Gegen Terror hilft nur eine Rückbesinnung auf die Ideen von 1789. Es genügt nicht, die Werte der Französischen Revolution zu feiern. Die Herausforderung besteht darin, sie ins 21. Jahrhundert zu übersetzen. Ein Kommentar von StZ-Redakteur Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Nizza - Seit mehr als 200 Jahren feiern die Franzosen am 14. Juli den Triumph über Ungleichheit, Unfreiheit und die Herrschaft angeblich gottgewollten Unrechts. Doch nach diesem 14. Juli ist keinem mitfühlenden Menschen mehr zum Feiern zumute. Das Gedenken an den Sturm auf die Bastille wird überschattet durch die Raserei von Nizza: einen Terrorakt, der ähnliche Bluttaten an Niedertracht, Schändlichkeit und Brutalität noch übertrifft – soweit sich solche Vergleiche überhaupt ziemen. Es ist schon teuflisch genug, in eine Menschenmenge zu schießen oder eine Bombe zu zünden. Doch wie viel Bestialität verlangt es, auf einer Strecke von zwei Kilometern Dutzende hilfloser Passanten zu überrollen, selbst Kinder gezielt niederzuwalzen?

 

Während der Fußball-EM hatten die Franzosen mit einem Anschlag gerechnet. Da ist zum Glück alles gut gegangen. Umso mehr muss sie dieses Massaker schockieren: Just am Nationalfeiertag auf der legendären Promenade des Anglais. Ein Ort, der für die Leichtigkeit des Seins stand, ist zum Tatort eines Massenmords geworden, kaum dass der Jubel der überwiegend doch friedlichen Fußballfans verklungen war.

Der 14. Juli muss ein Feiertag bleiben

Der Anschlag ist ein Schock für alle, die an die Werte glauben, welche die Franzosen seit der Geburtsstunde ihrer Republik verehren: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Auf diesen Grundsteinen ruht das Fundament moderner Rechtsstaaten. Deshalb muss der 14. Juli ungeachtet von Trauer und Wut ein Feiertag bleiben. In 227 Jahren wird hoffentlich vergessen sein, welch vorsintflutliche Ideologie Terrorbanden wie den IS und deren Nachahmer befeuert hat. Sofern die Menschheit nicht der Barbarei verfällt, werden die Ideen des 14. Juli überdauern. Wobei nicht unerwähnt bleiben soll, dass auch in deren Namen schon Gewalt und Tyrannei herrschten. Sobald Glaubenssätze zur hohlen Phrase verkommen, sind sie für alles zu missbrauchen. Das gilt auch für Koransuren und die religiösen Sprüche der Islamisten.

Präsident Hollande kündigte noch in der Nacht des Attentats an, den Einsatz im Krieg gegen den IS zu verstärken. Im eigenen Land will er den Ausnahmezustand verlängern. Er musste das tun, um nicht völlig hilflos zu wirken. Mit Bomben und der schieren Präsenz staatlicher Gewalt wird Terror aber niemals restlos zu verhindern sein. Kein Staat der Welt kann hundertprozentige Sicherheit bieten, Rechtsstaaten schon gar nicht. Es ist auch müßig, über noch ausgefeiltere Sicherheitsvorkehrungen und härtere Strafen nachzudenken. In Frankreich sind alle verfügbaren Polizisten und Tausende schwer bewaffneter Soldaten auf den Straßen. Die Gesetze wurden bereits verschärft. Noch mehr Uniformierte, noch mehr Kontrollen und noch mehr Paragrafen schaffen nicht notwendig mehr Sicherheit. Die Freiheit bleibt ein Risiko.

Rechtsstaaten sind nicht wehrlos

Rechtsstaaten sind nicht wehrlos, erscheinen aber ohnmächtig, wenn sich der Furor Bahn bricht. Ihre Verletzlichkeit bedeutet Stärke. Sie verlangt Gespür für gesellschaftliche Dynamik und Flexibilität im politischen Handeln. Schwach sind die vermeintlich Übermächtigen, die allein auf Gewalt vertrauen, denn mit dem Schrecken, den sie verbreiten, wachsen auch Abscheu und Widerstand gegen ihr Treiben.

Rechtsstaaten können sich nicht auf Dauer hinter Polizeikordons und patrouillierenden Soldaten verbunkern. Damit würden sie entarten – ganz im Sinne der Terroristen. Rechtsstaaten leben von Toleranz, Respekt und gleichen Chancen für alle Bürger. Ihre Feinde werden animiert durch die Tristesse der Banlieus, den Frust einer jungen Generation ohne Jobs, die Seelenlosigkeit einer von Kommerz und Unterhaltungsklimbim geprägten Gesellschaft. Es genügt nicht, die Werte der Französischen Revolution zu feiern. Die Herausforderung besteht darin, sie ins 21. Jahrhundert zu übersetzen.

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