Ulrich Noethen spielt in dem ARD-Film „Die Akte General“ den in Stuttgart geborenen Nazijäger Fritz Bauer. Als Filmfigur hat der Generalstaatsanwalt Konjunktur.

Stuttgart - „Die Abrechnung muss es nicht geben, weil das alte Deutschland sie verdient hat, sondern weil das neue Deutschland sie braucht“, sagt der Nazijäger Fritz Bauer an einer Stelle von Stephan Wagners Drama „Die Akte General“, das die ARD an diesem Mittwoch zur besten Sendezeit zeigt. Das klingt souverän für jemanden, der von 1933 an drei Jahre im württembergischen Heuberg im KZ gesessen hat und später nach Dänemark fliehen musste.

 

Bauer, der 1952 in Braunschweig mit dem sogenannten Remer-Prozess die Widerstandskämpfer des 20. Juli rehabilitierte und später als hessischer Generalstaatsanwalt den ersten Auschwitz-Prozess initiierte, hat als Filmfigur derzeit Konjunktur. Axel Milberg spielte ihn 2010 in Raymond Leys ARD-Dokudrama „Eichmanns Ende“, Gert Voss vier Jahre später in „Im Labyrinth des Schweigens“ – in beiden Fällen war Bauer eine wichtige Nebenfigur. Burghard Klaußner spielte 2015 die Hauptrolle in dem Kinofilm „Der Staat gegen Fritz Bauer“, und in dem neuen ARD-Film gibt nun Ulrich Noethen „diesen großen Humanisten“, wie der Schauspieler selbst es formuliert.

Der Stoff, den Bauers Leben liefere, sei „für das öffentlich-rechtliche Fernsehen ein Kernauftrag“, sagt der SWR-Redakteur Michael Schmidl, der den Film mit drei weiteren ARD-Kollegen betreut hat. Es hat lange gedauert, bis sich die Einsicht durchgesetzt hat. Erst Ilona Zioks Dokumentarfilm „Fritz Bauer – Tod auf Raten“ von 2010 hat Bauer dem Vergessen entrissen. Diesen Film zeigt das SWR Fernsehen anlässlich der Ausstrahlung von „Die Akte General“ noch einmal. Ziok trug dazu bei, dass Bauers Geburtsstadt Stuttgart 2010 eine Fritz-Bauer-Straße bekam. Zwei Jahre später erhielt ein Raum des hiesigen Amtsgerichts den Namen Fritz-Bauer-Saal.

Der Film ist auch ein „Porträt des Landes“

Der Titel „Die Akte General“ bezieht sich auf eine fiktive Überwachung Bauers durch das Bundeskriminalamt. Da der „bekennende Atheist jüdischer Abstammung“ (ARD-Programmdirektor Volker Herres) vielen Hierarchen im politischen Apparat als Nestbeschmutzer galt, ist diese dramaturgische Idee nicht unplausibel. Im Zentrum der Handlung steht der Anteil, den Bauer 1960 an der Verhaftung Adolf Eichmanns hatte. In langwierigen Verhandlungen hatte er den israelischen Geheimdienst davon überzeugt, den Hauptorganisator des Holocausts in Buenos Aires gefangen zu nehmen.

„Die Akte General“ ist aber mehr als das fiktionale Porträt eines bedeutenden bundesdeutschen Juristen. Es ist auch ein Film über Bauers Gegenspieler Hans Globke, den von Konrad Adenauer bis zuletzt geschützten Kanzleramtschef, der einst einen Kommentar zu den „Nürnberger Gesetzen“ verfasst hatte. Der Regisseur Stephan Wagner sieht den Film auch als „Porträt eines Landes“. „Globke steht für den Teil der Deutschen, die einen Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Schuld am Holocaust geleistet haben“, sagt er. Der Film geht auch darauf ein, dass Bauer sich aufgrund seines Einsatzes für die strafrechtliche Aufarbeitung des NS-Unrechts Morddrohungen ausgesetzt sah. In Zeiten, in denen sich Rechtsextreme stark fühlen und Personen des öffentlichen Lebens bedrohen, hat „Die Akte General“ eine Aktualität, die vor rund vier Jahren, als die Planungen für den Film begannen, nicht absehbar war.

Wagners Film skizziert schonungslos das restaurative Milieu der Nachkriegsjahre, eine Schwäche sind allerdings die Mutmaßungen über Bauers Privatleben. In einer Szene lässt Wagner einen knackigen nackten Jüngling über den Flur von Bauers Wohnung huschen. Bauers vermeintliche Homosexualität spielte im Kinospielfilm „Der Staat gegen Fritz Bauer“ eine noch größere Rolle. Im neuen ARD-Film wird ein Rapport der dänischen Fremdenpolizei aufgegriffen, der Bauer als homosexuell darstellt. „Die Bericht ist gegen Bauer verwendet worden. Dahinter verschwindet die Frage, ob das, was in diesem Bericht steht, wahr ist“, sagt Wagner. Bauer als homosexuell zu beschreiben sei in einem fiktionalen Film völlig legitim. In „Die Akte General“ diene das dazu, die Außenseiterrolle Bauers noch zu unterstreichen – und damit die Bereitschaft des Publikums zu erhöhen, „ein Verständnis für die Nöte dieser Figur zu entwickeln“. Ilona Ziok, die Kontakt zu Bauers in Kopenhagen lebender Familie hat, sagt dagegen, diese sei „entsetzt“ über das „Bild des schwulen Bauer, das in Deutschland gezeichnet wird“.

Bauers Tod gibt ähnlich viele Rätsel auf wie Barschels

Die Diskussionen über seine Person dürften kaum abebben. „Es tut sich viel“, glaubt die Dokumentarfilmerin Ziok. Das bezieht sich nicht zuletzt auf einen Beitrag, den der Brandenburger Generalstaatsanwalt Erardo C. Rautenberg für die aktuelle Ausgabe des „Forschungsjournals Soziale Bewegungen“ geschrieben hat. Der Jurist, seit 1996 im Amt und damit der dienstälteste Generalstaatsanwalt der Bundesrepublik, beschäftigt sich darin ausführlich mit den Umständen von Bauers Tod. Er starb am 1. Juli 1968, mit einer hohen Dosis Schlafmittel im Blut, in der Badewanne seiner Wohnung. Der Tod gibt ähnlich viele Rätsel auf wie der Fall Uwe Barschel. „Fritz Bauer hat nicht erreicht, was er wollte, weil der Widerstand gegen eine schonungslose Auseinandersetzung mit dem NS-Unrecht zu groß war“, schreibt Rautenberg. „Ob er daran zerbrochen ist, ob man ihn zum Schweigen gebracht hat oder ob ein tragischer Unglücksfall denen in die Hände spielte, die den Schlussstrich herbeisehnten, bleibt für mich eine offene Frage.“ Ein weiterer Spielfilm über Fritz Bauer ist also nicht ausgeschlossen.