Buntes Licht trifft nackten Beton: Basels Antoniuskirche ist heute eine frühe Ikone des Brutalismus, schockte aber Ende der 20er das Schweizer Publikum. Foto: Jana Gäng
Basels Sichtbetonbauten kennen nur wenige – dabei haben sich hier einige weltberühmte Architekten verwirklicht. Und dann mischt auch noch ein Stuttgarter Unternehmen mit.
Jana Gäng
23.11.2023 - 19:00 Uhr
Wer zeitgenössische Architektur liebt, kommt an Basel nicht vorbei. Welche andere Stadt von solch beschaulicher Größe bietet diese Dichte sehenswerter Bauten? Hier sitzen die Star-Architekten und Pritzker-Gewinner von Herzog & de Meuron, hier ist das Vitra Design-Museum nur wenige Kilometer entfernt.
Was aber kaum einer weiß: In Basel stehen seit der Schweizer Nachkriegsmoderne einige der aufregendsten Sichtbetonbauten des Landes – vielleicht sogar Europas. Und weil Basel trotz all seiner Architektur am Puls der Zeit so gemütlich klein ist, lässt es sich wunderbar Durchschlendern.
Schlendern durch Basel zu sieben Architekturstationen
Basels aufregendste Sichtbetonbauten in einem Spaziergang. Foto: Björn Locke/Infografik StZN
Los geht der Spaziergang mit der Maurerhalle, dem wohl elegantesten Beton-Origami der Schweiz. Ihre gefaltete Fassade aus Sichtbeton erinnert an die gezackte Haut eines Drachen, auch das Betondach liegt in Falten. Mehr als 30 Meter spannen sie – dass der Basler Architekt Hermann Baur auch Kirchen entworfen hat, lässt sich an den Ausmaßen der Maurerhalle erahnen.
Und doch ist dieser monumentale Bau aus Béton brut, Glas und Licht erstaunlich filigran, hat nichts von der behäbigen Wuchtigkeit anderer Brutalismusbauten der 60er-Jahre.
Die funktionalistische und zugleich elegante Architektur der Maurerhalle ist von Bauhaus-Idealen und Nachkriegsmoderne geprägt. Foto: Jana Gäng
Hier treffen sich Bauhaus-Ideale, Schweizer Ingenieurskönnen und skulpturale Kunst im rohen Beton – und zwar wörtlich. Denn an dem Komplex der Gewerbeschule und der Schule für Gestaltung, zu der auch die Maurerhalle gehört, arbeiteten Architekten um Baur gemeinsam mit dem Künstler Hans Arp und dem Grafikdesigner Armin Hofmann.
Ein wenig könnte gar von Béton Brut-Altmeister Le Corbusier in der Halle stecken, war doch Herman Baurs Sohn, Hans Peter Baur, Ende der 40er-Jahre in Corbusiers Büro in Paris angestellt und später im Architektenteam der Maurerhalle.
Eine Fassade wie die Haut eines Drachen. Auch die Decke der Maurerhalle liegt in Betonfalten. Foto: Jana Gäng
Warum eine vollbetonierte Halle Maurerhalle heißt? Als der Bau 1961 fertiggestellt wurde, lehrten hier auch angehende Maurer. Die konnten seine großzügige Höhe gut gebrauchen. Mit lichtdurchfluteten Räumen, die Bewegung zulassen, wollte Hermann Bauer „schülerbasiert“ bauen. Auch heute ist die Maurerhalle Ausbildungsstätte und dient Hörsaal und Multifunktionsraum der angrenzenden Schule.
In unmittelbarer Nachbarschaft liegt mit einer Primarschule übrigens eine weitere Ausbildungsstätte aus Sichtbeton. Richtig gelesen, in Basel lernen bereits die Kleinsten inmitten glattgrauer Schweizer Design-Coolness. Früh übt sich.
Aus Beton geschnittene Bullaugen: das Silo
Auf den Architektur-Spaziergängen schauen wir regelmäßig auf Gebäude, aber wann hat man schon einmal das Gefühl, ein Gebäude schaut zurück? Heute ist das Silo in der Signalstraße 37 ein lebendiges Design-Hostel und Restaurant mit Garten. Entworfen hat es der Basler Architekt Rudolf Sandreuter 1912 aber, um darin Getreide und Kakao zu lagern. Fenster hat er deshalb nicht eingeplant.
Das Silo soll Offenheit ausstrahlen. Seine 16 Bullaugen gucken Besuchern frech entgegen. Foto: Jana Gäng
Um das Licht ins Gebäude zu holen, ließen die Architekten des Basler Harry Gugger Studios 16 kreisrunde Öffnungen aus der Betonfassade schneiden. Die wendbaren Fenster mit Metallrahmen sind eine Sonderanfertigung. Wie Bullaugen gucken sie den Besuchern meist frech und an heißen Tagen träge entgegen – dann senken sich die azurblauen Korbmarkisen.
Dass rauer Industrie-Charme und modernes Design ein gutes Paar abgeben, ist nichts Neues. Sensibel haben die Architekten Eigenarten des Silos wie dessen Vertikalstruktur bewahrt. Das Craftbeer aus der hauseigenen Brauerei trinken Gäste daher unter beleuchteten Silotrichtern – darauf kommt nur Bauen im Bestand.
Ein überragendes Wohnhaus von Buchner Bründler
Dass Wohnbau mit Sichtbeton mehr ist als martialische und anonyme Wohnungsklötze, zeigt der nächste Halt am Bläsiring. Platz für einen solchen Giganten wäre auf dem Grundstück im Matthäus-Viertel ohnehin nicht gewesen – gerade einmal sechs Meter war die Lücke breit.
Hinein setzten die Basler Architekten von Buchner Bründler 2012 einen regelrechten Wohnturm mit sechs Geschossen für zwei Wohnungen.
Im spannenden Kontrast zu seinen unmittelbaren Nachbarbauten, im Viertel aber stimmig: Der „Wohnturm“. Foto: Jana Gäng
Der zurückhaltende Kontrast des Sichtbetons zum Eichenholz dominiert das Gebäude von innen und außen. Schärfer grenzt sich der puristische Entwurf da schon zu seinen Nachbarbauten mit den beschaulichen Fensterläden ab. Zumal der Turm deren zwei Geschosse um Längen überragt. Überrascht haben dürfte es die Architekten also nicht, dass die Genehmigung dauerte. Das Warten hat sich gelohnt. 2013 wurde das Wohngebäude mit dem Hauptpreis des Schweizer Architekturpreises Beton aufgezeichnet.
In die Nachbarschaft fügt sich das auffällige Gebäude jedenfalls stimmig ein. Wer auf dem Weg zum nächsten Halt die Hammer Straße entlang spaziert, wird weitere Wohnhäuser mit unverputzter Beton-Fassade entdecken.
Heute internationale Ikone, früher Schocker: die Antoniuskirche
Eine gigantische Betonkirche kann ja nur von den Evangelen kommen? Falsch gedacht. Die Antoniuskirche im St.-Johann-Quartier ist römisch-katholisch und ist mit ihren Baujahren von 1925 bis 1927 dem Höhepunkt des Brutalismus um Jahrzehnte voraus.
Der Kirchturm ist mit 62 Metern so hoch, dass er ohne Weitwinkelobjektiv nicht auf das Foto passte. Foto: Jana Gäng
60 massive Meter in der Länge und 22 Meter in der Breite misst das Werk des Schweizer Architekten Karl Moser. Als erste reine und unverputzte Betonkirche der Schweiz war St. Anton ein Schock. Zuvor hatte man Beton in und an Kirchen gerne als Stein getarnt oder hinter anderen Werkstoffen versteckt. Angesichts so viel ungewohnt nüchterner Rohheit des Göttlichen spotteten einige Basler St. Anton zunächst als „Seelensilo“.
Dabei ist der zurückhaltende Werkstoff Beton ideale Kulisse für überirdische Schönheit. Fällt Sonnenlicht durch die Fenster, wirft das bunte Glas Lichtspiele aller Farben auf den grauen Beton.
Der graue und zurückhaltende Beton ist Kulisse für bunte Lichtspiele. Foto: Jana Gäng
Achtung, am Wochenende ist die Kirche geschlossen und kann (anders als unter der Woche) nur nach Anmeldung besichtigt werden.
Kubistische Anmutung im Senn-Bau der Universitätsbibliothek
Auch den nächsten Bau verantwortet, wie könnte es anders sein, ein Basler: Otto Senn gewann Ende der 50er-Jahren den Wettbewerb um den Neubau der Universitätsbibliothek in der Schönbeinstraße.
Der von La Roche entworfene Altbau von 1898 hatte nämlich nicht nur ein Platzproblem. Auch die Anforderungen an Bibliotheken waren nach der Jahrhundertwende andere. Klimatisierte Spezialmagazine, Ausstellungsräume und mehr Büros für Personal mussten her. All das prägte die Architektur der neuen Bibliotheken der 60er und 70er Jahre – darunter den Senn-Bau.
Eine große architektonische Leistung: Die Kuppel im Lesesaal des Senn-Baus. Foto: Jana Gäng
Auch der Funktionalismus der Entstehungszeit ist dem Gebäude anzusehen: Anders als im Altbau der Bibliothek gibt es im Senn-Bau der 60er-Jahre kaum dekorative Elemente.
Die Räume lassen sich flexibel an neue Bedürfnisse anpassen – auch das ein Gebot von der Funktion verschriebenen Bauten. Kubistische Formen und reduzierter Sichtbeton dominieren. Besonders beeindruckend: Die Sichtbeton-Kuppel im Lesesaal.
Die Beton-Treppe in der Eingangshalle setzt auf kubistische Formen. Foto: Jana Gäng
Als die Bibliothek im Jahr 2020 saniert werden musste, ging die Architekten behutsam vor. So sind das helle Ulmenfurnier und die Leinenstoffe der 60er dem Senn-Bau geblieben.
Eine Betonschale von Weltrang mit Stuttgarter Beteiligung: die Markthalle
Mit ihrem Baujahr 1929 ist die achteckige Beton-Kuppel des nächstes Stopps noch etwas älter als die des Lesesaals – trubeliger als in der andächtigen Stille der Bibliothek geht es in der Markthalle in jedem Fall zu.
Andächtig werden könnte man allerdings angesichts dieser Pionierleistung: Als die Markthalle fertig gestellt wurde, war ihre Stahlbeton-Kuppel mit einer Spannweite von 60 Metern und einer Höhe von 28 Metern die drittgrößte der Welt. In den Maßen übertrifft sie Ikonen wie jene der Peterskirche in Rom.
An den Ständen in der Markthalle werden Streetfood und regionale Lebensmittel verkauft. Auf den Bänken unter den Lichterketten lässt es sich ausruhen. Foto: Jana Gäng
Kein Stützpfeiler unterbricht den anmutigen Bogen. Dabei ist das Gewölbe nur acht Zentimeter dünn. Möglich machte das die damals innovative Technik der Schalenbauweise.
Ein wenig darf sich dafür auch Stuttgart auf die Schulter klopfen: Die hier ansässige Züblin AG führte den Bau aus. Der wagemutige Entwurf kommt aber von Ingenieur Adolf Goenner (der noch vor der Vollendung verstarb) und dem Schweizer Architekten Hans Ryhiner.
Wer heute hier herkommt, lässt sich im Gewusel treiben oder erholt sich auf einer der Bänke zwischen den Ständen mit Streetfood und regionalen Produkten.
Beton, aber bitte nicht grau: Basels Olgiati-Bau im Bâloise Park
Minimalismus und Sichtbeton ist nicht nur das Markenzeichen vieler 60er-Jahre-Bauten des Brutalismus, sondern auch des zeitgenössischen Schweizer Architekten Valerio Olgiati. Der ist dem Material so verfallen, dass er selbst in einem Haus mit Wänden, Decken und Böden aus Sichtbeton lebt. Denn Beton, so Olgiati einst, kann durchaus gemütlich sein – nur sei die meiste Betonarchitektur eben unangenehm.
Olgiati umgibt eine fast schon geheimnisvolle Aura. Nur wenige ausgewählte Projekte setzte der weltweit renommierte Architekt um. Dazu gehört ein Unternehmensgebäude mit blassrot-pigmentiertem Sichtbeton auf dem Campus der Basler Versicherung Bâloise am Aeschengraben.
Paradox: Sind es wirklich nur die Spitzen der Betonstützen, die die massiven Platten tragen? Foto: Jana Gäng
Das Besondere ist dessen Fassade: Es wirkt, als schwebten die massiven horizontalen Platten lediglich auf den Spitzen der Betonstützen. Deren Tiefe und besondere Form gibt der Fassade Dimensionalität. Eine lokale Zeitung verglich sie mit Obelisken. Olgiati selbst hört das wahrscheinlich nicht gerne. Will er doch eine wahrhaft neue Architektur schaffen, ohne Referenzen zur jeweiligen Zeit oder Kultur vor Ort.
Extra-Schleife: Am Dreispitz sind die papierdünnen Betontürme enthüllt
Wer nun noch nicht genug hat, kann eine Extra-Schleife in das Dreispitz-Viertel drehen. Das liegt allerdings weniger zentral. Besser also auf Bus, Bahn oder Fahrrad zurückgreifen – so wahnsinnig schön zum Durchspazieren ist das Gewerbegebiet nämlich auch nicht. Dafür bietet es herausragende Architektur und darunter gleich zwei außergewöhnliche Sichtbeton-Bauten.
Das Lager-, Büro- und Wohngebäude „Helsinki Dreispitz“ ist von derartiger Übergröße, dass es wohl nur von Basels übergroßem Architekturbüro Herzog & de Meuron kommen kann. Genau, das sind die von der Hamburger Elbphilharmonie.
Im Inneren des Betonsockels befindet sich ein Archiv von Herzog & de Meuron, darüber elf Etagen mit Büros und Wohnungen. Foto: Jana Gäng
Fast 15 Meter überragt allein der Betonsockel die Straße. In dessen Inneren lagern Modelle fertiggestellter Projekte von Herzog & de Meuron selbst sowie historische Fotografien und von den Architekten erworbene Kunstwerke. Öffentlich zugänglich sind sie bislang nicht.
Noch im Umbau ist direkt nebenan inmitten einer Zeile alter Lagerhallen die Dreispitzhalle. Aus ihr wird der neue Standort des Kunsthaus Baselland. Verantwortlich für den Umbau sind die Architekten von Buchner Bründler – die damit als Betonbegeisterte bereits den zweiten Stopp auf diesem Spaziergang verantworten.
Inmitten einer Zeile von Lagerhallen ziehen die drei skulpturalen Stahlbetontürme Aufmerksamkeit auf sich. Foto: Jana Gäng
Schon enthüllt sind die drei Betontürme bzw. Tunnel, die dem Dach nicht etwa aufsitzen, sondern es durchbrechen. Durch sie wird natürliches Licht in die ehemalige Halle fließen. Zudem stabilisieren sie gegen Wind und Erdbeben.
Damit sind die Türme funktionales und skulpturales Element zugleich. Geformt wie Dreiecke, läuft der Beton an ihren Spitzen hauchdünn zu. Zum Abschluss des Spaziergangs zeigt sich hier noch einmal, wie wörtlich die Schweizer beim Werkstoff Beton den Begriff der Ingenieurskunst nehmen – seit Jahrzehnten und bis heute.
Info
Länge 8,2 Kilometer ohne die Extra-Schleife
An- und Abreise Mit der Bahn von Stuttgart über Karlsruhe und Offenburg zum Badischen Bahnhof in Basel in etwa 3,5 Stunden. Tickets kosten 20 bis 30 Euro. Mit dem Auto von Stuttgart sind es circa drei Stunden.
Übernachtung Wer sich auf unverputzten Beton einstimmen möchte, nächtigt im Silo, im Hotel Nomad im Brunngässlein oder im Neubau der Basler Jugendherberge am Maja Sacher-Platz.
Einkehren Mit dem Silo und der Markthalle bieten gleich zwei Stopps warme Speisen an. Das Café Zum Kuss in der Nähe der Markthalle setzt auf Sicht statt Sichtbeton, eine Kaffeepause in der Jugendstilvilla lohnt sich trotzdem. Das kreisrunde Fenster haben die Basler Christ & Gantenbein entworfen. Wer abends die Architekturszene bei Drinks treffen will, geht ins Cargo am Rheinufer.
Geeignet für Liebhaber zeitgenössischer Schweizer Architektur, die Basels Aushängeschilder bereits kennen, und Anhänger von rohem Beton mit einem Twist.