Zwölf Jahre lang haben deutsche und polnische Forscher Menschenaffen im Kongo beobachtet, deren Verhalten bisher nicht untersucht wurde. Die Ergebnisse sind verblüffend.

Leipzig - Cleve Hicks ist zwar 2,10 Meter groß , dennoch muss er seinen Arm schon hoch in die Luft recken, um mit der linken Hand die Spitze des vor ihm auf dem trockenen Savannenboden stehenden Stockes festzuhalten. Der Stock ist 2,50 Meter lang. Damit machen die Schimpansen im Norden der Demokratischen Republik Kongo, die vom Kopf bis zum Gesäß kaum mehr als 90 Zentimeter messen, gerne Jagd auf die gefährlichen Treiber-Ameisen.

 

Dieses Utensil hat Hicks, Verhaltensforscher der Universität Warschau und des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, untersucht und in der Zeitschrift „Folia Primatologica“ als Teil einer bisher unbekannten Schimpansenkultur beschrieben, die wiederum Frühmenschenforschern wichtige Hinweise auf die Entwicklungsgeschichte der Menschheit geben dürfte.

Andere Schimpansenkulturen kennen Verhaltensforscher schon länger: Im Westen Afrikas hämmern die Affen zum Beispiel mit Steinen oder hartem Holz auf Nüsse ein, um an deren nahrhafte Kerne heranzukommen. In anderen Regionen des Kontinents scheinen die Schimpansen dieses Verhalten dagegen nicht zu kennen, obwohl es dort sowohl reichlich Nüsse als auch Steine gibt.

Zwölf Jahre lang haben die Forscher Pan troglodytes schweinfurthii beobachtet

Im Norden des Kongo aber hatte bisher niemand die dort lebende Schimpansenunterart Pan troglodytes schweinfurthii und deren Verhalten untersucht. Das haben von 2004 bis 2016 Cleve Hicks und seine Kollegen in einem zwölfjährigen Projekt nachgeholt. „Während die Schimpansen in anderen Regionen ihre Schlafnester praktisch immer in den Wipfeln der Bäume flechten, bauten sie im Norden des Kongo rund 14 Prozent der Nester auf dem Boden“, erklärt Hicks eine der abweichenden Traditionen.

Weshalb die Tiere in einem insgesamt mehr als 50 000 Quadratkilometer großen Gebiet nicht in dem vor am Boden lebenden Raubtieren wie Hyänen, Löwen und Leoparden sichereren Kronenbereich schlafen, wollen Hicks und sein Doktorand Toni Romani in den kommenden Jahren untersuchen. „Möglicherweise spielen Menschen eine Rolle, die in den abgelegenen Regionen im Norden des Kongo kaum Schimpansen jagen und die in anderen Gebieten die Nester in den Baumwipfeln schlecht erreichen“, überlegt Cleve Hicks.

Die Affen nutzen kurze Stöcke zur Ameisen-Ernte

Besonders ist den Forschern das große Repertoire an Werkzeugen aufgefallen, mit denen die Schimpansen Leckerbissen in Form verschiedener Insekten und deren Produkte aufstöbern. So sammeln die Menschenaffen mit den extrem langen Stöcken aus sicherer Entfernung Treiber-Ameisen, die alles aggressiv attackieren, was ihnen zu nahe kommt. Erheblich kürzere Stöcke verwenden sie dagegen auf der Jagd nach den weniger gefährlichen Ponerinae-Ur-Ameisen.

Um mit Dorylus kohli eine weitere Treiber-Ameisenart zu erwischen, nehmen sie dagegen ebenfalls kurze, aber sehr dünne Stöcke. „Mit recht kurzen Ästen durchstoßen die Schimpansen den Verschluss von Bienennestern in Baumlöchern und schlecken hinterher den Honig von der Spitze ihres Stockes ab“, erklärt Cleve Hicks eine weitere Komponente auf der Speisekarte der Schimpansen. Als fünftes Werkzeug nutzen die Tiere kurze, aber massive Stöcke, die sie ähnlich wie Grabstöcke verwenden, mit denen Bauern in tropischen Regionen anstelle eines Pfluges den Boden öffnen.

Auch Frühmenschen nutzten kurze Stöcke

Nur bauen die Schimpansen mithilfe ihrer Grabstöcke keine Pflanzen an, sondern holen damit Bienennester samt deren nahrhaftem Honig aus dem Untergrund. „Dieses Verhalten ist für Frühmenschenforscher sehr interessant, weil unsere frühen Vorfahren mit solchen Werkzeugen einst Knollen und andere nahrhafte Dinge ausgegraben haben“, meint Cleve Hicks.

Diese Frühmenschen verwendeten dazu vermutlich genau wie die Schimpansen noch heute Grabstöcke aus Holz, von denen einige Millionen Jahre nach ihrer Verwendung kaum noch etwas übrig sein dürfte. Die Schimpansen im Norden des Kongo bieten so eine einzigartige Gelegenheit, die Überlebensstrategien dieser Frühmenschen zu untersuchen.

Im Norden des Kongo nutzen die Affen einen besonders schlauen Trick

Beute machen die Menschenaffen aber nicht nur mithilfe von Stöcken. So angeln Schimpansen im Gombe-Nationalpark in Tansania mit Grashalmen Termiten aus ihren Hügeln. Natürlich könnten die Tiere die harten Nester dieser Insekten auch mit Keulen aufhämmern, mit denen nicht nur Schimpansen im Westen Afrikas Nüsse öffnen, sondern auch Frühmenschen in den ersten Phasen der Entwicklung der Menschheit hantierten.

Im Norden des Kongo aber haben Cleve Hicks zuverlässige Indizien für eine völlig andere Strategie gefunden: Dort tragen Schimpansen Termitenbauten mit ihren Armen und aufgerichtet auf die Hinterbeine einige Meter weit, um das Zuhause dieser Insekten an einer geeigneten Baumwurzel zu zerschmettern. Diese Methode wiederum haben Verhaltensforscher bisher bei Schimpansen in anderen Regionen noch nie nachweisen können.

Die Menschenaffen im Norden des Kongo machen mit der gleichen Methode aber auch noch andere Beute, die sich mit einer harten Schale oder einem dicken Panzer vor Feinden schützt: „Die Häuser von handtellergroßen Schnecken oder von Schildkröten zertrümmern die Schimpansen offensichtlich ebenfalls an harten Baumstämmen und kommen so an eine Beute, vor denen andere Tiere kapitulieren müssen“, erklärt Cleve Hicks eine weitere, vorher nie beobachtete Strategie.