Bei seiner Kundgebung in Neckarwestheim kann sich das Anti-Atom-Bündnis über viele Teilnehmer freuen. Für die Aktivisten ist das Thema aber noch nicht vom Tisch.

Ludwigsburg: Anne Rheingans (afu)

Noch dampft es aus dem großen Kühlturm, als die ersten Gruppen auf dem Parkplatz am Atomkraftwerk in Neckarwestheim am Samstag eintreffen: zu Fuß, per Fahrrad oder mit dem Auto. Die Trommelgruppe Lokomotive Stuttgart spielt sich schon einmal warm. Die Essens- und Infostände sind aufgebaut. Alles ist bereit für die Kundgebung, zu der das Bündnis „Endlich abschalten“auf den Parkplatz am AKW eingeladen hat.

 

Nach wochenlangem Streit mit dem Energiekonzern EnBW dürfen die Atomkraftgegner am Samstagnachmittag das Gelände nutzen. Sie wollen feiern, dass nun endgültig auch Block 2 im Laufe des Tages vom Netz genommen wird. Der Betreiber wollte untersagen, dass das Bündnis aus vier Anti-Atom-Initiativen am Standort das Abschaltfest in größerem Rahmen abhält. Wenige Tage vor dem Termin traf allerdings doch noch ein für sie erfreulicher Bescheid bei den Organisatoren ein: Sie dürfen ihr Abschaltfest wie geplant durchführen.

Veranstalter zählen rund 500 Teilnehmer

Die zermürbende Auseinandersetzung hat sich für das Bündnis gelohnt: Rund 500 Teilnehmer zählt der Veranstalter auf dem Parkplatz. Dieser Zuspruch übertrifft die Erwartungen.

Schon vor dem offiziellen Beginn um 13 Uhr sind bereits Hunderte auf dem Gelände. Am Zaun, der die Anlagen des Meilers umspannt, sind große Banner befestigt, die im Wind flattern. „Schrott-Reaktor Neckarwestheim“ und diverse Parolen stehen darauf. Auf dem Parkplatz wehen unzählige Flaggen der Anti-Atom-Bewegung. Das bekannte Logo mit der roten Sonne auf gelbem Grund und dem Schriftzug „Atomkraft – nein danke!“ prangt auch auf Shirts, Jacken und Rucksäcken. Eine BUND-Gruppe hat sich mit einem großen Transparent aufgestellt. Sie skandiert laut: „Abschalten, abschalten, abschalten.“

Eine besondere Kundgebung

„Heute ist ein historischer Tag“, sagt Herbert Würth, der Sprecher des Bündnisses. „Endlich gehen auch die letzten drei deutschen Atomkraftwerke vom Netz.“ Würth gehört dem zehn Personen umfassenden Trägerkreis an, der seit 1986 einmal pro Jahr eine Anti-Atom-Demonstration auf dem Gelände in Neckarwestheim organisiert. Aus Anlass des Endes des Streckbetriebs wurde keine klassische Protestveranstaltung vorbereitet, sondern eine besondere Kundgebung. Heute fällt alles eine Nummer größer aus. Diesmal ist zusätzlich der BUND-Landesverband mit im Boot. Das Bündnis hat einen Busshuttle vom Bahnhof Kirchheim zum Atomkraftwerk organisiert. Zudem ist das Programm umfangreicher als gewohnt.

Nach einer halben Stunde sind die Bierbänke schon beinahe komplett besetzt. Manche Teilnehmer sitzen auf Campingstühlen, die sie mitgebracht haben. Die Stimmung ist gelöst. Man grüßt sich, kommt ins Plaudern. Einige schunkeln und tanzen zur Musik der Band ELF, die auf der Bühne auftritt. Andere packen eine Flasche Sekt aus und stoßen auf den Atomausstieg an.

Einige sind schon seit Jahren Teil des Protests

Caroline Raithel aus Besigheim schlendert mit ihrem Mann über das Gelände. Das Paar ist regelmäßig bei den Protesten in Neckarwestheim dabei. Raithel ist erleichtert, dass das GKN II jetzt vom Netz geht. „Es ist ein großes Risiko für alle“, meint sie. In der Vergangenheit seien immer wieder Risse in der Anlage festgestellt worden. „Deshalb war ich geschockt, als ich gehört habe, dass der Betrieb verlängert wird.“ Sie ist froh, wenn sie den Dampf aus dem Kühlturm künftig nicht mehr sehen muss, der sie ständig an die radioaktive Gefahr erinnert hat.

Seit ihrer Studienzeit in den 1970er-Jahren ist Susanne Thielen aus Karlsruhe Teil der Anti-AKW-Bewegung. Das Unglück im japanischen Fukushima hat sie zusätzlich sensibilisiert. „Das war für mich einschneidend“, sagt sie. Sie war bei etlichen Demonstrationen dabei, unter anderem in Gorleben, und protestiert fast jedes Jahr in Neckarwestheim. Die Diskussionen in der Politik um ein Verlängern des Streckbetriebs machen es ihrer Ansicht nach nötig, weiterhin Flagge zu zeigen. „Jetzt kommen wieder alte Argumente zum Vorschein“, meint sie.

Problem des radioaktiven Mülls bleibt

Dass das Thema Atom mit dem Abschalten des Meilers noch nicht Vergangenheit ist, betonen am Samstagnachmittag mehrere Redner. Wolfgang Ehmke, der sich ebenfalls seit den 1970er-Jahren gegen Kernkraftwerke engagiert, erinnerte daran, dass es nach wie vor 16 Zwischenlager gibt. „Der radioaktive Müll bleibt“, sagte er. Auf die jüngere Generation komme noch viel Arbeit zu. Auch für den Wissenschaftler Christian von Hirschhausen ist der Kampf noch nicht vorbei. Er machte deutlich, dass noch dicke Bretter zu bohren sind, damit die Energieversorgung künftig nicht nur uran- und plutoniumneutral, sondern auch CO2-neutral sein wird. Franz Wagner, Mitbegründer des Aktionsbündnisses Energiewende Heilbronn, warnte davor, dass auch beim Rückbau Radioaktivität austreten könne.

Das jüngste deutsche Atomkraftwerk

Bündnis
 Vier Gruppen sind Teil von „Endlich abschalten Neckarwestheim“: die Aktionsbündnisse CASTOR-Widerstand Neckarwestheim und Energiewende Heilbronn, die Bürgerinitiative AntiAtom Ludwigsburg und der Bund der Bürgerinitiativen Mittlerer Neckar. Der Zusammenschluss verfolgt zwei Ziele: einerseits den Atomausstieg unumkehrbar machen und andererseits den Ausbau regenerativer Energien.

AKW
 Neckarwestheim 2 ist das jüngste deutsche Kernkraftwerk. Es ist im Januar 1989 ans Netz gegangen. Bis zum Ende des Streckbetriebs hat es nach Angaben des Betreibers rund 375 Milliarden Kilowattstunden Strom produziert. Um den Meiler abzuschalten, wird zuerst die Reaktorleistung kontinuierlich gesenkt. Dabei werden sogenannte Steuerstäbe in den Reaktorkern eingeführt, um die Kettenreaktion zu bremsen. Danach kann der Generator vom öffentlichen Stromnetz getrennt werden. afu