktionäre denn auch den Vorstoß der früheren Kultusministerin Annette Schavan.

 

Noch vor gut einem Vierteljahr, im Landtagswahlkampf, ist die CDU im Südwesten entschieden für das dreigliedrige Schulsystem eingetreten. Praktisch täglich hatte sie gewarnt: "Das linke Lager will das erfolgreichste Schulsystem Deutschlands zerschlagen und unsere Gymnasien, Realschulen und Hauptschulen abschaffen." Die "Einheitsschule", vermeintlich propagiert von SPD und Grünen, war für die CDU im Südwesten das Menetekel, das unweigerlich zum Untergang des Abendlandes führen würde. Jetzt kommt ausgerechnet Annette Schavan, die von 1995 bis 2005 als Kultusministerin das dreigliedrige Schulsystem gegen jeden Hauch der Kritik aufs Entschiedenste in Schutz genommen hat, und redet dem Zusammenschluss von Hauptschule und Realschule das Wort.

Die Hauptschule ist in Baden-Württemberg stabil

Aus Baden-Württemberg ist Widerstand zu erwarten. Am Montag soll der CDU-Bundesvorstand tagen und den Leitantrag zum Parteitag im November beraten. Wie aus dem Landesverband bekannt wurde, hat Baden-Württembergs Generalsekretär Thomas Strobl eigens eine auf denselben Tag anberaumte Sitzung des Landesvorstands gestrichen, damit möglichst viele Baden-Württemberger zur Bundesvorstandssitzung fahren können. "Da wir als CDU Baden-Württemberg hier ganz erheblichen Gesprächsbedarf sehen und den aktuell vorliegenden Entwurf nicht in allen Punkten unterstützen können, ist bei diesem Thema die Anwesenheit der Bundesvorstandsmitglieder aus Baden-Württemberg zwingend erforderlich", schreibt Strobl intern an seine Parteifreunde.

Am Freitag ist die Vorbereitungskommission des Landesvorstands zusammengetreten und hat sich mit dem Bildungspapier Schavans auseinandergesetzt. "Sollte die Bundespartei formulieren, dass die CDU es für richtig halte, Hauptschule und Realschule zusammenzulegen, dann ist dazu aus Baden-Württemberg ein Änderungsantrag zu erwarten", daran lässt Volker Schebesta, der langjährige bisherige bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag, keinen Zweifel. Er betonte gegenüber der Stuttgarter Zeitung, die Hauptschule sei in Baden-Württemberg weit stabiler als in anderen Ländern. "Es gibt gute Gründe, in Baden-Württemberg die Aufteilung Hauptschule, Realschule, Gymnasium beizubehalten."

Die Übergänge zwischen den Schularten sollen optimiert werden

Offiziell tut die Landes-CDU der parteiinternen Höflichkeit gerade so Genüge. "Das differenzierte Schulsystem ist der Schlüssel des Erfolgs", meldet der frühere Staatssekretär im Kultusministerium Georg Wacker, um im nächsten Satz zu beteuern, "die CDU-Landtagsfraktion begrüßt grundsätzlich den vorliegenden Entwurf des Bildungspapiers der Bundes-CDU". Aber eben nur grundsätzlich und damit hat es sich dann auch schon. Wacker, inzwischen bildungspolitischer Sprecher der Fraktion, lobt im Weiteren die Haupt- und Werkrealschulen des Landes als "leistungsstarke Schularten". Die differenzierte Schullandschaft sei eine "erfolgreiche und bestens funktionierende".

Er kommt zu dem Schluss: "Aus baden-württembergischer Sicht besteht keine Notwendigkeit zur Änderung dieses Erfolgsmodells, das die von der heimischen Wirtschaft benötigten Fachkräfte passgenau qualifiziert." Überhaupt sei die Schullandschaft des Südwestens nicht mit der in anderen Bundesländern vergleichbar. Um die Struktur "noch erfolgreicher zu gestalten", sollten eher die Übergänge zwischen den Schularten optimiert werden. Die Strukturfrage stellt die südwestdeutsche CDU ganz hintan. "Strukturexperimente als reiner Selbstzweck sind unsinnig", wettert auch Thomas Strobl. Früher hat er das SPD und Grünen vorgeworfen, jetzt geht es an die Adresse von Annette Schavan.

Jedes Land soll selbst enstcheiden

Bei den Schulstrukturen sei Zentralismus völlig überflüssig betont Strobl. Die Landes-CDU befindet generell, Baden-Württemberg habe seine Hausaufgaben gemacht. "Die Werkrealschule ist ein guter Ansatz zur Weiterentwicklung der Hauptschule", sagt etwa das Landesvorstandsmitglied Annette Widmann-Mauz. "Wer etwas verändern will, muss nachweisen, dass etwas Neues besser wäre." Es möge in anderen Bundesländern wie etwa in Sachsen gute Gründe geben, Haupt- und Realschulen zusammenzulegen, meint Schebesta. Etwa die Demografie. In einem großen Flächenland wie Baden-Württemberg dagegen wolle die CDU der großen Entfernungen wegen die Schulen in der Fläche erhalten. Deshalb sollte auch jedes Land selbst entscheiden. Darin ist Schebesta ganz mit dem Generalsekretär Strobl einig.

Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD), die neue Kultusministerin des Landes, reagiert verhalten. Es sei bemerkenswert, dass die CDU im Bund und vor allem Frau Schavan erkannt haben, dass die Hauptschule von Eltern nicht mehr gewollt werde. Auch die Hardliner in der CDU Baden-Württemberg müssten nun ihre Bildungspolitik verändern, um sich der gesellschaftlichen Wirklichkeit anzupassen und nicht "als allerletzter Verteidiger des dreigliedrigen Schulsystems dazustehen", meint die Ministerin. Doch greife die Zusammenfassung von Haupt- und Realschule zu kurz. Die Schule der Zukunft enthalte alle drei Schulniveaus und sollte aus den Kommunen heraus entwickelt werden.

Dreigliedrigkeit verschwimmt in vielen Ländern

Hauptschulen: Allen Beteuerungen der CDU zum Trotz hat die Hauptschule in Baden-Württemberg erheblich an Schülern verloren. Im vergangenen Jahr besuchten 151000 Jungen und Mädchen eine Hauptschule, 234.000 eine Realschule und 311.000 ein Gymnasium. Im vergangenen Jahr wechselten 24,3 Prozent der Viertklässler auf eine Hauptschule. (2005: 28,9 Prozent). Nach der Einführung der Werkrealschule gibt es im Südwesten nun noch 402 reine Hauptschulen und 525 Werkrealschulen, die zum Teil mehrere Standorte haben. Geschlossen wurden 84 Hauptschulen.

Dreigliedrigkeit: Zurzeit gibt es dreigliedrige Systeme formal in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Bayern und Baden-Württemberg. Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg arbeiten an der Gemeinschaftsschule. In Hessen gibt es verbundene Haupt- und Realschulen, die vom Sommer an Mittelstufenschulen bilden können. In Bayern gibt es analog zur südwestdeutschen Werkrealschule Mittelschulen, die die mittlere Reife anbieten.