In einem Polizistenleben geht es viel um Straftaten, um Sünden, um Sicherheit – bei Michael Bantle und seiner Polizeihubschrauberstaffel geht es auch immer wieder um Leben und Tod. Vor einigen Tagen erst hat eine Crew in Plochingen im Kreis Esslingen einer Frau das Leben gerettet, die hilflos in einem Waldstück lag. Allein in diesem Jahr sind es schon wieder 26 Menschen, die den Polizeipiloten wohl ihr Leben verdanken. Die Grenze zwischen Himmel und Hölle ist da sehr schmal. Manches ist Glück, weiß Bantle, der einst ein Sprengstoffattentat überlebt hat und am Freitag mit 61 Jahren den Abflug macht – in den Ruhestand.
Glück ist es etwa gewesen, dass der Absturz eines Polizeihubschraubers im Mai 2011 in Engelsbrand im Enzkreis letztlich keine Menschenleben gefordert hat. Bei der Suche nach einer vermissten Frau aus einem Pflegeheim war die Maschine, Funkruf Bussard 807, plötzlich in den Wald gestürzt. Die dreiköpfige Crew wurde schwer verletzt. „Das beschäftigt einen wahnsinnig“, sagt Michael Bantle, „und dann wird man immer gefragt, warum man solche Risiken eingeht, für einen einzigen älteren Menschen.“ Doch welches Leben darf es wert sein, welches nicht? Bantle war zu dieser Zeit erst seit gut vier Wochen Chef der Staffel – ohne selbst Fliegererfahrung zu haben.
13 Jahre Chef – was ist an der Staffel besonders?
Vielleicht sind es gerade solche Erfahrungen, die einen 13 Jahre lang als Chef einer solchen Dienststelle halten. Sein Vorgänger Volker Erlewein war es sogar 16 Jahre. Eher ungewöhnlich in einer Behörde, bei der ein Karriereaufstieg mit vielen Dienststellenwechseln verbunden ist. „Die Staffel aber ist eine Spezialdienststelle“, sagt Bantle, „und sie ist wie eine kleine Familie.“ Mit knapp 80 Mitarbeitenden am Flughafen Stuttgart und dem Baden-Airport Söllingen. Die Leitung bleibt sozusagen in der Familie: Nachfolger wird sein Stellvertreter Martin Landgraf, selbst seit zehn Jahren dabei.
Der Herr der Lüfte aus Hildrizhausen ist eher bodenständig: Als gelernter Schreiner hat Bantle zum Beispiel die Küche der Dienststelle am US-Airfield des Stuttgarter Flughafens selbst geplant und eingerichtet. Und wenn er Teller mit kalt gewordenem Essen auf den Tischen sieht, weiß er, dass es wieder einen überraschenden Einsatz gibt. Das gehört dazu, 24 Stunden am Tag. Und nicht selten, wenn man auf dem Rückflug von einem Einsatz ist.
Und dann eine dramatische Verfolgungsjagd
Vor ein paar Tagen zum Beispiel, an einem Samstag um 21.30 Uhr. Verfolgungsjagd mit der Polizei auf der Autobahn. Ein VW Golf mit gestohlenen Kennzeichen ist auf der A 7 von Würzburg Richtung Ulm mit bis zu 200 km/h unterwegs. Man vermutet einen Geldautomatensprenger. Ein bayerischer Polizeihubschrauber verfolgt ihn, allerdings wird dessen Treibstoff knapp. Weil sich eine Flucht auf der A 8 nach Baden-Württemberg abzeichnet, eilen Polizeipiloten aus Stuttgart über die Alb zu Hilfe.
Im letzten Jahr hat die Hubschrauberstaffel bei 530 Fahndungen nach den Tätern Ausschau gehalten und 980 Vermisste gesucht. 38 Fahndungen waren erfolgreich, 71 Vermisste wurden lebend gefunden, für sechs kam jede Hilfe zu spät. In diesem Jahr gibt es auch schon wieder 45 Such- und Fahndungserfolge. Vor allem aber: Der Anteil der Nachtflüge steigt und steigt – mittlerweile auf 43 Prozent. „Wegen der hochmodernen Infrarotkameras hat sich das in zehn Jahren verdoppelt“, sagt Bantle. Kriminalität ereigne sich meist bei Dunkelheit.
Die sechs Hubschrauber sind jetzt aufgerüstet
Die sechs neuen Helikopter des Typs Airbus H145 fliegen seit 2016 mit dem neuen Konzept: Möglichst keine Verkehrsflüge mehr, sondern gezielte Einsätze und eine zentrale Wartung. Mindestens vier sind ständig bereit, während zwei gewartet werden. Mittlerweile sind die Maschinen mit fünf Rotoren nachgerüstet. „Mehr Power, weniger Vibration, 150 Kilo mehr Tragkraft“, sagt der Leitende Polizeidirektor.
Der flüchtige Golf-Fahrer, der halsbrecherisch auf der A 7 unterwegs ist, hat in der Nacht keine Chance zu entkommen. Die Stuttgarter Polizeipiloten sehen, wie er in Memmingen wendet, wieder zurück Richtung Ulm rast und an einem Rasthof bei einem Kurzstopp etwas aus dem Fenster wirft. Der Fahrer verlässt später in Oberelchingen die Autobahn – und verliert schließlich die Kontrolle. Das Auto überschlägt sich.
Die fliegende Truppe ist nicht nur für Fahndungen zuständig. Michael Bantle ist bundesweit Ansprechpartner und Planer für Luftraumschutzkonzepte. Das Schreinern von Projekten ist sein Ding. Als er von 2002 bis 2007 Revierleiter in Filderstadt war, formte er die Kelly-Inseln, bei der Kinder in Notsituationen in Geschäften Hilfe suchen können, zu einem Verein. „Die Geschäfte müssen Standards erfüllen“, sagt er. Auslöser des Projekts war der Mord an der sechsjährigen Alexandra im Oktober 2000.
Und dann ist da noch die unbemannte Luftfahrt
Standards setzte er auch als Leiter des Lagezentrums im Innenministerium. Standards gibt es nun auch für die unbemannte Luftfahrt – die Drohnen. Für Bantle eine Ergänzung, keine Konkurrenz. Am Stuttgarter Flughafen hat er dafür ein sogenanntes Kompetenzzentrum aufgebaut. „Alles was fliegt, aus einer Hand“, sagt er. Nach landeseinheitlichen Standards werden Beamte der Polizeipräsidien geschult. 230 Drohnenführer gibt es schon, im letzten Jahr hatten sie fast 4000 Einsätze mit 8750 Flugstunden.
Drohnengefahr bei der Fußball-EM?
Für die Fußball-EM im Juni ist dazu alles vorbereitet. Auch in Sachen Drohnen: „Davon will ich so wenig wie möglich im Luftraum über Stuttgart sehen“, sagt Bantle, „und wenn, dann nur für polizeiliche Einsätze.“ Die aktuellen Konflikte und Kriege zeigten „eine latent gestiegene Bedrohungslage“. Der 61-Jährige weiß, dass man stets hellwach sein muss. Als Streifenbeamter war er im August 1992 in einen Sprengstoffanschlag der linksgerichteten Revolutionären Zellen auf das Landratsamt Böblingen geraten. Nach einem anonymen Anruf hatte er mit einem Kollegen nach dem Rechten sehen wollen, als es knallte. Beide blieben unverletzt, reine Glückssache.
„Auch das beschäftigt einen wahnsinnig“, sagt Bantle. Wenn er am Freitag offiziell verabschiedet wird, darf er übrigens tatsächlich den Abflug machen. Er hat inzwischen eine Privatpilotenlizenz. Dagegen bleibt der Autobahnraser, der in Oberelchingen verunglückte und leicht verletzt festgenommen wurde, bis auf Weiteres hinter Gittern. Er war zwar kein Bankomat-Bomber. Aber ein mutmaßlicher Drogendealer.