Immer mehr Deutsche klagen über den wachsenden Druck im Job. Jetzt hat auch die Politik das Problem erkannt. Doch das Scheitern des Anti-Stress-Gipfels gibt wenig Anlass zur Hoffnung.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Berlin - Sie werden unter Druck gesetzt oder haben das Gefühl, dass sie mehr leisten müssen, um positiv aufzufallen. Sie verzichten auf Pausen und arbeiten länger als nötig – bis zur Selbstausbeutung. Die Uhr ist ihr ständiger Feind – erst recht, wenn sie in der Industrie in enge Zeittakte eingebunden sind. In den gut bezahlten Berufen werden die Aufgaben zudem immer komplexer. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen: Dank Smartphone und Computer sind die Mitarbeiter ständig für die Vorgesetzten erreichbar. Andere nehmen den Ärger aus dem Betrieb mit nach Hause, so dass es ihnen misslingt, den inneren Akku wieder aufzuladen.

 

Psychostress am Arbeitsplatz kann von vielerlei Faktoren beeinflusst werden – und die Menschen reagieren völlig unterschiedlich auf die Belastungen. Besonders schwer haben es Erwerbstätige, die ihren Job bedroht sehen. Die Auflösungserscheinungen am Arbeitsmarkt mit immer mehr prekären Beschäftigungsverhältnissen durch Leiharbeit, Minijobs oder Befristungen tun ihr Übriges, Unsicherheit zu verbreiten.

Fakt ist, dass Überforderung im Job immer mehr Menschen krank macht. Das belegen seriöse Erhebungen und die Fehlzeitenberichte der Krankenkassen. Die Zuwächse bei den Arbeitsunfähigkeitstagen sind horrend. Der wirtschaftliche Schaden durch Produktionsausfälle, sofern er sich bemessen lässt, beträgt mehrere Milliarden Euro jährlich. Die Dimension des Problems lässt sich nicht mehr ignorieren.

Der Anti-Stress-Gipfel ist gescheitert

Gewerkschaften wie die IG Metall beackern das Feld mit Hilfe ihrer Betriebsräte seit Jahren. Doch nur einige Vorzeigeunternehmen pflegen die humanen Ressourcen so sehr, dass bei ihnen die Gesunderhaltung ihrer Mitarbeiter ganz oben auf der Agenda steht. Übergreifende Regelungen sind trotz immer neuer Alarmmeldungen rar. Nun hat das Thema auch die Politik erreicht. Wenigstens die Arbeitsministerin Ursula von der Leyen sieht Handlungsbedarf. Doch das reicht offensichtlich nicht, um mit den Sozialpartnern einen einvernehmlichen Kriterienkatalog – Anti-Stress-Verordnung genannt – aufzustellen.

Vertan wurde eine gute Gelegenheit, zu einem tragfähigen Kompromiss zu kommen. Der Anti-Stress-Gipfel ist insbesondere an der Angst der Arbeitgeber gescheitert, dass auf sie höhere Präventions- und Folgekosten zukommen. Das ist nachvollziehbar – weniger stichhaltig ist ihr Hinweis, dass die bisherigen Vorschriften ausreichen. Denn die Arbeitswelt hat sich massiv gewandelt – darauf gilt es zu reagieren.

Jeder Einzelne kann zur Verbesserung beitragen

Richtig ist freilich auch, dass psychische Erkrankungen von immer mehr Ärzten diagnostiziert werden. Infolge der Enttabuisierung durch den Modebegriff Burn-out will auch die Gesundheitsindustrie an den Beschwerden der Patienten mitverdienen. Nicht jedes seelische Problem ist eine behandlungswürdige Störung, doch zählen Leidenszustände wie Depressionen schon zu den häufigsten Gründen für Krankschreibungen und Klinikaufenthalten. Die Psychiatrisierung abweichender Verhaltensweisen macht es nicht leichter, zu verbindlichen Regelungen im Arbeits- und Gesundheitsschutz zu kommen.

Eine Debatte darüber, wie der Stress verringert werden kann, tut not. Letztendlich helfen aber politisch inszenierte Anti-Stress-Verordnungen wenig, wenn der Vorgesetzte versagt oder der Beschäftigte seine Verantwortung nicht wahrnimmt. Jeder Einzelne kann dazu beitragen, sich zu entlasten – durch Selbstdisziplin und die Anerkennung der eigenen Grenzen, durch Konzentration auf das Wesentliche und eine bessere Kommunikation mit dem Chef. Aber auch durch eine frühzeitige Beratung von Fachleuten, wenn es nötig ist.

Leistung und Anerkennung im Beruf sind für die allermeisten Menschen ein Lebenselixier. Es ist also nicht die Arbeit, die per se krank macht – es sind diverse Umstände. Und daran lässt sich arbeiten.