Die AfD-Chefin Alice Weidel bringt den sogenannten Dexit in die öffentliche Debatte. Was aber würde dies für Deutschland bedeuten? Und wie ist die Stimmung hierzu im Netz?

Digital Desk: Sandra Hartmann (shm)

AfD-Chefin Alice Weidel hat unlängst in einem Interview gegenüber der Financial Times Deutschland das Brexit-Votum als „Vorbild für Deutschland“ bezeichnet – und damit einen möglichen „Dexit“ als aus ihrer Sicht vorstellbar erklärt. Das wäre ein Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union (EU) mit all seinen Verträgen, Verbindlichkeiten, Verpflichtungen und Vorteilen.

 

Bei dem Brexit im Jahr 2016 gab es ein EU-Referendum. Die Bürger und Bürgerinnen Großbritanniens stimmten für oder gegen den Verbleib in der EU. Am Ende gewannen mit einer knappen Mehrheit die Brexit-Befürworter: Großbritannien trat aus der EU aus.

Die AfD möchte weniger EU und mehr Souveränität für die einzelnen Staaten

Es sei, so Weidel, ein „Vorbild für Deutschland, dass man solch eine souveräne Entscheidung treffen kann.“ Doch was genau würde das für Deutschland angesichts der aktuellen weltweiten Krisen und Kriege bedeuten?

Die AfD möchte, wenn sie in der Regierung wäre, laut eigenen Aussagen die EU reformieren. Die Partei wolle das nach Ansicht der AfD-Chefin bestehende „Demokratiedefizit“ beseitigen, indem sie zum Beispiel die Kompetenzen der EU-Kommission beschneiden und den Mitgliedstaaten wieder mehr Souveränität geben würde. Auch eine Volksabstimmung über den Verbleib in der EU wäre aus Sicht der Rechtspopulisten durchaus vorstellbar.

Mehr Bürokratie, weniger Warenaustausch, weniger Bedeutung

Für Großbritannien bedeutet der Ausstieg vor acht Jahren und den eigentlichen Vollzug dann 2020 eine Umstellung in vielen Bereichen. Unter anderem sind sie nicht mehr Teil des Binnenmarkts und der Zollunion der EU. Das bedeutet: Für Unternehmen auf beiden Seiten sind seitdem deutlich mehr Formalitäten zu erledigen. Zwar fallen für britische Waren durch den Handelspakt künftig keine Zölle an, doch britische Exporteure in die EU müssen nun aufwendig nachweisen, dass ihre Produkte tatsächlich überwiegend im eigenen Land hergestellt wurden. Bei für den britischen Markt bestimmten Waren aus der EU muss nachgewiesen werden, dass sie auch tatsächlich aus der EU kommen. Auch Nachweise für die Einhaltung der EU-Regeln zur Lebensmittelsicherheit und zur Einhaltung von Produktstandards müssen erbracht werden.

Für die britische Dienstleistungsbranche wurde der Zugang zum europäischen Binnenmarkt deutlich erschwert. Wer in Großbritannien arbeiten und leben will, muss ein Visum beantragen, geregelt durch ein punktebasiertes System. Für Touristen gibt es bei kürzeren Reisen jedoch keine Visumspflicht.

Der Brexit habe laut der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg zudem zu signifikant höheren Kosten für die Verwaltung, Logistik, Zölle, Finanzierung und IT-Anpassungen geführt. Das Gesundheitswesen, das Transportgewerbe, die Gastronomie und die Landwirtschaft zählen ebenfalls zu den Brexit-Geschädigten. Laut der Landeszentrale fehlen aufgrund der verschärften Einwanderungsregeln Arbeitskräfte aus Süd- und Osteuropa. Darüber hinaus sehen die Haushalte ärmer geworden, die Investitionen würden stagnieren und die Handelsbarrieren zum größten Absatzmarkt, der EU, haben den Warenverkehr um geschätzte 10 bis 15 Prozent einbrechen lassen. Seit 2017, dem ersten Jahr nach dem Brexit-Referendum, sinke die Bedeutung des Königreichs als Handelspartner für Deutschland kontinuierlich. Damals lag es noch auf Platz fünf der wichtigsten Außenhandelspartner, 2022 ist Großbritannien nicht mehr in den Top Ten der deutschen Handelspartner vertreten.

Der Wert des Pfunds sei seit dem EU-Referendum im Juni 2016 um etwa 10 Prozent gefallen. Das habe Importe teurer gemacht und die Inflation befeuert. Die Inflation sei mit rund elf Prozent so hoch wie seit 40 Jahren nicht mehr.

Für Deutschland als Exportnation hätte ein Ausscheiden aus der europäischen Gemeinschaft daher vermutlich ebenfalls gravierende Folgen hinsichtlich der wirtschaftlichen Beziehungen zu den europäischen Nachbarstaaten. „Die von der AfD offensichtlich angestrebte Entscheidung für einen Dexit, einen Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union, gefährdet die Grundfesten unseres Wohlstands“, sagte Franziska Brantner (Grüne), Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium gegenüber dem Spiegel. Der EU-Binnenmarkt sei „grundlegend für unseren wirtschaftlichen Erfolg als starke Exportnation“. Die AfD würde „unserer Wirtschaft, Unternehmen und Beschäftigen massiv schaden“.

Ohne Weiteres wäre ein solches Referendum ohnehin in Deutschland nicht möglich, da Volksentscheide auf Bundesebene nicht im Grundgesetz vorgesehen sind, außer bei der Neugliederung von Bundesländern.

Das Netz reagiert gespalten

Auf Twitter gibt es geteilte Reaktionen bezüglich eines möglichen Dexits. Eine Nutzerin, die sich Fräulein Holle nennt, sagt etwa, dass vermutlich vor allem die deutsche Regierung einen solchen Ausstieg nicht gut verkraften würde:

Angesichts der weltweiten Krisen findet dieser User einen Dexit völlig undenkbar:

Ein Dexit sei alles andere als gut für Deutschland, findet etwas Boris M. Moellers:

Dieser User verweist auf angebliche EU-Ausstiegspläne von Frankreich:

Ein User mit dem Twitter-Namen SonjadelaRosa7 verweist auf Deutschland als den größten EU-Netto-Einzahler:

Laut Zahlen des Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zahlte Deutschland 2022 tatsächlich insgesamt 19,7 Milliarden Euro mehr an die Europäische Union, als Geld der EU nach Deutschland floss.

Georgious Tsapanos schafft es in der hitzigen Debatte denn auch noch, den Bogen zu spannen von den möglichen negativen Auswirkungen eines Dexits hin zu den Bauern, die aktuell gegen die Politik der Ampelregierung demonstrieren:

Reinhard Rupsch geht das Thema pragmatisch an. Er schreibt: „Ich wäre dafür. Wer dagegen ist, kann ja auch dagegen abstimmen. Nennt sich „Demokratie“. Wo ist das Problem?“