Die Bundesregierung muss ein glaubhaftes Signal für den Ausstieg setzen. Ein Kommentar von Alexander Mäder.

Stuttgart - Atomkraftwerke sind gut gesichert, kein Ingenieur nimmt das Risiko auf die leichte Schulter. Alle Systeme sind doppelt oder dreifach vorhanden, und es müssen schon sehr viele Pumpen und Generatoren gleichzeitig ausfallen, damit ein Reaktor überhitzt oder gar explodiert. Aus diesem Grund wirken alle atomaren Unfälle wie eine aberwitzige Verkettung unglücklicher Ereignisse. Allen anderen Fällen ist schließlich vorgesorgt.

 

Doch die Erfahrung lehrt, dass tatsächlich alle Sicherungsmechanismen gleichzeitig versagen können. Das Erdbeben und der nachfolgende Tsunami haben die beiden Atomanlagen im japanischen Fukushima so schwer beschädigt, dass vermutlich für einige Stunden nur noch Batteriestrom zur Verfügung stand. Nicht genug, um die Reaktoren ausreichend zu kühlen, bis sie wirklich heruntergefahren sind.

In einigen Monaten wird man wissen, wo die Fehler lagen, und man wird Atomkraftwerke ähnlicher Bauart entsprechend nachrüsten, damit sich das Unglück nicht wiederholt. Auf eine derartige Überprüfung deutscher Meiler hat es die Bundeskanzlerin offenbar abgesehen, und sie scheint sich darauf auch beschränken zu wollen. Ebenso der EnBW-Chef Hans-Peter Villis, der, wie er sagt, die Debatte technisch fundiert führen will. Doch das sind nicht die Konsequenzen, über die nun geredet werden muss. Umweltminister Norbert Röttgen kommt der Sache schon näher, wenn er eine Debatte über die Beherrschbarkeit der Atomenergie fordert.

Es wird immer möglich sein, die eine oder andere Lücke im Sicherheitskonzept eines Atomkraftwerks zu schließen. Doch wenn man Vorkehrungen gegen das eine unwahrscheinliche Szenario trifft, hat man noch keine Lösung für das andere ebenso unwahrscheinliche Szenario parat. Die Meiler der nächsten Generation, zu denen der Europäische Druckwasserreaktor EPR gehört, der in Finnland und in Frankreich gebaut wird, verfügen beispielsweise über ein Becken unterhalb des Reaktors, das im Notfall die geschmolzenen Brennstäbe auffangen kann. Doch das schützt nicht vor einer Explosion, die das Gebäude des Reaktors Fukushima Daiichi 1 zerstört hat.

Ist die Gesellschaft bereit, das Restrisiko einer Nuklearkatastrophe zu tragen?

Das Sicherheitsniveau moderner Atomkraftwerke ist hoch. Es deutlich zu steigern, erfordert eine andere Philosophie, denn schon heute wird viel in die Sicherheit investiert. Die Standardfloskeln, die nun in der politischen Debatte kursieren, sind ungeeignet, um das Problem zu beschreiben. So soll die Sicherheit oberste Priorität haben. Das hat sie schon heute. Und es dürfe bei der Sicherheit keine Kompromisse geben. Die gibt es aber immer, schließlich geht es auch ums Geld. Und Sicherheit ohne Rücksicht auf die Kosten? Das hält wohl niemand für eine realistische Option.

Es geht vielmehr um die Frage, ob die Gesellschaft überhaupt bereit ist, das Restrisiko einer Nuklearkatastrophe zu tragen. Der Kontrollverlust im japanischen Fukushima beschwört das Bild einer radioaktiven Wolke herauf, die durch die Millionenstadt Tokio zieht. Das Szenario zeigt, wie schutzlos die Gesellschaft wäre, wenn es zum Äußersten kommt. Weil solche Szenarien inakzeptabel, aber nicht ganz vermeidbar sind, wurde unter Rot-Grün der Ausstieg aus der Atomkraft vereinbart.

Doch die schwarz-gelbe Bundesregierung hat im Herbst gezeigt, dass sie von diesem Vertrag nichts hält. Sie hat damit den Eindruck erweckt, als könne man alle paar Jahre neu über die Zukunft der Atomenergie verhandeln - je nach politischer Konstellation. So darf man aber nicht mit dieser grundsätzlichen Frage umgehen. Es gibt jetzt nur einen Weg, auf dem die Bundesregierung glaubhaft machen kann, dass sie die Atomkraft tatsächlich für ein Auslaufmodell hält: Sie muss beginnen, Atomkraftwerke abzuschalten. Die Demonstranten haben dafür am Wochenende einen Meiler vorgeschlagen: Neckarwestheim 1.