Schon als Neunjähriger hat Torsten Liermann die „ZDF-Hitparade“ aufgenommen. Suzi Quatro oder Kraftwerk – Liermann hat sie alle auf Kassette verewigt. Seine Sammlung ist nun im Waldenbucher Museum der Alltagskultur gesichert, doch Michael Jackson fehlt.

Den Grundstock der Sammlung von Musikkassetten, die seit Kurzem in der Vitrine für Neuzugänge im Erdgeschoss des Museums der Alltagskultur in Waldenbuch zu sehen ist, schuf Torsten Liermann Anfang der Siebziger vor dem heimischen Fernseher: Da schaute die Familie des damals Neunjährigen gemeinsam die „ZDF-Hitparade“ mit Dieter Thomas Heck und „Disco“ mit Ilja Richter. „Wenn ein Lied kam, das wir aus dem Radio kannten und das wir gerne hören mochten, dann habe ich das Mikrofon eingeschaltet, und alle mussten mucksmäuschenstill sein“, erzählt Torsten Liermann, der inzwischen 62 Jahre alt ist, in Laupheim wohnt und seine Sammlung dem Museum überlassen hat. Das Mikrofon gehörte zu einem Philips-Kassettenrekorder, der nur in Mono aufnehmen konnte und den die große Schwester zur Konfirmation geschenkt bekommen hatte.

 

Wenig später bekam Torsten Liermann einen besseren Kassettenrekorder, „auch in Mono, aber damit konnte ich direkt aus dem Radio aufnehmen, das war natürlich schon viel besser.“ Und mit 11 oder 12 Jahren war ihm klar: „Musikhören ist ein Ding von mir. Da habe ich mich bei meinen Eltern durchgesetzt, dass ich mir einen einfachen Plattenspieler kaufen und beim Hausaufgabenmachen Musik hören durfte.“ Bald darauf erkannte er jedoch ein neues Problem: „Ich habe gemerkt, dass Schallplatten teuer sind, und mein billiger Schallplattenspieler machte die Platten kaputt.“

Von Heintje zu Kraftwerk

Damit seine zum Schluss knapp 200 Musikkassetten umfassende Sammlung seinen hohen Anforderungen an Klangqualität genügen konnte, schaffte er um 1977 ein Stereo-Kassettendeck an: „Weil ich dann auch einen guten Plattenspieler hatte, durfte ich die Platten meines Bruders ausleihen und aufnehmen.“ Seine Schwester fotografierte die Plattencover und versetzte mit ihren Bildern Torsten Liermann in die Lage, hübsch aussehende Kassettenhüllen zu basteln. Später studierte er Maschinenbau: „Damals hat man noch mit Tusche gezeichnet, und ich habe mit Schablone und Tusche Kassetten beschriftet.“ Bis Ende der Achtziger habe er aktiv gesammelt, sagt der Ingenieur in der passiven Phase seiner Altersteilzeit, dessen musikalische Vorlieben sich mit den Jahren ebenso entwickelten wie sein Equipment: „Als Kind war Heintje mein Favorit.“ Man könnte Torsten Liemanns Musikgeschmack als vielfältig bezeichnen: „Suzi Quatro hat mich begeistert. Als Kraftwerk mit ,Autobahn‘ rauskam, hat mich das total fasziniert. Meine Lieblingsgruppe ist nach wie vor 10cc.“

Der Sammler Torsten Liermann Foto: privat

Zum Ende seines Studiums wurde Torsten Liermanns Sammel-Leidenschaft global, wie man heute sagen würde: Seine Diplomarbeit hat er ein halbes Jahr lang in Trondheim geschrieben. Auch in Norwegen hat er Radio gehört und dann seiner Schwester mitgeteilt, was sie zu Hause aufnehmen soll. 1984 „kam gerade ,Born in the USA‘ von Bruce Springsteen raus - der große Renner zu der Zeit.“ Nach dem Studium war er ein Jahr in China und fuhr danach mit einem Teil seiner Sammlung in der Transsibirischen Eisenbahn nach Hause. An der mongolisch-russischen-Grenze wurden ihm eine Rolling-Stones-Kassette und eine Michael-Jackson-Kassette von russischen Zöllnern abgenommen: „Ich musste ein russisches Schriftstück unterzeichnen, dass alles rechtens war. Und ich weiß bis heute nicht, ob die Zöllner die Kassetten einfach für sich haben wollten, oder ob diese Musik wirklich verboten war.“

Sammler in vielen Disziplinen

Er habe sich die Kassetten seiner Sammlung seit 20 Jahren nicht mehr angehört, sagt Torsten Liermann, aber er habe sie bei jedem Umzug mitgeschleppt. Bei der Haushaltsauflösung seiner Eltern sei ihm klar geworden: „Irgendwann werden die Dinge weggeschmissen. In dem Moment, wo ich sterbe, interessiert meine Sammlung niemanden mehr.“ Da er nicht nur Kassetten sammelt, sondern auch andere Dinge, habe ihn das Gefühl beschlichen, dass es „langsam zu viel“ werde. So überließ er seine Kassettensammlung dem Museum der Alltagskultur in Waldenbuch, seine Kalendersammlung stiftete er dem Deutschen Kalendermuseum, seine Spielkarten übergab er dem Deutschen Spielkartenmuseum in Leinfelden-Echterdingen, und seine Sammlung analoger Fototechnik bekam ein Fotomuseum.

Auch von seinen Theater-Programmheften, seinen Bierdeckeln und seinen Zollstöcken will er sich trennen: „Ein Museum kann beurteilen, ob das etwas ist, das es wert ist, dauerhaft aufgehoben zu werden“, sagt Tortsten Liermann, „wenn das Museum in fünf Jahren zu der Erkenntnis kommt, meine Sammlung sei eigentlich nichts Besonderes, und die schmeißen sie weg, dann ist das für mich auch okay.“ Er ist kein besonders sentimentaler Sammler: „Dann haben Leute mit einem Fachauge draufgeblickt und gesagt, ,Das lohnt sich, und der Rest ist Müll.‘ Ist halt so.“ Die Faszination des Sammelns bestehe für ihn darin, „Dinge kostenlos oder sehr preiswert zu finden, denn kaufen kann jeder.“

Die Angst vor dem Verkleben verhindert die Musik

Anfang des neuen Jahrtausends hat Torsten Liermann seine Kassettensammlung auf Minidisk überspielt und dann in MP3-Dateien konvertiert. Heutzutage hört er zu Hause CDs und im Auto MP3s von einer SD-Speicherkarte. Streaming-Plattformen wie Spotify nutzt er nicht: „Das ist mir zu wenig Haptik.“

Die Haptik schränkt indes die Verwendungsmöglichkeiten der Kassetten im Museum der Alltagskultur außerhalb der Vitrine etwas ein. Angehört habe er sich die Kassetten noch nicht, sagt Fabian Stöckl, der wissenschaftliche Volontär, der die Sammlung betreut: „Wir haben uns nicht getraut, das zu machen, weil wir nicht wissen, in welchem Zustand die Tonbänder sind.“ Im schlimmsten Fall, sagt er, könne alles unauflösbar verkleben, wenn man versuchen würde, der Musikkassettensammlung Musik zu entlocken.