Asylbewerber sollen in Stuttgart Geld ausgezahlt bekommen und nicht mehr wie bisher mit Gutscheinen für Lebensmittel und Hygieneartikel versorgt werden. Die Stadt lernt damit aus früheren Fehlern, etwa falsch zusammengesetzten Essenspaketen.

Stuttgart - Asylbewerber sollen in Stuttgart Geld ausgezahlt bekommen und nicht mehr wie bisher mit Gutscheinen für Lebensmittel und Hygieneartikel versorgt werden. Das Sozialamt hatte dem Gemeinderat die Umstellung von Sach- auf Geldleistungen vorgeschlagen, die die grün-rote Landesregierung im zurückliegenden Jahr möglich gemacht hat; im vergangenen November hat der Gemeinderat dem zugestimmt. „Für uns ist die Umstellung ein folgerichtiger Schritt – und zwar im Sinne der Flüchtlinge, aber auch im Sinne der Stadt“, sagt der stellvertretende Sozialamtsleiter Stefan Spatz.

 

Grüne, SPD und auch die CDU waren für die Umstellung. CDU-Stadtrat Philipp Hill sagte: „Wir sind froh, dass die Zeiten, in denen es Konflikte um die Sachleistungen gab, lange vorbei sind.“ Worauf Hill anspielt, sind die Auseinandersetzungen um die Essenspakete, die in den 1990er Jahren die Stadt bewegten. Nach Verabschiedung des Asylbewerberleistungsgesetzes im Jahr 1993 hatte die Stadt Stuttgart versuchsweise in den Stammheimer Flüchtlingsunterkünften Essenspakete ausgeteilt – das Experiment nach zwei Wochen aber wieder eingestellt. „Das war ein regelrechtes Fiasko“, erinnert sich Spatz. Für viele ethnische Gruppierungen habe die Zusammensetzung der wöchentlichen Lebensmittellieferungen nicht gepasst, die Flüchtlinge hätten sich bevormundet gefühlt. „Wenn man nicht einmal festlegen kann, wie viel Sprudel man nehmen darf, dann ist das für die Menschen entwürdigend“, so der stellvertretende Amtsleiter. Das Sozialamt kehrte schnell zu der vorherigen Praxis zurück und zahlte den Flüchtlingen in den kommunalen Unterkünften wieder Geld aus.

Asylbewerber wussten nichts mit den Paketen anzufangen

Fünf Jahre später sah sich die Stadt dennoch ein weiteres Mal gezwungen, den Asylbewerbern Essenspakete vorzusetzen. Damals übernahm die Stadt die Verwaltung der staatlichen Großunterkunft an der Leitzstraße in Feuerbach. „Wir waren für den Betrieb des Hauses verantwortlich, die Vorgaben aber machte das Land.“ Und die damalige CDU-Regierung bestand darauf, den Asylbewerbern nur Sachleistungen zu gewähren. Als der Lastwagen mit den portionierten Lebensmittelkartons an der Leitzstraße vorfuhr, verweigerten die Flüchtlinge die Annahme. Es kam zu regelrechten Tumulten und Protesten in dem Innenhof der Unterkunft. Die 77 Jahre alte Susanne Bischoff, die sich seit mehr als 20 Jahren in der Flüchtlingsarbeit engagiert, erinnert sich: „Die Menschen haben die Pakete zum Teil einfach weggeworfen.“

Essenspakete gab es damals auch in anderen staatlichen Unterkünften, beispielsweise an der Siemensstraße, dem heutigen Sitz des Theaterhauses, wo Bischoff ehrenamtlich mithalf. „In den Paketen waren Nahrungsmittel wie Karotten, mit denen die Flüchtlinge nichts anzufangen wussten.“ Die 77-Jährige erinnert sich an eine Familie, die irgendwann den Kühlschrank voller Karotten hatte, weil die Mutter nicht wusste, wie sie das Gemüse verwerten soll. Zwar sei kein Schweinefleisch in den Paketen gewesen, aber in einem Fall abgelaufenes Geflügel. „Wir haben damals sofort das Sozialamt verständigt, die Charge wurde daraufhin aus dem Verkehr gezogen.“ Vieles habe den Geschmack der Flüchtlinge einfach nicht getroffen, weshalb die Müllcontainer immer voll gewesen seien mit Lebensmitteln. „Es war für die Flüchtlinge entwürdigend, nicht selbst darüber entscheiden zu dürfen, was auf den Tisch kommt. Und dann noch diese Verschwendung“, urteilt Bischoff.

Stadt experimentierte mit Läden in den Unterkünften

Die Stadt reagierte auf die Proteste von Flüchtlingen und Helfern. Noch 1998 führte sie in ausgewählten großen Unterkünften Lebensmittelläden ein, in denen die Flüchtlinge mit Punkten statt mit Geld zahlen konnten. Kleinere Wohnheime wurden von Lastwagen angefahren, die in kleine Läden umgebaut worden waren. „Das war eine Verbesserung, weil die Menschen selbst auswählen konnten“, erinnert sich Susanne Bischoff. Allerdings sei die Auswahl weiterhin sehr begrenzt und das Punktesystem nur schwer zu durchschauen gewesen.

Stefan Spatz erinnert sich an einen anderen Konflikt: „Wir haben in den Läden geschächtetes Fleisch angeboten und damit den Tierschutzverein verärgert.“ Der Kompromiss sah dann folgendermaßen aus: Es wurde nur noch Fleisch aufgenommen von Tieren, die vor dem Schächten betäubt worden waren.

Kritik von Tierschützern an Fleisch von geschächteten Tieren

An die mobilen Läden erinnert sich auch der Kosovare Astrit Vuci noch, der vor 13 Jahren als Kontingentflüchtling mit einer kleinen Kleidertüte und 2000 Mark in der Tasche nach Stuttgart kam. „Es gab immer dieselben Waren. Das Essen hat deshalb auch immer gleich geschmeckt.“ Vuci ist inzwischen ein Unternehmer, der einen Gebäudereinigungs- und Hausmeisterservice betreibt und sein eigenes Häuschen im Stuttgarter Westen besitzt. „Meine Familie und ich sind froh, dass die Zeiten in den Unterkünften vorbei sind.“

Auch aus Sicht des Sozialamts waren die Läden auf Dauer für die Flüchtlinge unbefriedigend und für die Stadt teuer zu unterhalten. Deshalb stellte sie Anfang 2003 auf ein Chipkartensystem um, das zunächst allerdings nur in einer Unterkunft getestet, später dann aber auf die ganze Stadt ausgeweitet wurde. Die Flüchtlinge bekamen jeden Monat Geld auf die Karte geladen und konnten in normalen Läden nahe der Unterkünfte einkaufen. Das Problem war nur: Lange Zeit waren die Discounter nicht dabei, sondern eher kleinere und teurere Läden, was sich mit dem geringen Budget nur schlecht vertrug.

Auch die Chipkarte hat sich nicht durchgesetzt

Aber auch von dem „landesweit fortschrittlichen Chipkartensystem“, wie Stefan Spatz beteuert, musste sich die Stadt vor fünf Jahren wieder verabschieden, weil die Servicefirmen eine nach der anderen absprangen. Die sinkenden Flüchtlingszahlen machten die Aufträge für die Firmen unattraktiv.

Seither versorgt die Stadt die neu angekommenen Asylbewerber mit Gutscheinen statt mit Geld, betroffen sind im Moment noch 480 Männer und Frauen. „In den kommunalen Unterkünften zahlen wir schon lange Geld aus“, sagt Spatz, das lasse das Asylbewerberleistungsgesetz zu. Jetzt aber hofft der stellvertretende Sozialamtsleiter auf eine große Mehrheit für eine komplette Umstellung auf Geldleistungen. „Das passt zu der liberalen Haltung der Stadt in der Flüchtlingspolitik.“