Die Übertragung der Bundesligaspiele zieht Millionen Zuschauer vor die Bildschirme. Doch was ist mit dem Amateurfußball?

Stuttgart - Eine missglückte Rettungsaktion, dann geht es ganz schnell: ein gefühlvoller Heber aus 35 Metern, der Ball ist lange in der Luft – und segelt über den geschlagenen Torwart hinweg. Das Leder zappelt im Netz, die Mitspieler stürmen auf den Torschützen zu, die Zuschauer jubeln. Ort des Geschehens ist jedoch nicht der grüne Rasen der Mercedes-Benz Arena, sondern ein stumpfer Kunstrasenplatz vor den Toren Stuttgarts. Türk SC Kornwestheim gegen TKSZ Ludwigsburg heißt es am 30. Oktober 2011. Die spektakuläre Partie endet 4:4 und wird eigentlich schnell vergessen; wie so viele unterhaltsame Fußballspiele aus den Amateurklassen der Region. Damit sich das ändert, werden immer mehr Spiele professionell aufgezeichnet und ins Internet gestellt – mit Erfolg.

 

Durch den Einstieg von Produktionsfirmen wie dem Stuttgarter Unternehmen „Die Ligen“ oder „Hartplatzhelden“, welche im Rechtsstreit mit dem WFV sogar bis vor den Bundesgerichtshof zogen, ist eine neue Qualität in die Berichterstattung über Amateurligen eingezogen. Zusammenschnitte der wichtigsten Szenen, Highlights in Zeitlupe und interviewte Protagonisten nach dem Spiel. All das gab es lange Zeit nur im Profigeschäft. Heute ist das anders.

Häufig müssen die angelernten Videoamateure improvisieren. Das verleiht dem Thema weitere Facetten. Ob Traktoren, Bierbänke oder Ladeflächen von Pick-Ups: alles, was Stabilität und eine verbesserte Kameraposition verschafft, wird genutzt.

Seit eineinhalb Jahren können sich alle 14.700 Mannschaften der 1800 Vereine in den 16 Bezirken des Landes um das „Spiel der Woche“ bewerben, um gefilmt zu werden. Woche für Woche wählen die Verantwortlichen des Verbandes ein besonderes Spiel aus und schicken ein Kamerateam des Kooperationspartners „Die Ligen“ zum Filmen dorthin. „Grundsätzlich ist die Idee des Spiels der Woche, Geschichten rund um den kleinen Fußball zu erzählen“, sagt Heiner Baumeister, Leiter der Pressestelle des Württembergischen Fußball Verbandes (WFV). Gleichzeitig achtet der Verband darauf, dass keine Mannschaft doppelt aufgenommen wird. Jede Woche wird ein Spiel von der Oberliga bis zur Kreisliga C ausgesucht, dabei ist egal ob Männer, Frauen oder Jugendliche. „Üblicherweise sind es Spiele, bei denen es um viel geht und bei denen viele Zuschauer zu erwarten sind“, sagt Baumeister.

Pro Wochenende bis zu 50 gefilmte Spiele aus Amateurklassen

Vor den Kumpels mit einem Kantersieg prahlen, die Freundin mit einem tollen Tor beeindrucken oder einfach in Erinnerungen schwelgen: für die Spieler sind die Videos eine praktische Angelegenheit. Im Internet werden die eigenen Erfolge einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das meint auch Markus Kleber, der Geschäftsführer von „Die Ligen“: „Die Vereine kommen in die Öffentlichkeit – wir laufen da offene Türen ein.“

Sein Unternehmen stellt pro Wochenende bis zu 50 Spiele aus den Amateurklassen in ganz Süddeutschland ins Netz, allerdings vornehmlich aus der Oberliga Süd und der A-Junioren Bundesliga. Auftraggeber sind Unternehmen aus der Region, große Bundesligavereine und der DFB. Für Schiedsrichter haben die Videos einen pädagogischen Wert: der DFB-Nachwuchs hat die Möglichkeit, sich selbst kritisch zu betrachten. Von anderen Sportarten, wie Handball und Basketball, werden dagegen nur wenige Videos hergestellt, denn „über den Fußball geht gar nichts“, sagt Kleber.

Das Interesse an regionaler Berichterstattung ist durchaus vorhanden. Das „Spiel der Woche“ aus Württemberg beispielsweise verzeichnet mittlerweile rund 3500 Zugriffe im Schnitt. Das Verbandsliga-Relegationsspiel TV Echterdingen gegen FC 07 Albstadt, das mit 0:3 endete, ist das meistgesehene Spiel. Mit über 7400 Klicks hält es den bisherigen Zugriffsrekord. „An den Bewerbungen merken wir das steigende Interesse. Zum Teil haben wir nun die Auswahl zwischen zehn Spielen – anfangs waren es nur zwei“, sagt Baumeister.

Über „Stuttgarts Spiel der Woche“ entscheiden die User

„Die Ligen“ produziert auch „Stuttgarts Spiel der Woche“ für das Onlineportal Kick-S, das über alles, was mit Stuttgart und Fußball zusammenhängt, berichtet. Auch hier können sich Mannschaften jeder Alters- und Spielklasse bewerben. „Wir möchten dem Amateurfußball eine Plattform bieten sich zu präsentieren und machen quasi eine kleine Sportschau für den Amateurfußball“, sagt Kick-S-Redakteur Philipp Maisel. Im Unterschied zum WFV-Projekt trifft Kick-S nur eine Vorauswahl und stellt fünf Spiele zur Online-Abstimmung im Internet zur Verfügung. Über die Facebook-Seite von Kick-S entscheiden die Fans, welches Spiel in Stuttgart gefilmt werden soll. „Pro Woche erreichen wir indirekt 30.000 Leute über Facebook“, berichtet Maisel stolz.

Wöchentlich stimmen regelmäßig zwischen 1000 und 3500 User ab. Mit dabei auch Facebook-Nutzer, die ihre Freunde aus fernen Ländern wie der Dominikanischen Republik, Costa Rica oder Zypern unterstützen. Auch der WFV stellt um und will in Zukunft ebenfalls online abstimmen lassen.

Manchmal entscheidet eine einzige Stimme

„Frechheit, dass das Voting schon entschieden ist und der Sportbund Stuttgart vorne liegt! Schiebt euch eure Votings sonst wohin!“, schreibt ein verärgerter User darüber, dass sein Verein die Abstimmung knapp verloren hat. Die süffisante Reaktion der Gewinnerseite lässt nicht lange auf sich warten. „Nur blöd, dass die Abstimmung nur bis gestern Mittag ging! Bissle spät gestimmt...“, kommentiert ein anderer Nutzer keine 15 Minuten später. Häufig sind es die knappen Votings, die teilweise bissig, spöttisch und ausfallend kommentiert werden. „Heutzutage geht es schnell und einfach seine Meinung zu äußern und das wird auch genutzt“, sagt Maisel.

Bei den Jugendmannschaften klappt das noch nicht so richtig, bisher ist noch kein Jugendspiel gezeigt worden. „Die Jugendlichen haben das noch nicht gerockt“, so Maisel.

Die besondere Note bekommen die Amateur-Fußballspiele vor allem durch die Kreisliga-Gewohnheiten, die festgehalten werden. Keifende Besserwisser und notorische Schiedsrichtergegner: all diese Emotionen werden durch vorbeifahrende Autos oder Wohngebiete im Kamerahintergrund untermalt. Kleine Spiele, ganz groß. Maisel sagt: „Es geht darum, sich einmal wie ein großer Bundesligastar zu fühlen – obwohl das Ganze auf einem Ascheplatz stattfindet.“