Ein Flüchtling aus Fellbach rastet immer wieder aus. Weil er einem Mitbewohner in den Arm gebissen und einem Landsmann einen Kopfstoß verpasst hat, muss er sich vor Gericht verantworten.

Waiblingen/Fellbach - Die Fakten sind schnell geschildert: Ibrahim Hemidi (Name geändert) hat sich vor dem Amtsgericht Waiblingen wegen vorsätzlicher oder gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen verantworten müssen. Und wurde dafür zu einer Bewährungsstrafe von zehn Monaten verurteilt.

 

Was den Fall des Flüchtlings aus Fellbach zu etwas Besonderem macht, sind die Hintergründe des Angeklagten. So ist es äußerst ungewöhnlich, dass „eine Armada von Fürsprechern“ (so der Verteidiger) im Gerichtssaal sitzt, um sich lobend über den Mann aus Syrien zu äußern. Von ihnen wurde der 39-Jährige, der seit gut drei Jahren in Deutschland ist und in der Bruckstraße lebt, als fleißig, loyal und hilfsbereit beschrieben. Ibrahim Hemidi engagiert sich ehrenamtlich in einem Sportverein, hilft Behinderten in der Diakonie Stetten und bekommt als geringfügig beschäftigter Hausmeister Lob von seinem Chef: „Ich bin sehr zufrieden, es macht viel Spaß mit ihm.“ Er garantierte seinem Mitarbeiter nach Abschluss des Integrationskurses eine Festanstellung.

In Fellbach-Schmiden schlägt der Angeklagte einem Mann eine Flasche Bier über den Kopf

Die große Frage vor Gericht war, warum es angesichts dieser gelungenen Integration zu Ausrastern kommen kann. Denn der sogar von der Polizei als „lieb und nett“ geschilderte Angeklagte hat einem Asylbewerber in seinem Wohnheim eine Ohrfeige verpasst und ihn in den Arm gebissen. Einen weiteren Landsmann hat er im Jugendhaus mit einem Kopfstoß verletzt, einem Dritten hat er in Schmiden eine Flasche Bier über den Kopf geschlagen, und im vierten Fall bekam ein Flüchtling in Stuttgart die Faust ins Gesicht sowie Bisse in Nacken und Schulter.

In jedem der Fälle sei er, so Hemidi, gehänselt und beleidigt worden. Als orthodoxer Christ sei er oft Ziel von Anfeindungen muslimischer Asylbewerber, erklärte der 39-Jährige. Zum Beispiel, wenn er Schweinefleisch esse. Der Angeklagte gab die Taten – bis auf die Flaschen-Attacke – zu und räumte ein, dass er zu aggressiv auf verbale Provokationen reagiere. Immerhin hatten die Opfer ausgesagt, dass sie sich mit Hemidi versöhnt hätten. Ein Zeuge erklärte gar, dass der Angeklagte wohl krank im Kopf und eine „arme Sau“ sei.

Die Gutachterin sieht kein Aggressionsproblem

Die beauftragte Gutachterin dagegen sah bei dem Fellbacher kein Aggressionsproblem: Hemidi sei „meilenweit von einer krankhaften seelischen Störung entfernt“ und brauche deshalb auch keine Therapie. Während die Staatsanwältin angesichts einer einschlägigen Verurteilung im Mai 2017 und der hohen Rückfallgeschwindigkeit von einer schlechten Sozialprognose ausging und eine siebenmonatige Haftstrafe forderte, definierte der Verteidiger das eigentliche Problem seines Mandanten: „Er kann bei Provokationen nicht gewandt verbal reagieren und braucht ein Ventil.“ Hemidi sei in Fellbach voll integriert und habe sich die vergangenen sechs Monate nichts zuschulden kommen lassen.

Amtsrichter Dautel verurteile den Angeklagten „mit äußersten Bedenken“ zu einer Haftstrafe von zehn Monaten zur Bewährung. Zudem bekommt Hemidi einen Bewährungshelfer zugeordnet und muss 100 Stunden gemeinnützig arbeiten. Er soll sich um einen Wohnsitzwechsel bemühen und darf dann keine Asylbewerberheime mehr betreten. Und er soll sich die nächsten vier Jahre nicht provozieren lassen, sonst bleibe ihm der Knast nicht erspart.