Im Gebiet des heutigen Syriens, Jordaniens und Armeniens haben Forscher insgesamt 396 bisher unbekannte römische Festungen entdeckt. Mithilfe von US-Satellitenaufnahmen aus dem Kalten Krieg konnten sie die antiken Kastelle lokalisieren. Rekonstruktion einer archäologischen Sensation.
Dass die Römer bis an die Elbe gelangten, ist hinlänglich bekannt. Ebenso, dass der römische Feldherr Publius Quinctilius Varus im Jahr 9. n. Chr. und seine drei Legionen samt Hilfstruppen und Tross, zusammen gut 20 000 Mann – ein Achtel des Gesamtheeres im Römischen Reich – von germanischen Stammeskriegern unter der Führung des römischen Ritters Arminius, besser bekannt als Hermann, der Cherusker, vernichtet wurden.
Kastelle des römischen Limes
Weniger bekannt dürfte den meisten indes sein, dass die römischen Kaiser Trajan (53 bis 117 n. Chr.) und Septimius Severus (146 bis 211 n. Chr.) die Reichsgrenzen des Imperium Romanum bis an den Euphrat und Tigris ausdehnten. Von 113 bis 116 n. Chr. führte Trajan einen langen und verlustreichen Feldzug gegen das damalige Partherreich, den er mit einem triumphalen Sieg krönte.
Im Jahr 116 stand der Imperator am Persischen Golf. Kein römischer Cäsar war je so weit nach Osten vorgedrungen, keiner hatte seit Augustus dem Reich so viel neues Gebiet hinzugefügt. Nach Armenien (114 n. Chr.) wurde auch Mesopotamien (116 n. Chr. ) als Provinz des römischen Reiches neu eingerichtet. Unter seinem Nachfolger Hadrian (76 bis 138 n. Chr.) wurden die Eroberungen um 117/118 n. Chr. allerdings wieder aufgegeben.
197/198 n. Chr. folgte Septimius Serverus seinem kaiserlichen Vorgänger, erstürmte und plünderte mit seinen Legionen die parthische Hauptstadt Ktesiphon. Im Jahr 200 n. Chr. richtete der Imperator die neue Provinz Mesopotamia ein und belegte sie mit zwei neu aufgestellten Legionen. Damit reichte das Römische Reich im Osten – wenn auch nur für wenige Jahre – bis an den Tigris.
Festungsanlagen sollten Grenzen schützen
Um die neuen Provinzen und Grenzen zu schützen, ließen Trajan und Septimius Serverus hunderte Kastelle bauen. Die Historiker wussten zwar aus geschichtlichen Quellen von diesen Baumaßnahmen, doch wo die Forts genau lagen, war unbekannt – bis jetzt.
Im Gebiet des heutigen Syriens, Jordaniens und Armeniens haben sie nun insgesamt 396 bisher unbekannte römische Festungen entdeckt. Das Erstaunlichste an dieser sensationellen archäologischen Entdeckung sind die Quellen: Satellitenaufnahmen der USA aus dem Kalten Krieg.
Spionagebilder enthüllen verfallene Forts
In den 1960er und 1970er machten US-Spionagesatteliten Luftbilder vom Nahen Osten. Der US-Geheimdienst hatte die Fotos bereits vor gut 20 Jahren freigegeben. Seither nutzen Archäologen und Historiker die Bilder, um nach alten Strukturen zu suchen.
Die unzähligen Aufnahmen haben die amerikanischen Forscher Jesse Casana, David Goodman und Carolin Ferwerda vom Dartmouth College in Hanover (US-Bundesstaat New Hampshire) in akribischer Arbeit ausgewertet und dabei die unglaubliche Entdeckung gemacht.
Ihre Studie („A wall or a road? A remote sensing-based investigation of fortifications on Rome’s eastern frontier“) ist jetzt im Fachjournal „Antiquity“ der Cambridge University Press erschienen.
Kastelle waren Teil des römischen Limes
Bisher waren Archäologen der Meinung, dass die Grenzbefestigungen Teil des römischen Limes waren, der sich von Großbritannien im Norden über das heutige Deutschland und den Balkan bis nach Syrien im Süden hinzogen. Die Kastelle dienten als Abwehrwall gegen die angrenzenden Gebiete feindlicher Königreiche und Völkerstämme.
Die neu entdeckten Baustrukturen lassen darauf schließen, dass es sich bei dem südlichen Grenzwallsystem – dem sogenannten Limes Ponticus, der auf dem Gebiet der heutigen Türkei, Armeniens, Syriens und Jordaniens lag – nicht wie beim Hadrianswall in Nordengland oder dem Niedergermanischen und Obergermanisch-Rätischen Limes in Deutschland um durchgehende Stein- und Holzpalisaden handelte. Die Satellitenfotos lassen vielmehr darauf schließen, dass der Limes Ponticus bei weitem nicht so undurchlässig war wie andere Grenzwälle. Die Festungen dienten offenbar mehr dem Handel und der Sicherung von Verkehrswegen in alle Richtungen.
Einige Kastelle wurden bereits 1934 entdeckt
Einige der römischen Militärlager im Nahen Osten wurden bereits Mitte der 1930er Jahre von dem französischen Landschaftsarchäologen, Jesuitenmissionar und Piloten Antoine Poidebard entdeckt und erforscht. Mit seinem Doppeldecker kartografierte er insgesamt 116 Bauwerke in der Region.
Poidebard zufolge stammten diese Befestigungen aus dem zweiten und sechsten Jahrhundert n. Chr.. Das bedeutet: Sie wurden sowohl von den Kaisern Trajan und Septimius Serverus als auch von späteren Herrschern des oströmischen Reiches in Byzanz – dem heutigen Konstantinopel – errichtet, um die östlichen Provinzen des Reiches vor Überfällen zu schützen.
Limes im Nahen Osten war durchlässige Grenze
Die neuen Forschungsergebnisse lassen darauf schließen, dass diese Grenze im Nahen Osten fließend und durchlässig war und „Handel per Karawane, Kommunikation und Militärtransporte“ gewährleisteten, wie die Autoren schreiben.
„Seit den 1930er Jahren haben Historiker und Archäologen über den strategischen oder politischen Zweck dieses Befestigungssystems debattiert.“ Aber nur wenige Wissenschaftler hätten Poidebards grundlegende Beobachtung in Frage gestellt, eine Reihe von Festungen habe die römische Ostgrenze definiert. Die 396 neuentdeckten Kastelle seien jedoch über ein so großes Gebiet verteilt, dass sie diese These nicht mehr stützen, lautet das Fazit der Historiker.
Überreste sind dem Verfall preisgegeben
Bei ihrer Recherche kam den Forschern zugute, dass römische Kastelle immer nach demselben rechteckigen Grundriss errichtet wurden. So konnten sie aus den mehr als 10 000 in Frage kommenden Baustrukturen auf den Satellitenaufnahmen jene herausfiltern, die offenbar von römischen Militärs stammten.
Von den 116 Stätten, die Antoine Poidebard in den 1930er Jahren ausgemacht hatte, konnten die Wissenschaftler lediglich 38 Relikte identifizieren. Was bedeutet, „dass die archäologischen Stätten in erheblichem Maße zerstört wurden. Und es ist unwahrscheinlich, dass sich dieser Prozess in den letzten Jahrzehnten verlangsamt hat“.
Nun hoffen die Forscher auf die Freigabe weiterer US-Spionagebilder mit deutlich feinerer Auflösung aus jüngerer Zeit. „Die Analyse solcher Daten birgt ein enormes Potenzial für künftige Entdeckungen im Nahen Osten und darüber hinaus.“